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Die Pfade der Volksherrschaft

Eine besonders hohe Bedeutung scheint die Unterteilung in politisch rechts und links in der Herrschaftsform zu tragen, von der wir jeden Tag profitieren dürfen: die Demokratie.

| Thomas Abplanalp | Politik
Demokratie
Bereits im antiken Griechenland stimmten freie Männer über politische Fragen ab. Frauen, Sklaven und Fremde hatten nichts zu melden. Bild erstellt mit Microsoft Designer.

Wir schreiben das Jahr 514 vor Christus. Athen. Das Volk hat genug von der Tyrannei des damaligen Herrschers. Deshalb weint das Volk höchstens Krokodilstränen, als eine Gruppe von Verschwörern den Tyrannen ermorden. Jetzt stehen die Leute vor einem neuen Problem: Wenn sie keinen tyrannischen Alleinherrscher wollen, der vermeintlich für Recht und Ordnung sorgt, wer dann?

Ein paar Jahre später, 508 vor Christus, formuliert Kleisthenes eine Idee, die den Verlauf der Geschichte prägte. Der Politiker überlegt sich, dass sich in einem Stadtstaat wie Athen anböte, wenn das Volk, griechisch «demos», selbst herrschte, griechisch «kratos». Die Demokratie ist geboren.

Volk ist nicht gleich Volk

Die Idee der Demokratie ist so banal wie genial. Wenn Menschen zusammen ein Volk bilden, so sollen diese doch selbst bestimmen, welche Rechte und Gesetze gelten sollen. Gesagt, getan. Das Volk in Athen trifft sich regelmässig auf dem Markplatz, um gemeinsam über politische Angelegenheiten zu diskutieren und eben auch darüber abzustimmen.

Wenn in diesem Kontext von Volk die Rede ist, darf aber nicht vergessen werden, dass damit die freien Männer Athens gemeint sind. Frauen, Sklaven und Fremde dürfen sich an den politischen Entscheidungen nicht aktiv beteiligen.

Fast zweitausend Jahre später steht in der Schweiz deutlich mehr Menschen das Privileg zu, das politische Geschehen mitzuprägen. Doch auch hier dürfen nicht alle ihre Stimme abgeben. Man denke an Menschen unter 18 Jahren oder jenen Teil der Bevölkerung ohne Schweizer Pass.

Demokratie als Nebenstrasse

Bereits in der griechischen Antike setzt sich die Demokratie nicht durch. Beispielsweise fallen 262 vor Christus die Makedonier in Athen ein und nehmen sämtlichen Bürgern ihre Rechte. Und auch einer der bedeutendsten Philosophen überhaupt, Aristoteles, schrieb nicht nur positiv über die Demokratie. Wenn das gesamte Volk in einem Staat regierte, so Aristoteles, regierten die Armen, schliesslich gebe es in einem Staat mehr Arme als Reiche. Der Philosoph spricht in diesem Kontext von einer «Herrschaft des Pöbels».

Im Mittelalter steht es um die Demokratie bekanntermassen nicht besser. Die Hauptstrasse der Geschichte ist im Mittelalter gepflastert mit absolutistischen Herrschern. Aristoteles trägt hier gewissermassen eine Mitschuld. Viele Mönche im Mittelalter beschäftigten sich intensiv mit den Werken von Aristoteles. Sie bezeichneten den antiken Griechen gar als «den Philosophen». Und wenn «der Philosoph» die Demokratie infrage stellt, spielt das den christlichen Gelehrten natürlich in die Hände. So können sie nämlich die Idee des Gottesgnadentums leichter verbreiten, also die Vorstellung, dass Herrscher gottgewählt sind.
Erst in der Neuzeit verlassen verschiedene Philosophen die Hauptstras­se der Willkürherrschaft und erkunden die Nebenstrasse Demokratie. Schnell zeigen sich ganz unterschiedliche Demokratieverständnisse. Der erste gros­se juristische Durchbruch der Demokratie gelingt mit den «Bill of Rights» 1689 in England. Diese Vereinbarung schreibt dem Parlament gegenüber dem König deutlich mehr Rechte und damit Einflussmöglichkeit zu. Auch zu nennen sind die «Bill of Rights» in den USA aus dem Jahr 1788. Diese sichern der Bevölkerung als freie und demokratische Gesellschaft gewisse Grundrechte zu. Auch die Revolutionen in Frankreich und Deutschland tragen ihren Teil zur Erfolgsgeschichte der Demokratie bei.

