Skip to main content

-


Anzeige

Anzeige


«Kitas müssen sich nach dem Markt ausrichten»

Die Stadtberner Kitas kämpfen um ihre Auslastung. Alex Haller, Leiter Familie & Quartier der Stadt, hinterfragt das Kita-Modell – und glaubt trotzdem daran.

| Léonie Hagen | Politik
Alex Haller setzt sich für bedarfsgerechte Betreuungsangebote in der Stadt ein.Foto: Léonie Hagen

Alex Haller, heute gibt es in der Stadt Bern fast doppelt so viele Kitas wie noch vor zehn Jahren. Lange gab es viel zu wenig Plätze. Aber heute kämpfen viele Kitas darum, ihre Plätze füllen zu können. Was ist passiert?

Unsere Stadt ist gewachsen und mit ihr auch die Nachfrage nach einer angemessenen Kinderbetreuung. Im Jahr 2014 hat die Stadt flächendeckend das Betreuungsgutscheinsystem eingeführt, welches einen Wechsel von der Objekt- zur Subjektfinanzierung zur Folge hatte. Gleichzeitig haben wir seit 2020 einen leichten, aber spürbaren Geburtenrückgang in der Stadt. Zudem wurde das Tagesbetreuungsangebot der Volksschulen ausgebaut und auf Kindergartenkinder ausgerichtet. Und schliesslich hat sich die Nachfrage selbst verändert.

Inwiefern?

Früher liessen Familien ihre Kinder vier bis fünf Tage pro Woche in der Kita betreuen. Heute arbeiten die Eltern häufig Teilzeit. Damit sinkt das durchschnittliche Betreuungspensum. Ein Viertel aller Kita-Kinder wird heute an weniger als zwei Tagen pro Woche betreut. Das heisst auch: Obwohl es insgesamt gleich viele Kinder zu betreuen gibt, sinken die Pensen und die Auslastung einer Kita. Besonders herausfordernd für einen Kita-Betrieb ist, dass Dienstag- und Donnerstag-Betreuung extrem stark nachgefragt wird, währenddem an anderen Tagen die Auslastung tief ist.

Der Druck steigt, auch auf die städtischen Kitas. Kommt es nach der Matte-Kita zu weiteren Schliessungen?

Nicht nur die städtischen Kitas kämpfen mit der zu tiefen Auslastung. Auch private Kitas stehen vor betriebswirtschaftlichen Herausforderungen. Einige haben ihr Angebot bereits abgebaut oder Standorte geschlossen. Die Schliessung eines Standorts ist ein einschneidender Entscheid für die Betroffenen und das Quartier, daher gilt es, diese nach Möglichkeit zu vermeiden. Aber auch die städtischen Kitas müssen das betriebswirtschaftlich Notwendige tun, da bei ihnen keine Defizitfinanzierung erlaubt ist. Einen Schliessungsentscheid fällt aber niemand leichtfertig, ob städtische oder private Kita.

Die Kinder aus der Matte sollen künftig im Altenberg betreut werden. Die städtische Kita dort ist aber schon stark ausgelastet …

Die Platzverhältnisse in der Kita Altenberg lassen einen Ausbau der Betreuungsplätze zu. Für alle Kinder aus dem Matte- und Marzili-Quartier, die weiterhin einen Betreuungsplatz wünschen, gibt es Platz in der Kita Altenberg.

Man könnte auch sagen: Es geht eine gewisse Grundversorgung verloren.

Für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf braucht es eine gute, in den Quartieren verankerte Kinderbetreuung. Als Betreiberin von insgesamt dreizehn Kitas wollen wir prioritär dort Betreuungsplätze anbieten, wo die Versorgung tiefer ist und wir aufgrund der sozialen Zusammensetzung des Quartiers präsent sein wollen. Unsere Kitas sind daher ein wichtiger Baustein im System der frühen Förderung. Wichtig ist zudem: Für Kinder ab dem Kindergarten ist die Betreuung flächendeckend in der schulischen Tagesbetreuung sichergestellt.

Wieso können Sie die Kita Matte nicht kostendeckend betreiben?

Damit wir eine Kita kostendeckend betreiben können, muss sie mindestens 24 Ganztagesplätze anbieten und besetzen können. Von dieser Mindest­anzahl sind wir in der Matte weit entfernt, zudem ist die Kita räumlich zu gross – die Raumkosten fallen besonders ins Gewicht. Wir würden für einen kostendeckenden Betrieb in der Matte eine Auslastung von mindestens 95 Prozent brauchen.

Trotzdem gibt es nun eine private Interessentin.

Jede Trägerschaft hat andere Voraussetzungen. Als Betreiberin der Kita Matte haben wir alle Möglichkeiten geprüft, die Kita kostendeckend führen zu können. Ohne Erfolg.

Die fehlende Auslastung der Kitas ist auch politisch bedingt: Kindergartenkinder können sich seit ein paar Jahren in der Schule ganztags betreuen lassen. Ein Fehlentscheid?

