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«Entweder du hast das Gefühl für das Wasser, oder du hast es nicht.»

Der Kanufahrer Dimitri Marx mischt mit 25 Jahren an der Weltspitze mit. Sein Ziel sind die Olympischen ­Spiele diesen Sommer. Im Interview spricht der Stadtberner darüber, warum er als Paddelkiller gilt, und er verrät, wie viele seiner Trainingskollegen schon ausgeraubt worden sind. Spoiler: alle.

| Nik Egger | Sport
Dimitri Marx. Foto: Nik Egger
Dimitri Marx. Foto: Nik Egger

Was passiert, wenn ich als absoluter Anfänger in Ihr Kanu sitze?
Sie würden ziemlich schnell kentern. Es ist schwieriger, als man denkt. Da hat schon der eine oder andere Kollege von mir gedacht: «Das kann ja nicht so schwierig sein, lass mich mal probieren», und dann, tja … Das Gefühl für das Wasser kannst du nicht trainieren – ent­weder du hast es, oder du hast es nicht.

Wie haben Sie zum Kanusport gefunden?
Ich komme aus einer sehr sportbegeisterten Familie. Wir haben von jung auf immer viele Wassersportarten gemacht, und die Kanus waren in den Ferien unsere ständigen Begleiter. Im Frühling waren wir oft auf der Ardèche unterwegs (Fluss in Frankreich) und im Herbst auf Sardinien im Meer. Ein weiterer entscheidender Punkt ist, dass wir ins Berner Obstbergquartier neben Peter Matti gezügelt sind. Er ist eine Schweizer Kanulegende. Durch ihn habe ich mich früh für den Sport begeistert.

Der Kanusport ist hierzulande nicht gerade populär. Das Leistungszentrum liegt in Frankreich hinter der Schweizer Grenze und gleicht eher einer Zivilschutzunterkunft aus den 70er-Jahren als einer Anlage für Profisportler.
In der Schweiz haben wir leider keinen Kanal, um zu trainieren. Das ist ungefähr so, wie wenn eine Fussballmannschaft keine Tore hat. Deswegen wohne ich unter der Woche in Basel bei meiner Freundin und fahre jeden Tag nach Hüningen in Frankreich, um auf dem Wasser trainieren zu können. Das ist ehrlich gesagt eine etwas seltsame Ecke dort. Jeder aus meinem Team wurde schon einmal ausgeraubt. Mir haben sie von einem vorbeifahrenden Töff aus die Tasche geklaut. Im Winter ist es in Europa dann irgendwann zu kalt auf dem Wasser, dann reisen wir für ein bis zwei Monate in wärmere Gefilde nach Australien, Brasilien, Dubai oder La Réunion.

Was fasziniert Sie an diesem Sport?
Es klingt vielleicht etwas komisch, aber es ist eine der komplexesten Sportarten. Erstens ist es sehr physisch, Kraft und Ausdauer spielen eine grosse Rolle. Zweitens ist es extrem technisch. Man hat nie ausgelernt, und oft geht es um Millimeter, ob man ein Tor erwischt oder nicht. Drittens findet der Wettkampf auf Wildwasser statt. Auch wenn es künstliche Kanäle sind, ist jeder Run anders, das Wasser nie gleich. Auf diese Begebenheiten muss man reagieren können. Das alles zusammen macht den Sport sehr abwechslungsreich.

Sie sind 1,91 Meter gross und 90 Kilogramm schwer. Damit sind sie mit Abstand der grösste und schwerste Athlet in Ihrer Kategorie. Was hat Ihre Statur für einen Einfluss auf dem Wasser?
Sie hat Vor- und Nachteile. Wenn ich nach hinten liege, brauche ich viel mehr Energie, um wieder nach vorne zu kommen, und das Boot hat mehr Tiefgang als bei den anderen. Dafür habe ich die längsten Arme und somit den grössten Hebel. Auch bei den Booten hat die Körpergrösse einen Einfluss. Für mich gibt es nicht viel Auswahl, und es kann sein, dass ein Kanu eher schlechter gebaut ist, weil die Hersteller auf normale Grössen spezialisiert sind.

Das Kanu sieht ja aus wie ein Hightechgerät. Wie viel kostet so ein Boot?
Die Slalomboote sind aus Carbon, da kostet eines um die 3000 Franken. Die Kajak-Cross-Boote, wo man wie beim Skicross zu viert gleichzeitig gegeneinander fährt, sind aus Plastik und deswegen billiger. Das Material kommt aus Tschechien und England und ist auf Mass angefertigt. Das heisst, ich kann sagen, wie das Kanu vborne und hinten geformt sein soll. Das Paddel ist ebenfalls aus Carbon, und da ist mein Hebel, die Kraft dann ein Nachteil: Ich bin bekannt als Paddelkiller. Diese Saison waren es fünf oder sechs, die ich zerstört habe.

Wie wichtig ist Ihnen das Umfeld?
Eine familiäre Umgebung ist mir sehr wichtig, damit ich mich im Training und im Leben daneben wohl fühle. Für die Olympiavorbereitung sind wir eine Trainingsgruppe von drei Leuten: meine Schwester, ein Kollege und ich. Mit dabei ist natürlich auch immer ein Trainer. In dieser Konstellation verbringen wir auch privat sehr viel Zeit miteinander. Es würde mir glaube ich Mühe bereiten, wenn ich nur auf mich alleine gestellt wäre und mich mit den anderen nicht austauschen könnte – egal ob auf oder neben dem Wasser, über den Sport oder über Privates.

