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Ein Münstergewölbe, wieder fast wie vor 450 Jahren

Nach gut dreieinhalb Jahren ist Ende 2024 die Restaurierung des Gewölbes über dem Mittelschiff des Münsters abgeschlossen worden. Auf einer Gerüstplattform haben zahlreiche Fachleute Schmutz entfernt, Farbfassungen konserviert, Schäden am Putz ausgebessert und viele Erkenntnisse über den Münsterbau um 1570 gewonnen. Nach Abbau des Gerüsts wird das restaurierte Mittelschiff am 23. Februar feierlich eingeweiht werden.

| Christoph Reichenau | Kultur
Im Vordergrund der Sprengring im Gewölbe. Die Person in der Mitte reinigt mit Hilfe eines weissen Schwämmchens. Ihre Haltung zeigt die Anstrengung beim Reinigen.     Alle Fotos: Berner Münster-Stiftung, Bern
Im Vordergrund der Sprengring im Gewölbe. Die Person in der Mitte reinigt mit Hilfe eines weissen Schwämmchens. Ihre Haltung zeigt die Anstrengung beim Reinigen. Alle Fotos: Berner Münster-Stiftung, Bern

Ab dem 13. Januar wird die Restaurierungsplattform abgebaut. Für ein paar Wochen ist dann das Mittelschiff geschlossen. Sein Inneres verwandelt sich in einen Werkraum mit Schienen und einem fahrbaren Gerüst. Um den nötigen Raum zu schaffen, werden die im Mittelschiff stehenden Bänke entfernt. Und da sie schon weg sind, wird die Wiedereröffnung des hohen Raums am 23. Februar während kurzer Zeit die seltene Gelegenheit bieten, Mittelschiff und Chor ohne Gestühl zu erleben.


Der Münsterbau bis 1570
Am Münster wurde seit der Grundsteinlegung im Jahr 1421 stets sowohl gebaut, als auch der Gottesdienst weitergeführt. Auf und mit dem Vorgängerbau, der sogenannten Leutkirche, entstand das Münster, beginnend mit den privaten Seitenkapellen, die den Eigentümerfamilien das Recht verliehen, ihre Toten möglichst nahe beim Hochaltar zu bestatten. Der Aufbau kam in den 1440er- und 1450er-Jahren ins Stocken beim Aufrichten der Seitenbogen. Baumeister Matthias Ensinger zog deshalb nach Ulm. Erst um 1500 konnten die Wände aufgemauert und die grossen Fenster eingesetzt werden. Doch 1528, mit der Reformation, wurde der Bau gestoppt. Aus dem Mittelschiff ging damals der Blick hoch zu einer provisorischen Balkendecke, die mit Brettern verkleidet war.
Dann eroberte Bern 1536 die Waadt und wurde zum grössten Stadtstaat nördlich der Alpen. Das staatliche Selbstbewusstsein erforderte die Fortführung des unterbrochenen Münsterbaus. 1571 wurde Daniel Heintz mit der Anfertigung des Gewölbes über dem Mittelschiff betraut.


Das Gewölbe über dem Mittelschiff
Der Baumeister traf auf die Anfänger der Gewölbe aus Sandstein, die er korrigieren musste. Er liess in der Münsterbauhütte die steinernen Rippen der Gewölbe hauen. Backsteine wurden gebrannt. Schliesslich wurde das Lehrgerüst für das Gewölbe errichtet. Eine flächendeckende Gerüstplattform erlaubte sicheres Arbeiten.
Nach diesen Vorbereitungen konnte in einem halben Jahr, von Januar bis Mitte Juli 1573, das Gewölbe errichtet werden: Steinmetze bauten die Gewölberippen, mauerten mit Backsteinen ein Tonnengewölbe darüber hinweg, Maler verputzten die Gewölbefelder weiss. Auf den Verputz wurden in schwarzer Farbe aus Musterbüchern Ornamente im Stil der Renaissance gemalt. In der Längsachse dort, wo sich die Rippen kreuzen, befinden sich reich gestaltete Schlusssteine. Die farbigen Medaillons tragen die Namen der Stifterfamilien, die sich mit ihren Wappen und mit Zierrat verewigten. Das Mittelschiffgewölbe ist also, fast 50 Jahre nach der Reformation mit ihrem Bilderverbot, bevölkert von Zeichen der damals in Bern Mächtigen – demgegenüber ist das vorreformatorische Gewölbe über dem Chor des Münsters von Schlusssteinen (Verzweigungssteinen) belebt, die Heilige abbilden.


