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«Wer bin ich und wo gehöre ich hin?»

«Am Freitag feiern die Abschlussklassen der Rudolf-Steiner-Schule Bern Ittigen Langnau im Tojo-Theater die Premiere ihres Tanztheaters. Ein Blick
hinter die Kulissen, wo die Vorbereitungen auf Hochtouren laufen.

| Regula Portillo | Kultur
Schülerinnen und Schüler der Rudolf Steiner Schule Bern Ittigen Langnau bei den Proben ihres Abschlussstückes «Carnaval OP 9 und Andorra 2.0» Foto: zvg

Kurz aufeinander treffen die jungen Erwachsenen am frühen Abend im grossen Saal der Steinerschule in Ittigen zur Theaterprobe ein, wo sie bereits vom Regie-Duo Dominique Jann und Lena Ashkenazi erwartet werden. Heute will man an den Texten feilen und einzelne Szenen aneinanderreihen. Zudem müssen noch Lichtproben gemacht, Requisiten organisiert und Texte geschrieben werden für das Programmheft. Die Darbietung, welche die 40 Schülerinnen und Schüler vorbereiten, ist gleichbedeutend mit dem baldigen Ende der gemeinsamen Schulzeit. Mischt da auch eine gewisse Melancholie mit? «Einerseits ja. Andererseits fühlt sich der Schulabschluss auch befreiend an», sagt Eyana (18), die seit dem Kindergarten an der Steinerschule ist und sich auf den Beginn ihrer Kochlehre freut. Doch noch ist es nicht ganz so weit. Vorerst gilt für sie und ihre Mitschülerinnen und Mitschüler: Volle Konzentration und Endspurt für einen unvergesslichen Abend und würdigen Abschluss.

Teil I: Carnaval OP 9

Das zweiteilige Programm, welches sowohl im Tojo-Theater als auch am Schulstandort Ittigen aufgeführt wird, beginnt mit einem eurythmischen Maskenball, der auf dem Klavierzyklus Carnaval von Robert Schumann aufbaut. Als obligatorisches Kernfach geniesst Eurythmie an den Steinerschulen einen hohen Stellenwert. «Für mich ist es eine Art Ausdruckstanz zu Musik oder Gedichten, wo es darum geht, ein Raumbewusstsein zu entwickeln, die Energie im Raum aufzunehmen und darzustellen», erklärt Lynese (17), die schon des Öfteren gefragt wurde, was Eurythmie genau sei. Für das Eurythmie-Stück hat sie, die auch in ihrer Freizeit gerne tanzt, mitgeholfen, eine Choreo zu entwickeln und diese mit den anderen einzustudieren. «Dabei werden die verschiedensten Facetten des Menschseins dargestellt», verrät sie. «Es wird kraftvoll, laut und bunt.»

Teil II: Andorra 2.0

Ursprünglich wollten die beiden 12. Klassen für den zweiten Vorführungsteil passend zum Carnaval-Thema ein Theaterstück schreiben. Doch nachdem sie vergebens versucht hatten, ­einen roten Faden zu entwickeln, reifte der Entscheid heran, «Andorra» von Max Frisch umzusetzen und dabei ­einen besonderen Fokus auf das Thema der Mitläuferinnen und Mitläufer zu legen. «Zwischen den beiden Stoffen Carnaval und Andorra gibt es durchaus Parallelen», sagt die begleitende Lehrperson Lena Ashkenazi. «Etwa die Frage nach der eigenen Identität und unserem Rollenverständnis. Wie sehe ich mich selbst, wie werde ich wahrgenommen und wie blicke ich auf andere?»
Lena Ashkenazi hat selbst auch die Rudolf-Steiner-Schule besucht, an der sie heute Deutsch, Geschichte und Staatskunde unterrichtet. Dazwischen studierte sie unter anderem Theater- und Tanzwissenschaften. «Ich habe das Theaterspiel und meine Leidenschaft dafür während meiner Schulzeit entdeckt», sagt sie. «Umso schöner, wenn ich etwas davon weitergeben kann. Bis heute ist es mir ein grosses Anliegen, dass diese jungen Menschen ‹gesehen› werden und sich auch so fühlen.»
Schauspiel auf hohem Niveau
Inzwischen haben sich die Jugendlichen auf verschiedene Räume verteilt, um in die einzelnen Szenen einzutauchen. Es ist nicht leicht, sich innert kurzer Zeit alle Texte und Einsätze einzuprägen. Manche drehen mit der Textvorlage in der Hand spazierend ihre Runden, sprechen dabei leise vor sich hin. Andere üben zu zweit. Im grossen Raum wird mit dem freischaffenden Schauspieler, Regisseur und Theaterpädagogen Dominique Jann geprobt, der bereits das vierte Jahr in Folge mit den Abschlussklassen zusammenarbeitet. «Stimmt es, Hochwürden, dass ich anders bin als alle anderen?», fragt David (18) in der Rolle des Andri in perfektem Bühnendeutsch, worauf Dominique Jann einen Vorschlag macht, wie David die Verzweiflung noch besser zum Ausdruck bringen könnte. Beim zweiten Versuch funktioniert es schon viel besser. Dass Theater Bestandteil des Unterrichts ist, ist leicht zu erkennen. Geübt bewegen sich die Jugendlichen auf der Bühne, verkörpern ihre Rollen mit Überzeugung, ohne jegliche Hemmungen.

Ein letzter Paukenschlag

Es liegt ein besonderer Zauber in der Luft, dass diese jungen Menschen hier noch einmal etwas richtig Grosses zusammen schaffen und der Öffentlichkeit präsentieren wollen, bevor sie schliesslich getrennte Wege gehen. Insofern dürfen die Abschlussvorstellungen der Steinerschülerinnen und -schüler mit Spannung und Vorfreude erwartet werden: Spektakel, Begeisterung und wohl die eine oder andere Träne inklusive.

Tojo, Theater Reitschule Bern: 21. und 22. Juni, 19.30 Uhr
Reservation: www.tojo.ch
Rudolf-Steiner-Schule, in Ittigen: 28. Juni, 19.30 Uhr, 29. Juni, 18.00 Uhr
Die Vorstellungen sind öffentlich. Eintritt frei, Kollekte




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