Quantität und Qualität

Qualitativ lässt sich der Wert der Demokratie schlüssig begründen. Wenn ein Staat auf das Wohl möglichst aller Bürger ausgerichtet ist, dann bieten sich demokratische Mehrheitsentscheidungen an. Diese zeigen schliesslich, was zumindest die Mehrheit der stimmberechtigten Bevölkerung möchte. Dass sich alle immer über alle Entscheidungen und Beschlüsse freuen, ist eine schöne Vorstellung, doch kaum realistisch.

Quantitativ lässt sich der Wert der Demokratie nicht so leicht begründen. Auf die Frage, wie viel wer was in welchem Ausmass mitentscheiden soll, gibt es unzählige Antworten. Die Herrschaft der Mehrheit kann durch Versammlungen oder Abstimmungen ausgeführt werden, sprich direkt, oder aber auch durch Vertreter, indirekt. Natürlich sind auch Mischformen möglich. Beispielsweise haben wir in der Schweiz die Möglichkeit, in Form einer Initiative über alles Mögliche selbst abstimmen zu können. Gleichzeitig wählen wir auch Volksvertretende, die das politische Alltagsgeschäft für uns übernehmen. Müsste das gesamte Volk zu jeder Zeit an Beratungs-, Entscheidungs- und Ausführungsprozessen beteiligt sein, stünde das Land wohl still. Deshalb bewährten sich Errungenschaften wie Volksvertretende und die Gewaltenteilung.

Nicht nur aus zeitlichen Gründen stellen die Volksvertretenden eine Entlastung dar. Engagierte Politikerinnen und Politiker in der Schweiz nehmen sich Zeit und bemühen sich, die Komplexität politischer Fragestellungen zu verstehen und angemessene Lösungen zu finden, die bestenfalls im Interesse der Wählenden sind.

Kritik

Ausgehend von diesem Punkt steht eine Demokratie vor mindestens zwei He­rausforderungen.

Erstens besteht die Gefahr, dass sich Politikerinnen und Politiker weniger mit den einzelnen Themen auseinandersetzen, sondern eher mit der Frage, wie sie wiedergewählt werden. Zweitens stellt sich seit der griechischen Antike die Frage, ob die Mehrheit Entscheidungen treffen soll, oder Expertinnen und Experten, die sich mit einem Thema fundiert auskennen. In diesem Kontext folgt häufig das Beispiel mit der Operation: Angenommen, jemand muss am offenen Herzen operiert werden. Möchte diese Person wohl lieber, dass eine beliebige Gruppe von Menschen auf der Strasse angesprochen wird und darüber entscheidet, wie die Operation genau ablaufen soll, oder wäre es nicht besser, wenn eine Chirurgin oder ein Chirurg mit jahrelanger Erfahrung diese Operation durchführt?

Dieses Beispiel suggeriert die Antwort, dass Expertinnen und Experten entscheiden sollen. Hier stellt sich dann die Frage, ab wann jemand ein Experte oder eine Expertin ist. Zudem lassen sich politische Entscheidungen, die sich durch ihre Komplexität auszeichnen, vielleicht nicht wirklich mit Situationen vergleichen, in denen komplizierte Herausforderungen zu bewältigen sind. Bei der Operation lässt sich ein Richtig und Falsch benennen. Bei politischen Entscheidungen nicht.

Den Zufall entscheiden lassen

Von jeher gab und gibt es immer wieder Orte, an denen Volksvertretende per Los gewählt werden. Erstens verringert sich so die Gefahr, dass nur jene Personen gewählt werden, die viel Geld und entsprechend viele Möglichkeiten haben, für sich Werbung zu machen. Zweitens verringert sich der Einfluss von Lobbyisten, wenn Personen nur für eine gewisse Zeit per Los gewählt werden. Drittens bildet eine ausgeloste Gruppe aus dem Volk dieses vermutlich am besten ab. Kurz: Der politische Prozess würde aufgrund der wohl geringeren Selbst­inszenierung vieler Politikerinnen und Politiker dynamischer.

Natürlich stellte sich bei einer ausgelosten Gruppe von Volksvertretenden die Frage, welche genaue Funktion sie übernehmen. Erhalten sie, analog zum Stände- und Nationalrat, eine direkte Entscheidungsmöglichkeit, oder ­erarbeiten sie ein Argumentarium, das dem Volk vorgestellt wird? Die Möglichkeiten hier sind vielfältig.

Vor allem auf Gemeindeebene taucht dieses Konzept vermehrt auf. In Form von Bürgerräten versammeln sich in verschiedenen Gemeinden der Schweiz ausgeloste Personen, um sich mit gemeindepolitischen Themen auseinanderzusetzen und um sich mit dem ­Gemeinderat auszutauschen. Dadurch erhoffen sich Gemeinden mehr Partizipation seitens der Bevölkerung.


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