Nein, die Tagesbetreuung ist eine Erfolgsgeschichte. Jedes Kind hat ein Recht auf einen Betreuungsplatz. Zudem ist die Tagesbetreuung der Schulleitung vor Ort unterstellt. Bildung und Betreuung kommen so aus einer Hand und liegen örtlich eng beieinander. Und der Betreuungsschlüssel in der Tagesbetreuung wurde verbessert. Die Tagesbetreuung bietet für Kindergartenkinder bedarfsgerechtere Betreuungsangebote, und die Kosten für die Betreuung sind tiefer. Aber ja: Für uns als Kita-Betreibende verändern sich damit die Rahmenbedingungen, und wir müssen uns daran anpassen – das gilt nicht nur für die städtischen Kitas, sondern auch für alle privaten Trägerschaften.

Das klingt, als hätte das Kita-Modell ausgedient. Braucht es Kitas in dieser Form noch?

Auf jeden Fall! Der Fokus für die Kitas liegt auf Kindern vor dem Kinder­gartenalter. Kitas sind oft der erste Ort, an dem ein Kind in einer Gruppe interagiert. Dafür sind Aktivitäten, die in Halb- oder Ganztagesblöcken stattfinden, von grossem Wert. Und nicht zu vergessen: Für Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund sind Kitas auch für den Spracherwerb enorm wichtig. Sie sind ein wichtiger Baustein in der frühen Förderung.

Gleichzeitig haben Sie eingangs selbst festgestellt: Gerade das wird weniger nachgefragt.

Früher kannten Kitas aus pädagogischen Gründen ein Mindestpensum. Da die Eltern aber kleinere Pensen nachfragen, müssen wir uns nach den Bedürfnissen des Marktes ausrichten und die Mindestpensen senken. Hier befinden wir uns in einem Spannungsfeld: Auf der einen Seite die Bedürfnisse der Eltern, auf der anderen sind wir als Kita-Betreiberin auch pädagogischen Grundsätzen verpflichtet.

Wer soll für diese Grundsätze aufkommen?

Wenn die Kinderbetreuung in Kitas als Teil der Grundversorgung mit hoher gesellschaftlicher Bedeutung anerkannt würde, könnte die Kinder­betreuung als Teil des Service public finanziert werden. So könnten auch dort Kita-Plätze angeboten werden, wo es sie im heutigen «Kita-Markt» nicht in genügender Zahl gibt. Um diese politische Frage ringen derzeit die Akteurinnen und Akteure auf bundespolitischer Ebene.

 

Private Lösung für die Matte-Kita in Sicht – für andere städtische Kitas ist vieles offen

«Rettet unsere Kita»: Mit diesem Aufruf sammelte eine Elterngruppe diesen Sommer Unterschriften. Sie wehrte sich damit gegen die Schliessung der städtischen Kita im Mattequartier – und löste eine Grundsatzdiskussion über die Kinderbetreuung in der Stadt aus.

Ende Juni hatte die Stadt Bern bekannt gegeben, dass sie ihre Kita im Mattequartier per Februar 2025 schliessen müsse. Der Betrieb könne nicht kostendeckend geführt werden, so die Begründung. Mit der Kita-Betreiberin Matahari gibt es zwischenzeitlich eine private Interessentin für den Standort an der Aarstrasse. Sicher ist aber noch nichts. Sollte sich kein Ersatz am selben Standort finden, soll in der Kita im Altenberg-Quartier genug Platz für alle Kinder geschaffen werden, welche dort einen Platz wünschen.

In den letzten zehn Jahren hat sich die Lage der Kitas in der Stadt drastisch verändert: 2013 gab es noch 53 Kindertagesstätten in Bern. Heute sind es deren 93, fast doppelt so viele. Mit der Pandemie ist aber auch der Bedarf für auswärtige Betreuung seitens der Eltern zurückgegangen. Da auch der Anteil der Teilzeit arbeitenden Eltern stetig wächst, werden die Kinder nun an weniger Tagen pro Woche in die Kita geschickt. In den letzten zehn Jahren ist das durchschnittliche Betreuungspensum von 52,2 auf 45,9 Prozent zurückgegangen. Das liegt auch daran, dass zunehmend Pensen von weniger als zwei Tagen pro Woche angeboten werden. Das betrifft heute einen Viertel der Kinder. Zudem können Kinder im Kindergartenalter neu in der Schule tagsüber betreut werden. Insgesamt gibt es also «weniger» Kinder zu betreuen – und zu viele Kita-Plätze.

Der Wandel betrifft die auch städtischen Kitas. Sie haben als Teil der städtischen Betriebe höhere Fixkosten als private Kitas. Per Abstimmungsentscheid von 2013 darf die Stadt diese Kosten aber nicht mit Subventionen decken. Damit sollte die Gleichbehandlung gegenüber privaten Kitas gesichert werden. Seitens Stadt spricht man von längerfristigen Lösungen, welche es zu suchen gelte – auch eine Reevaluation der getroffenen Volksentscheide steht im Raum. Insgesamt werde auch bei den Privaten eine «Strukturbereinigung» unumgänglich, wie Gemeinderätin Franziska Teuscher (GB) an einer Medienkonferenz vergangene Woche sagte. Wie diese aber konkret aussehen soll, ist bisher noch nicht bekannt.


Ihre Meinung interessiert uns!


Verwandte Artikel