Die Restaurierung
Die gesamte Fläche des Gewölbes – 565 m2 Verputz, 580 m2 Steinrippen, 1400 m2 steinerne Wandflächen – sowie darunter die Innenwände und die Fensterbogen wurden 2021/2022 zuerst abgesaugt und dann mit kleinen Latexschwämmchen trocken gereinigt, um den teilweise dicken Staub zu entfernen. Der Staub hatte sich angesetzt durch die Emissionen der Luftheizung des Münsters, die Abgase von Kohleheizungen und Emisionen vor allem während der Industrialisierung.
Nach der Trockenreinigung behandelten die Restauratorinnen und Restauratoren wiederum mit Schwämmchen und in heiklen Bereichen mit Wattestäbchen Zentimeter um Zentimeter des Gewölbes feucht. Kleine Schäden am Verputz, erstaunlich wenige, wurden ausgebessert. Vom Schmutz befreit und herausgehoben wurde das vor 450 Jahren errichtete Original.

 

Blick in die Restaurierungs-Baustelle auf der hölzernen Plattform hoch über dem Mittelschiff und nahe dem Gewölbe.


Wie kamen ursprünglich die Bauteile in die Höhe?
Das Gewölbe liegt rund 20 Meter über dem Boden des Mittelschiffs. 1573 mussten zweihundert gehauene Steinrippen und Tausende von Backsteinen auf diese Höhe gehoben werden. Dies gelang dank eines Krans mit Flaschenzug. Der Kran, stand, wie sein um 1800 errichteter erhaltener Neubau, über dem sogenannten Sprengring, einer Gewölbeöffnung in der Mitte des Gewölbes. Zwei Arbeiter bewegten mit der Kraft ihrer Füsse das Tretrad sowie den Flaschenzug und transportierten so die Bauteile hinauf. Der Sprengrings trägt die Inschrift "Gib o herr gott vom himmel das under disem gwelb himmel din wort glert, ghördt werde rein und klar dz wardt gemacht im 1573 iar".


Woher kam das Geld?
Während der gesamten Dauer des Münsterbaus war die Kirche nie massgeblich an der Finanzierung beteiligt. Es waren die mächtigen Patrizierfamilien, die durch Stiftungen Teile finanzierten (Kapellen, Fenster, Schlusssteine) und sich darin Vorteile bezüglich des Lebens nach dem Tod zu verschaffen glaubten oder ihre Bedeutung für das Staatswesen herausstrichen. Von grosser Bedeutung für die Geldbeschaffung waren aber auch die hunderten kleiner Spenden aus der gesamten Bevölkerung der Stadt. Diese trugen materiell und ideell den Kirchenbau über Jahrhunderte.
Daniel Heitz wurde 1573 für die Gestaltung der Schlusssteine nicht extra bezahlt. Die Kosten hierfür mussten im vereinbarten "Pauschalauftrag" untergebracht werden. Er musste sie schön, aber günstig machen lassen. Deshalb verwendeten die Maler Zinnfolien als Träger für dünnes Blattgold und Silber. Diese Machart wies nach 450 Jahren erhebliche Schäden auf.
Heute trägt die Berner Münster-Stiftung, alimentiert von Kirchgemeinde, der Stadt und des Kantons Bern sowie der Eidgenossenschaft und der Burgergemeinde die laufenden Kosten von rund 2,5 Millionen Franken pro Jahr für den Unterhalt der grössten Kirche der Schweiz.


