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Hängt Aggression mit Selbstwert zusammen?

Haben aggressive Menschen ein zu geringes oder gar ein zu ausgeprägtes Selbstwertgefühl? Das ist eine der Fragen, auf welche die
Psychologie noch keine schlüssige Antwort hat. Da aber Erkenntnisse zum Nutzen der Gesellschaft in Aussicht stehen, nimmt sich ihrer der Berner Psychologe Ulrich Orth in einem anspruchsvollen Forschungsvorhaben an.
 

| Universität Bern | Gesellschaft
Ulrich Orth ist Professor für Entwicklungspsychologie am Institut für Psychologie der Uni Bern
Ulrich Orth ist Professor für Entwicklungspsychologie am Institut für Psychologie der Uni Bern. Foto: zvg

Was wollen Sie herausfinden?

Das Ziel des Forschungsprojekts ist es, besser zu verstehen, wie das Selbstwertgefühl von Menschen mit ihrer ­Aggressionsneigung zusammenhängt. Zu dieser Frage gibt es in der Forschungsliteratur sehr verschiedene Meinungen. Einerseits wird argumentiert, dass ein niedriges Selbstwertgefühl ein Risikofaktor für Aggression ist. So könnte es zum Beispiel sein, dass Menschen mit niedrigem Selbstwertgefühl Mobbing-Verhalten zeigen, weil sie glauben, damit ihren sozialen Status in der Gruppe zu erhöhen.

Andererseits wurde aber auch vorgeschlagen, dass gerade ein hohes Selbstwertgefühl, was ja eigentlich nützlich und wünschenswert sein sollte, eine Eigenschaft ist, die bei manchen Menschen mit Aggression einhergeht. Mit anderen Worten: dass ein hohes Selbstwertgefühl eine dunkle Seite haben könnte. 

Die Frage ist also, wenn Kinder, ­Jugendliche und Erwachsene durch aggressives Verhalten auffallen, ist ein Mangel an Selbstwertgefühl dahinter oder eher ein übertrieben hohes Selbstwertgefühl, oder ist die ­Erklärung komplizierter? 

Wieso ist das aus wissenschaft­licher Sicht wichtig?

Weil es so widersprüchliche Annahmen gibt, wie das Selbstwertgefühl die Aggressionsneigung beeinflusst, ist es wichtig zu versuchen, ein empirisch besser abgesichertes Verständnis zu gewinnen.

Aus diesem Grund führen wir im Projekt eine umfassende Metastudie durch, bei der wir die Daten aus allen verfügbaren Längsschnittstudien zusammenführen und auf diese Weise solide Schlussfolgerungen ziehen wollen. Zudem nutzen wir Daten aus einer laufenden, gross angelegten, über mehrere Jahre laufenden Längsschnittstudie mit über 600 Familienaus den USA, mit denen wir Hypothesen testen können, die nicht mit der Metastudie beantwortet werden können. Zum Beispiel, dass ein gutes Selbstwertgefühl normalerweise zu weniger Aggressionen führt und dass erst ein extrem hohes Selbstwertgefühl problematisch ist.

Was für ein Nutzen könnte für die Gesellschaft resultieren?

Aggression ist in vielen gesellschaftlichen Kontexten ein bedeutsames Problem, zum Beispiel in der Familie, in der Partnerschaft, in der Schule und am Arbeitsplatz. Angesichts der teilweise schwerwiegenden psychischen, sozialen, gesundheitlichen und materiellen Konsequenzen für die Opfer von Aggression und die Gesellschaft als Ganzes, ist es essenziell, die Einflussfaktoren auf Aggression besser zu verstehen. 

Es gibt viele Faktoren, die zu aggressivem Verhalten beitragen können. Falls ein Mangel oder ein Zuviel an Selbstwertgefühl ein aggressionsfördernder Faktor ist, möchten wir mit diesem Projekt Wissen beitragen, welches helfen kann, das Auftreten von Aggressionen besser zu erklären und Massnahmen zur Reduktion von Aggressionen wirksamer zu machen.

Was fasziniert Sie persönlich an diesem Forschungsprojekt?

Ein Aspekt, der mich am Forschungsprojekt fasziniert, ist, dass es um Fragen geht, die seit langer Zeit in der Psychologie diskutiert werden, ohne dass es bisher gelungen ist, gesichertes Wissen zu diesen Fragen zu haben. Von daher ist das Ziel, die Fragen systematischer als bisher zu testen und auch mit Hilfe einer grösseren Datenbasis als das bisher möglich war. 

Die Forschungsfragen sind zudem eingebettet in die Forschung zur allgemeineren Frage, ob das Selbstwertgefühl von Menschen lediglich eine passive Folge von günstigen oder ungünstigen Lebensumständen ist, oder ob das Selbstwertgefühl eine aktive Rolle spielt und zentrale Lebensbereiche beeinflusst. 

Was ist die grösste Herausforderung beim Forschungsprojekt?

Eine wichtige Herausforderung im Rahmen der Metastudie besteht darin, die relevanten Längsschnittstudien zu identifizieren. Um die Ergebnisse aussagekräftig zu machen, ist es wichtig, die Daten so vollständig wie möglich zusammenzutragen.

Zudem stellen sich wichtige, aber spannende Herausforderungen bei der Datenanalyse. So werden wir neuartige statistische Modelle verwenden, die bessere Schlussfolgerungen im Hinblick auf die Ursache-Wirkung-Beziehung erlauben, als das bisher der Fall war. Konkret: Die Frage ist nicht nur, ob niedriges Selbstwertgefühl und Aggression gleichzeitig auftreten, sondern ob das eine tatsächlich das andere auslöst. 

Wie ist das Forschungsprojekt finanziert? 

Das Forschungsprojekt wird vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert und läuft seit Mai 2023. An der Universität Bern arbeiten eine Doktorandin und ich an den Teilprojekten. Für eines dieser Teilprojekte arbeiten wir zudem mit einem Projektpartner in den USA zusammen, der an der University of California in Davis die erwähnte Langzeitstudie mit Familien durchführt.

 

Ulrich Orth

 

Ulrich Orth ist Professor für Entwicklungspsychologie am Institut für Psychologie der Uni Bern. Seine Forschungsinteressen gelten vor ­allem der Entwicklung des Selbstwertgefühls und der Persönlichkeitsentwicklung. 2020 wurde Orth mit dem Mid-Career-Award der European Association of Personality Psychology ausgezeichnet. 

 

Weitere Beiträge zum Thema: www.uniaktuell.unibe.ch


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