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Wie die Baubranche für mehr Wohnungen sorgen will

Hochrangige Vertreter der Bau- und Immobilienbranche haben sich im Casino Bern zum «Immobiliengespräch» getroffen. Der «Anzeiger» hat ihre spannendsten Vorschläge zur Lösung des Wohnungsmangels zusammengetragen.

 |  Fabian Christl  |  Wirtschaft

Es ist eines der drängendsten Probleme unserer Zeit: der Mangel an Wohnungen. Durch Zuwanderung und steigenden Platzbedarf akzentuierte sich die Situation – und wird sich auch nicht so schnell beruhigen. Die Folgen: Vor allem in Grossstädten wie Zürich und Genf sind die Mieten für Normalsterbliche kaum mehr zu erschwingen, aber auch in Bern stiegen sie stark an.

 Dazu kommt: Es wird zu wenig gebaut. Laut einer Studie der Raiffeisen müssten schweizweit jährlich 10 000 bis 15 000 Wohnungen mehr gebaut werden, damit die Nachfrage gedeckt werden könnte. 

 Es ist die Ausgangslage für mehrere Referate, die letzte Woche im Casino Bern unter dem Namen «Immobiliengespräch» stattfanden. Geladen hatte der Medienkonzern Galledia, gekommen waren hochkarätige Referenten aus der Bau- und Immobilienbranche und präsentierten dem Fachpublikum ihre Vorschläge, wie die Baukrise zu lösen sei. Der «Anzeiger» hat die spannendsten Rezepte zusammengetragen:

1. Zonenpläne überarbeiten und flexibilisieren

 In den Zonen- und Bauklassenplänen ist etwa festgehalten, an welchen Orten welche Art von Gebäude wie hoch gebaut werden darf. Laut Andrej Bissig, Co-CEO des Architekturbüros Von Graffenried Bissig, sind diese viel zu rigide. So gebe es in Arbeitszonen zahlreiche Gebäude, die man gut mit Wohnungen ergänzen könne. Selbst wenn eine Gewerbehalle nur 10 Meter hoch sei und in einem Gebiet liege, in dem man eigentlich 15 Meter hoch bauen dürfe, sei es nicht erlaubt, das Gebäude mit Wohnungen oder Tiny Houses aufzustocken. «Dabei handelt es sich häufig um gut erschlossene Gebiete, die eigentlich prädestiniert wären, um dort zu wohnen», so Bissig.

Generell fordert Bissig die Gemeinden dazu auf, höhere Gebäude zuzulassen. Köniz sei mit gutem Beispiel vorangegangen und habe bei der letzten Baurechtsreform Aufzonungen vorgenommen. Zudem habe die Gemeinde den Spielraum für Dachgeschosse bei Flachdachgebäuden erhöht. Nun darf das Attikageschoss dieselbe Grundfläche haben wie die darunterliegenden Geschosse. «Auch Kleinvieh macht Mist», so Bissig.

Auch die Stadt Bern ist dabei, den Bauklassenplan zu überarbeiten. Allerdings dauert das Vorhaben schon lange an und scheint sich noch nicht auf der Zielgeraden zu befinden.

2. Dichte einfordern

Das Raumplanungsgesetz verhindert Einzonungen weitestgehend. Damit soll das Fortschreiten der Zersiedelung verhindert werden. «Es ist kein schlechtes Gesetz, aber bei der Umsetzung läuft vieles schief», sagt Markus Mettler, Mitbesitzer und Verwaltungsratspräsident der Totalunternehmung Halter AG. «Faktisch handelt es sich um ein Wohnraumverknappungsgesetz.» So laute aktuell die Losung: Verdichtung nur mit Qualität. Politiker machten sich dies zunutze und monierten fehlende Qualität, nur um Verdichtungsprojekte auf die lange Bank zu schieben. «Sie fürchten sich vor Widerstand aus den Quartieren und wollen sich nicht angreifbar machen.»

 Mettler schlägt einen Paradigmenwechsel vor. Dichte sollte als Bedingung für Qualität gelten, führt er aus. Gerade dicht bebaute Innenstädte – etwa die von Bern – seien äusserst attraktiv und beliebt. Er schlägt deshalb vor, Minimalbedingungen statt Obergrenzen betreffend Ausnützung festzulegen. In einer Zone mit Bauklasse 4 sollte etwa ein Unterschreiten der vier möglichen Stockwerke verhindert werden. 

3. Umnutzung von Gewerbe- und Industrieliegenschaften

Während Wohnungen knapp sind, stehen viele Büro- und Gewerbebauten leer – auch in Wohn- oder Mischzonen. Umnutzungen sind teils aufwendig, aber durchaus empfehlenswert, wie Andrea Burkhalter, Organisationsentwicklerin und Co-Präsidentin der Genossenschaft Urbane Dörfer, vor Ort ausführte. Einerseits biete es Potenzial für zusätzliche Wohnungen, andererseits seien Umnutzungen ökologisch sinnvoller als Neubauten. 

