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So können Geflüchtete das Dorfleben stärken
Forschende der Berner Fachhochschule (BFH) haben untersucht, wie Geflüchtete am kulturellen Leben einer Gemeinde teilhaben können. Der Einbezug dieser Menschen und ihrer Talente kann für eine Dorfgemeinschaft eine Chance sein.
Welches Ziel verfolgt die BFH mit dem Forschungsprojekt zum Einbezug von geflüchteten Menschen?
Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete befinden sich im Kanton Bern oft «ab vom Schuss». Die Menschen leben entfernt von der Gemeinde und haben dadurch kaum Kontakt zur lokalen Bevölkerung. Ziel des Forschungsprojekts ist es, die Dorfgemeinschaft und die Geflüchteten zusammenzubringen, um das gegenseitige Verständnis zu fördern. Die Geflüchteten sollen die Gelegenheit erhalten, am kulturellen Leben teilzuhaben und ihre Talente ins Dorfleben einzubringen. Denn viele dieser Menschen haben interessante Fähigkeiten. So lernten die Forschenden einen Kunstmaler, einen IT-Spezialisten und eine landwirtschaftliche Projektleiterin kennen.
Wie sind die Forschenden vorgegangen?
Um einen partizipativen Prozess mit der Bevölkerung im Dorf und den geflüchteten Menschen zu starten, führten die Forschenden erste Workshops durch. Sie besuchten die Gemeinschaftsunterkunft Enggistein bei Worb und trugen in Gesprächen mit den Menschen zusammen, über welche Interessen und Talente sie verfügten. In einem anschliessenden Workshop kontaktierten die Forschenden die Dorfvereine und erhoben deren Interessen und Möglichkeiten für den Einbezug von Geflüchteten.
Was ist bei den Workshops herausgekommen?
Die Forschenden stellten erfreut fest, dass beide Seiten bereit waren, sich auf eine Zusammenarbeit einzulassen. Unter anderem konnten Geflüchtete am Sommerfest eines Vereins ihre Kochkünste zeigen und den Besucherinnen und Besuchern Leckeres aus aller Welt auf die Teller zaubern. Das Beispiel zeigt, dass es nicht viel braucht, um Geflüchtete und die hiesige Bevölkerung zusammenzubringen.
Welches war die grösste Herausforderung, die es zu überwinden galt?
Die grösste Herausforderung für die Forschenden war der Zugang zu den Geflüchteten. Die Organisationen, welche die Kollektivunterkünfte betreuen, verfügen über knappe zeitliche und finanzielle Ressourcen. Die Mitwirkung in einem Forschungsprojekt bedeutet für sie einen Mehraufwand, den sie oft nicht leisten können.
Eine weitere Schwierigkeit bildeten die Sprachen. Die Geflüchteten kommen aus unterschiedlichsten Ländern und Sprachregionen. Trotz des Einsatzes von Übersetzerinnen und Übersetzern war es nicht möglich, sich mit allen Bewohnerinnen und Bewohnern der Unterkunft zu unterhalten. Glücklicherweise sprechen die Geflüchteten teilweise mehrere Sprachen und konnten die Forschenden unterstützen.
Welchen Nutzen hat das Projekt für die Gesellschaft?
Durch persönliche Begegnungen erhalten Geflüchtete und Bevölkerung ein neues Bild von der anderen Seite. Die Hürden, die einem Kontakt im Weg stehen, werden zuerst kleiner und verschwinden am Schluss ganz. Bei regelmässigem Austausch spielt der Status der Geflüchteten auf einmal keine Rolle mehr. Es ist der Mensch mit seinen Interessen und Fähigkeiten, der im Mittelpunkt steht. Zudem kann der Einbezug von Geflüchteten eine Chance sein, um die Dorfgemeinschaft und das Vereinsleben zu stärken. Die Geflüchteten können durch die Teilnahme ihre «Wartezeit» nutzen und aktiv sein. Dies kann ihr psychisches Wohlbefinden verbessern. Solche Beziehungen tragen zu einer sorgenden Gesellschaft (Caring Society) bei – und dies im gegenseitigen Sinn.
Wie geht es weiter nach der Studie?
Die Forschenden bereiten ein nächstes Projekt vor, um in breiterem Rahmen Möglichkeiten für eine Partizipation von Geflüchteten zu entwickeln. Diese wollen sie auf weitere Gemeinden ausdehnen. Ziel ist es, eine Art Werkzeugkasten für Gemeinden zu entwickeln, der auf den gemachten Erfahrungen aufbaut und es ihnen erleichtert, Geflüchtete ins kulturelle und soziale Leben zu integrieren.
Eveline Ammann Dula
Das Projekt zum Einbezug von geflüchteten Menschen in Gemeinschaftsunterkünften stand unter der Leitung von Prof. Dr. Eveline Ammann Dula. Sie leitet das Institut für soziale und kulturelle Vielfalt im Departement Soziale Arbeit der BFH. Die Schwerpunkte ihrer Tätigkeit liegen bei den Themen Migration, internationale Dimension der sozialen Arbeit, Biografieforschung, Diversität und Intersektionalität. Bei Letzterer geht es um gleichzeitige unterschiedliche Formen von Diskriminierung, denen sich Menschengruppen oder einzelne Personen ausgesetzt sehen. Am Projekt beteiligt waren auch Heidi Kaspar, Leiterin des Kompetenzzentrums partizipative Gesundheitsversorgung der BFH, sowie weitere Mitarbeitende. (bfh.ch)