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Empathie und Kooperation bei Ratten

Ratten befreien eingesperrte Artgenossen, was ihnen daraufhin ermöglicht, gemeinsam Futter zu beschaffen. Dies zeigen Experimente von Forschenden der Universität Bern.

| Universität Bern | Gesellschaft
Zwei Ratten haben Futter gefunden.
Symbolbild. Foto: Nikolett Emmert

Frühere Studien aus der Verhaltensforschung zeigen, dass Laborratten Artgenossen aus einer Röhre befreien, in der sie für das Experiment eingesperrt wurden. Diese Beobachtung löste in der Wissenschaft Diskussionen über die Fähigkeit von Tieren zu empathischem Verhalten aus. Viele Forschende sahen darin einen Beleg, dass auch Tiere Mitgefühl mit anderen haben können, die sich in einer unliebsamen Situation befinden. Eine evolutive Erklärung für das Verhalten war bislang allerdings ausstehend. In einer neuen Studie untersuchte ein Team der Abteilung für Verhaltensökologie des Instituts für Ökologie und Evolution der Universität Bern, welche Vorteile die Befreiung eines Artgenossen haben kann: bietet sie entweder künftige Kooperationsmöglichkeiten bei der Futtersuche, oder dient sie in erster Linie der Unterstützung von Verwandten? Damit soll herausgefunden werden, ob die gegenseitige Abhängigkeit oder die Verwandtenselektion für die Evolution dieses Verhaltens verantwortlich sein könnte. Die Ergebnisse der aktuellen Studie zeigen, dass Ratten, die von einem Artgenossen befreit wurden, bei der anschliessenden Futtersuche mit diesem kooperierten. Für die Kooperationsbereitschaft war die zuvor erfahrene Hilfe verantwortlich, während die Verwandtschaft zwischen den Tieren keine Rolle spielte. Die Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift iScience publiziert.

Wer hilft, dem wird geholfen
Für die Untersuchung wurden die ursprünglichen Experimente wiederholt, die gezeigt haben, dass Ratten Artgenossen aus einer Röhre befreien, jedoch mit einer entscheidenden Erweiterung. Nach der Befreiung erhielten die Tiere die Möglichkeit, gemeinsam Futter zu beschaffen. Ziel des Experiments war es herauszufinden, ob eine Ratte, die von einem Artgenossen befreit wurde, sich eher mit diesem Artgenossen koordinieren würde, um an Futter zu gelangen, als mit einem Artgenossen, der keine Hilfe leistete. Das Experiment lieferte eindeutige Ergebnisse: Ratten, die von einer anderen Ratte befreit wurden, zeigten eine höhere Bereitschaft, mit dieser zusammenzuarbeiten, um an Futter zu gelangen, als mit einer Ratte, die keine Hilfe geleistet hatte. «Dies zeigt, dass das Prinzip ‘Gegenseitigkeit’ auch über unterschiedliche Leistungen hinweg kooperatives Verhalten fördern kann», erklärt Sacha Engelhardt, Erstautor der Studie und ehemaliger Postdoktorand in der Abteilung für Verhaltensökologie des Instituts für Ökologie und Evolution der Universität Bern.

Verwandtschaft spielt keine Rolle
«In der Regel geht man davon aus, dass die Bereitschaft zu kooperieren stark davon abhängt, ob die Tiere miteinander verwandt sind», erklärt Michael Taborsky, Leiter der Studie. Eine Vielzahl der bislang untersuchten Beispiele kooperativen Verhaltens lassen vermuten, dass Zusammenarbeit im Tierreich in erster Linie zwischen verwandten Tieren stattfindet. Deshalb untersuchte die Forschungsgruppe in einem weiteren Experiment, ob auch bei den Ratten die Verwandtschaft die Kooperationsbereitschaft bei der Futterbeschaffung beeinflusst. Die Ergebnisse zeigen allerdings, dass die Verwandtschaft keinen signifikanten Einfluss auf die Zusammenarbeit hat. «Einmal mehr sind damit Ratten ein Beispiel dafür, dass soziale Erfahrungen und erfahrene Hilfe wichtiger für die Kooperationsbereitschaft sind, als durch Verwandtschaft bedingte genetische Ähnlichkeit», so Taborsky. Diese neuen Ergebnisse bestätigen bereits vorliegende Erkenntnisse der Forschungsgruppe – in einer früheren Untersuchung konnte gezeigt werden, dass gegenseitig ausgetauschte Hilfe zwischen nicht-miteinander verwandten Tieren sogar besser funktioniert, als zwischen verwandten Tieren. Die neuen Erkenntnisse bestätigen daher die Annahme, dass Kooperationsbereitschaft generell stärker von vorangegangener sozialer Erfahrung abhängt, als von miteinander geteilten Genen.

Empathie als Produkt der natürlichen Selektion?
Die Ergebnisse der Studie werfen ein neues Licht auf die Frage nach den biologischen Wurzeln der Empathie. Die Tatsache, dass Ratten mit ihren Befreierinnen eher und besser kooperieren, deutet darauf hin, dass hilfsbereites Verhalten gegenüber Artgenossen in Not die eigenen Überlebens- und Fortpflanzungschancen erhöhen kann und sich deshalb im Laufe der Evolution ausbreitet. «Dies könnte bedeuten, dass mitfühlendes Verhalten durch natürliche Selektion gefördert wird und damit eine biologische Grundlage hat. Es legt aber auch nahe, dass Empathie vielleicht nicht eine rein menschliche Eigenschaft ist», sagt Taborsky abschliessend. In einem nächsten Schritt sollen die neurobiologischen Mechanismen des scheinbar mitfühlenden Verhaltens und seine Verbreitung bei sozialen Tierarten im Allgemeinen aufgeklärt werden.

Institut für Ökologie und Evolution, Universität Bern

 


Die Abteilung Verhaltensökologie des Instituts für Ökologie und Evolution

Die Abteilung Verhaltensökologie des Instituts für Ökologie und Evolution an der Universität Bern untersucht die evolutiven Mechanismen, die tierischem Verhalten zugrunde liegen, in Abhängigkeit von ökologischen und sozialen Bedingungen. Damit schafft sie im Verbund mit den anderen Abteilungen des Instituts eine wissenschaftliche Basis für das Verständnis und die Erhaltung der lebenden Umwelt. Sie untersucht die Mechanismen, durch die Organismen auf ihre Umwelt reagieren und mit ihr interagieren, einschliesslich phänotypischer Reaktionen auf individueller Ebene, Veränderungen in Häufigkeiten von Genen und Allelen auf Populationsebene, wie auch die Evolution von zentralen Elementen tierischen Verhaltens und von Sozialsystemen aller Art.


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