Ihre Genossenschaft ist derzeit dabei, ein Bürogebäude im Zollikofer Gewerbegebiet Webergut in ein Wohn- und Gewerbegebäude zu verwandeln. Dazu wurde das ganze Gebäude inventarisiert, Testnutzungen organisiert, und mit Anwohnenden und Interessierten werden partizipative Prozesse durchgeführt. «Dieser Ansatz verspricht nicht die maximale Rendite», räumt sie ein. 

4. Günstigen Wohnraum mit mehr Spielraum belohnen

Einer der Hauptgründe, wieso Verdichtungsprojekte häufig auf Widerstände stossen, ist die Angst vor Mieterhöhungen. Mettler von der Halter AG schlägt daher vor, der Bauherrschaft mehr Spielraum einzuräumen, wenn sie preisgünstigen Wohnraum erstellt. «Man könnte etwa ein Stockwerk höher bauen lassen, wenn die Hälfte der Zusatzfläche als preisgünstiger Wohnraum vermietet wird.» Damit könne man die Akzeptanz von Verdichtungsprojekten erhöhen und der Nachfrage nach günstigem Wohnraum ent­sprechen. 

5. Urbanisierung von regionalen Zentren und der Agglomeration

Die Menschen zieht es in die Stadt. Die Wege sind kurz, das Angebot gross – und selbst Naherholungsgebiete sind nicht weit entfernt. Allerdings ist auch der Platz rar. Mehrere Expertinnen und Experten schlagen deshalb vor, die Agglomerationen und kleineren Städte wie Burgdorf zu urbanisieren. Will heissen: dichte Siedlungen mit Mischnutzungen zu erstellen. Etwa so, wie eine in der Stadt Bern auf dem Areal der ehemaligen Kehrichtverbrennungs­anlage Warmbächli entstanden ist. 

Auch vordergründig wenig attraktive Orte seien zu prüfen, rät Genossenschaftsexpertin Burkhalter den Branchenvertreterinnen und -vertretern. Ihre Genossenschaft Urbane Dörfer etwa plant derzeit in Melchenbühl, Gümligen, eine Siedlung mit 60 Wohnungen sowie gewerblicher Nutzung im Erdgeschoss. 

Dazu muss man wissen: Der Ort ist umgeben von Lärmquellen wie dem RBS-Bahnhof, der viel befahrenen Worbstrasse und der Autobahn A6. Dank ausgeklügelter Architektur, partizipativen Verfahren und Testnutzungen liessen sich aber auch dort attraktive Wohnungen erstellen, führt Burkhalter aus. 

6. Bauordnungen entschlacken 

Die Regulierungsdichte im Bauwesen ist hoch, sehr hoch sogar. Und immer wieder kommen neue Vorschriften dazu. Meist aus guten Gründen. Allerdings: Das Gegenteil passiert selten. Vielleicht wird einmal eine Regelung abgeschwächt, doch ein systematisches «Entrümpeln» der Bauordnungen passiert kaum.

Dabei gebe es durchaus Vorschriften, die überhaupt keinen Sinn ergäben, führte Architekt Bissig aus. Er verweist etwa auf die Ausnützungsziffer. Dem Anliegen der Nachbarschaft sei mit den vorgegebenen Mindestabständen des Gebäudes zur Nachbarliegenschaft Genüge getan. «Die Ausnützungsziffer braucht es schlicht und einfach nicht.»

Gerade auch im Bereich Ökologie gebe es zudem Vorschriften, die man selbst als ausgesprochener Naturfreund infrage stellen könne. «In verschiedenen Gemeinden muss für jeden Baum ab einem bestimmten Stammdurchmesser ein Fällungsgesuch gestellt werden.» Gleichzeitig müsse man ein Befreiungsgesuch stellen, wenn man keine Parkplätze erstellen wolle.

7. Verfahren beschleunigen

Auch Mettler von der Halter AG stört sich an der Regulierungsdichte. All die benötigten Konzepte betreffend Nachhaltigkeit, Mobilität, Freiraum, Ästhetik, Ökologie etc. pp. wären mit digitalen Instrumenten und Daten mittlerweile effizient beizubringen, verzögerten in der Praxis das Bauen aber stark, sagt er. «Denn den Politikern und der zwischenzeitlich entstandenen Qualitätssicherungsindustrie fällt immer noch etwas Zusätzliches ein, was sie noch einfordern können.» Als Beispiel dazu nennt Mettler, dass eine Behörde bereits in frühen Phasen Konzepte etwa zu Wohnungsgrundrissen verlangte, notabene bevor überhaupt die entsprechenden Wettbewerbe durchgeführt worden seien. Bei Grossprojekten dauere es so manchmal über zehn Jahre, bis das Baubewilligungsgesuch gestellt werden könne.

 Er schlägt deshalb ein zweistufiges Bewilligungsverfahren vor. In der ersten Phase würde das Projekt betreffend die Auswirkungen auf die Umgebung geprüft, also ob es städteplanerisch, architektonisch, betreffend Nachhaltigkeit etc. den Anforderungen genüge. Erst in einem zweiten Schritt soll geprüft werden, was «innerhalb» eines Gebäudes liegt – und die Nachbarschaft somit nicht betrifft. Also Dinge wie Erdbebensicherheit, Brandschutz etc. «Damit könnte der Aufwand bis zur Baubewilligung deutlich reduziert werden.»


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