Was war die heikelste Situation, die Sie auf dem Wasser erlebt haben?
Im Wettkampf passiert eigentlich nie etwas wirklich Gefährliches, ausser vielleicht mal eine ausgerenkte Schulter oder ein Paddel an den Kopf. Gefährlich sind Wildwasser und Wasserfälle. Einmal hat es mich auf einem Fluss im Tessin unter eine Steinplatte gedrückt. Das Problem ist in so einer
Situation, dass dich unter Wasser niemand sieht. Zum Glück hatte mein Helm eine Art Kappe mit einer Luft­blase drin, und ich konnte mich aus eigener Kraft wieder befreien.

Sie sind Vizeeuropameister, Weltcupsieger und Weltnummer zwei in der Disziplin Kajak Cross. Verglichen mit anderen Sport­arten bekommen Sie in der Schweiz nur wenig Aufmerksamkeit und Unterstützung. Stört Sie das?
Manchmal ist es etwas schade. Die Leute wissen oft gar nicht genau, was ich mache. Wenn ich erzähle ich sei Kanufahrer, fragen manche, ob ich denn daneben noch etwas Richtiges arbeite. Einen Fussballprofi fragt das niemand. Aber es ist auch an uns als Team, das zu ändern. Unsere Resultate werden immer besser, und ich hoffe, dass so mit der Zeit auch mehr Geld in den Verband kommt. Und dass die Leute irgendwann wissen, dass ich eben nicht rudere, sondern paddle (siehe Box).

Was ist der Unterschied zwischen den Disziplinen Slalom und Kajak Cross?
Beim Slalom fährt man alleine möglichst schnell und fehlerlos durch den Parcours. Es ist filigran und sehr technisch. Beim Cross fährt man zu viert gleichzeitig, vergleichbar mit dem Skicross. Da gibt es Körperkontakt, beim Start rutscht man zu viert nebeneinander über eine Rampe hinunter, es ist ziemlich spektakulär. Und der Zuschauer sieht sofort, wer gewonnen hat: Der Erste, der im Ziel ist. Was speziell ist: Kajak Cross, meine Paradedisziplin, ist in Paris das erste Mal olympisch.

Im Sommer steht die Olympiade in Paris an. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet?
Ich war angestellt als Zeitmilitär. In der Schweiz gibt es alle vier Jahre acht Plätze für Sommer- und acht Plätze für Wintersportarten. Diese Stellen ermöglichen es Sportlern, sich auf die Olympischen Spiele vorzubereiten. Ich bin der erste Kanufahrer, der diese Stelle je bekommen hat.

Ganz sicher, dass Sie an den Olympischen Spielen dabei sind, ist es aber noch nicht. Warum nicht?
Das Niveau im Schweizer Team ist so hoch wie schon lange nicht mehr. Das ist zwar super, weil es alle pusht, aber für eine Olympiaqualifikation ist es nicht die einfachste Generation. Es kann in jeder Disziplin nur einer gehen. Aber im Kajak Cross habe ich im Juni am Weltcup in Prag die Chance, mich zu qualifizieren.

Falls Sie die Qualifikation schaffen, was ist Ihr Ziel an Olympia?
Ich habe das Niveau, um eine Medaille zu holen. Der Stellenwert einer Olympiamedaille oder gar eines Sieges ist natürlich auch bei uns Kanutern ex­trem hoch.

Um so jung so erfolgreich zu sein, muss man wahrscheinlich auf einiges verzichten.
Ja das ist so. Mit acht oder neun Jahren habe ich begonnen, Kanu zu fahren, mit zwölf habe ich fast täglich trainiert. Während der Zeit im Gymnasium war ich der Sonderling, weil ich halt nicht in den Ausgang gegangen und mit dem Paddel zur Schule gekommen bin. Ich musste mir damals schon den einen oder anderen Spruch anhören. Aber im Nachhinein hat es sich mega ausgezahlt, dranzubleiben und es durchzuziehen. Ich habe nicht das Gefühl,
irgendetwas verpasst zu haben.

Wie gehen Sie mit Misserfolg um?
Grundsätzlich kann ich Dinge gut abhaken. Aber wenn ich mich nicht für Olympia qualifizieren würde, das würde mich definitiv ärgern. Ich habe vier Jahre auf dieses Ziel hingearbeitet. Aber klar, ich bin auch erst 25 Jahre alt und habe noch Zeit. Im Kanu ist der Leistungshöhepunkt bei 30 Jahren, weil Erfahrung extrem wichtig ist. Und ich hatte nicht von jung auf beste Trainingsbedingungen wie beispielsweise die Tschechen oder Engländer. Mich motiviert es sehr, wenn ich sehe, wie viel Potenzial noch da ist, wie viele Dinge ich noch verbessern kann.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Kanusports?
Ich fände es cool, wenn Kanu in der Schweiz bekannter werden würde und der Sport mehr Unterstützung kriegt. Auch finanziell – damit alle Kanu fahren können, die das wollen, und nicht nur die, die es vermögen.

Kanufahren vs. Rudern
Kanuten bewegen sich in einem Boot in Blickrichtung vorwärts. Sie benutzen dafür ein Paddel. Dieses ist nicht befestigt. Ruderer bewegen sich in ihrem Boot in Blickrichtung rückwärts. Sie benutzen dafür Riemen oder Skulls. Die sind am Boot befestigt. (nik)

 


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