Warum dauerte die Restaurierung so lange?
Fünf Jahre nach dem Brand der Notre Dame in Paris erstrahlt die französische Kathedrale in neuem Glanz. Dies war möglich, weil viele Bauelemente neu erstellt wurden. In Bern erfolgte die Restaurierung hingegen in der historischen Bausubstanz mit der Absicht, davon möglichst viel zu erhalten. Das ist weit aufwendiger, wird allerdings dem ursprünglichen Bau gerechter, ja erhält diesen für eine lange weitere Zeit.

 

RetuscheEine Mitarbeiterin der Münsterbauhütte beim Retuschieren von Verfärbungen am Gewölbe. Die weisse Farbe ist nicht neu aufgetragen, sondern vom Schmutz der 450 Jahre seit 1573 befreit.


Was kommt als Nächstes?
Das Münster, 604 Jahre alt, ist ständig eine Baustelle. Stets müssen Teile des Baus oder der Einrichtung repariert, konserviert, erneuert werden. Dafür verantwortlich ist rechtlich die Münsterstiftung, praktisch die Münsterbauhütte, ein Restaurierungsbetrieb von 8–12 Mitarbeitenden. Das Münsterbaukollegium, ein Gremium von Fachspezialisten, sorgt für die wissenschaftliche Beratung.
In der nächsten grösseren Restaurierungsetappe wird das nördliche Seitenschiff samt Kapellen in Angriff genommen.


Neueröffnung
Nach dem Abbau des Restaurierungsgerüstes strömt wieder Licht aus den Obergadenfenstern in den Kirchenraum. Dieser soll im Geheimnis seiner Wirkung geschützt werden. Der Kirchgemeinderat will aus dem Münster keine Eventhalle machen, sondern nur Anlässe zulassen, die dem Charakter des sakralen Orts entsprechen. Am Sonntagvormittag des 23. Februars findet ein Festgottesdienst mit Orgelmusik statt, die zum Teil eigens für diesen Anlass komponiert wird. Nachmittags wird der Kirchenraum für alle offen stehen. Es gibt von 13.30 bis 16.00 Uhr Führungen durch an der Restaurierung beteiligte Fachpersonen. Die Bänke im Mittelschiff sind dann für kurze Zeit weg.
Die Wiederherstellung des originalen Zustands freut die Organisten, weil sich nach Entfernung der Gerüstplattform der Ton des Instruments wieder besser im Kirchenraum verteilt. Die kleinen Instrumentalensembles und die Chöre hingegen bedauern den Abbau des Gerüsts: Ihr musikalischer Klang kam dank des Gerüsts besser zur Geltung.


Und die Kirchenbänke?
Die Bankreihen im Mittelschiff sind 1892 eingebaut worden. Lange nannte man sie wegen der traditionellen Sitzordnung im Münster "Weiberstühle". Sie haben, im Unterschied zum älteren seitlichen Gestühlen, keine grosse kunstgeschichtliche Bedeutung. Aber sie sind praktisch, weil sich ihre Lehnen mir geringem Aufwand umstellen lassen, was bei einigen hundert Anlässen pro Jahr den logistischen Aufwand deutlich verringert.
Nun lässt sich Ende Februar das Mittelschiff während einiger Tage wieder frei erleben. Ein Anlass zum Nachdenken über die Chance eines bankfreien Münsters. Das ist keine weltbewegende Frage, gewiss, doch immerhin eine nach den kleinen Freiheiten, die auch ein Traditionsbau jeder Generation belässt.

 

Alle Fotos: Berner Münster-Stiftung, Bern

 


Weitere Informationen:
Bernd Nicolai, Jürg Schweizer (Hg.): Das Berner Münster – Das erste Jahrhundert: Von der Grundsteinlegung bis zur Chorvollendung und Reformation (1421–1517/1528), Regensburg 2019
Berner Münster, Restaurierung des Mittelschiffgewölbes 2021–2024, Informationsblatt 1, Dezember 2020
Berner Münster, Restaurierung des Mittelschiffgewölbes 2021–2024, Informationsblatt 2, Dezember 2022


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