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Mehr Wohnungen – aber für wen?

Rot-Grün-Mitte wie auch die Mitte-rechts-Allianz wollen mit dem Thema Wohnen bei den Wählerinnen und Wählern punkten. Während die Linke den Fokus auf günstigen Wohnraum legt, fordert Mitte-rechts auch die Ermöglichung von Wohneigentum für mittelständische Familien.

| Fabian Christl | Politik
Warmbächli.
Auf dem Warmbächli-Areal konnten sich Genossenschaften austoben. Doch Linke wie Bürgerliche sind sich einig: Es braucht noch mehr Wohnungen in der Stadt Bern. Foto: Nik Egger

Die Mieten in der Stadt Bern kennen nur eine Richtung: nach oben. In den vergangenen zwanzig Jahren stiegen sie durchschnittlich um 28 Prozent, die Mieten für ausgeschriebene Wohnungen sogar um deutlich über 30 Prozent – die Wohnungsmieten stiegen also deutlich schneller als die Löhne und Konsumentenpreise. Besonders krass war der Anstieg in den letzten beiden Jahren. 

Das hat dazu geführt, dass dem Thema vor den Stadtberner Wahlen im November eine zentrale Rolle zukommt. Neben dem Rot-Grün-Mitte-Bündnis von GB, SP und GFL, welches vier der fünf Gemeinderatssitze bestellt und das Thema schon lange bewirtschaftet, hat es auch die Mitte-rechts-Allianz mit GLP, Mitte, FDP, SVP und EVP zu einem Top-Wahlkampfthema erklärt. 

«Der Mittelstand droht aus der Stadt vertrieben zu werden, bald hat es nur noch Platz für Reiche und jene Arme, die von vergünstigtem Wohnraum profitieren», sagt FDP-Gemeinderatskandidatin Florence Pärli zur Begründung. Ihre Analyse ist klar: Die steigenden Mieten seien die Folge einer hohen Nachfrage, die das Angebot übersteige. «Entsprechend muss deutlich mehr gebaut werden.»

Bern baut

Die Stadtregierung würde da wohl nicht widersprechen. Sie hat bereits 2016 eine «Wohnoffensive» eingeläutet. Auch darin ist vorgesehen, die Bau­tätigkeit anzukurbeln und für eine Erhöhung des Wohnungsbestands zu sorgen. Zu diesem Zweck sollen einerseits noch freie Areale entwickelt, andererseits Quartiere wie Ausserholligen verdichtet werden.  Seither wurden unter Zuständigkeit von Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) und dem abtretenden Finanzdirektor Michael Aebersold (SP) zahlreiche Arealentwicklungen und Bauprojekte aufgegleist. Das ist bereits spürbar: 2023 wuchs der Wohnungsbestand um 667 Wohnungen – so stark wie seit 1970 nicht mehr. Viele Projekte sind allerdings noch nicht abgeschlossen. Auf der städtischen Website sind 17 grössere Wohnbauprojekte aufgelistet, die sich noch in Planung, Entwicklung oder Realisierung befinden. 

Vor allem bei den beiden bekanntesten Projekten, den Überbauungen Viererfeld und Gaswerk, kam es zu Verzögerungen. Derzeit gehe die Stadt davon aus, dass die ersten Wohnungen auf beiden Arealen 2030 bezugsbereit seien, wie der Informationsdienst der Stadt Bern auf Anfrage mitteilte. «Mir wäre es auch lieber, wenn es schneller gehen würde, aber bei so grossen Projekten sind gewisse Verzögerungen eher die Regel als die Ausnahme», sagt SP-Gemeinderatskandidat Matthias Aebischer.  

«Die Stadt will zu viel»

Für die Bürgerlichen sind die Verzögerungen selbstverschuldet. «Die Stadt will zu viel», sagt Pärli. Die Projekte seien ideologisch überfrachtet. Ohnehin sei es sinnvoller, wenn man nicht die ganzen Areale auf einmal planen und überbauen würde, sondern erst einmal mit einem Teil begänne. «Dann könnten die Siedlungen organisch wachsen.» Idealerweise überliesse man das Bauen ohnehin den Profis. «Private oder gemeinnützige Investoren verfügen über die nötige Erfahrung und können das besser als die Stadt.» 

Pärli schlägt deshalb vor, den Fokus auf den Abbau von Hemmnissen zu legen. Es gelte, die Bauordnung zu entschlacken und die Verfahren für das Ausstellen von Baugesuchen so weit als möglich zu beschleunigen. Insbesondere fordert sie aber, in der Stadt höhere Gebäude zuzulassen. Ihre Partei hat bereits eine Initiative lanciert, welche verlangt, grundsätzlich auf dem ganzen Stadtgebiet ein zusätzliches Stockwerk zu erlauben. Gerade auf dem Viererfeld hätte sich Pärli noch deutlich höhere Gebäude gewünscht, als vorgesehen sind. «In Bern baut man immer flächig, statt in die Höhe.»

Wie hoch solls werden?

Die Stadt ist schon länger dabei, die Bauordnung zu überarbeiten. Dabei ist auch vorgesehen, den Bauklassenplan

 – darin ist festgehalten, an welchem Ort wie hoch gebaut werden darf – etwas grosszügiger auszugestalten. Das Vorhaben soll aber erst in der nächsten Legislatur umgesetzt werden und wird wohl nicht so weit gehen, wie es sich Pärli erhofft. 

Betreffend Verkürzung der Verfahren für Baubewilligungen sieht die Stadt aber kaum noch Handlungsspielraum. Das Bauinspektorat habe im Rahmen der baurechtlichen Möglichkeiten die Verfahren bereits beschleunigt, zum Beispiel indem die öffentliche Auflage der Baugesuche parallel zur Zirkulation bei den Fachämtern stattfinde, teilte der Informationsdienst mit. «Eine beliebige Verkürzung des Baubewilligungsverfahrens ist jedoch nicht möglich, weil der Ablauf des Verfahrens durch die kantonale Gesetzgebung festgelegt ist.»

Ohnehin zeigt man sich bei Rot-Grün-Mitte überzeugt, dass sich angesichts der überbordenden Nachfrage nur mit steigender Bautätigkeit keine Trendwende bei den Mieten erzielen lasse. Teil der städtischen Wohnoffensive ist deshalb auch, gezielt günstigen Wohnraum zu schaffen. 

Die Stadt tut dies vor allem, indem sie gemeinnützige Bauträger unterstützt. Diese dürfen mit dem Vermieten von Wohnungen nur eine minimale Rendite erzielen, was die Wohnungen vor allem langfristig deutlich günstiger macht als jene, die von gewinnorientierten Investoren verantwortet werden. Beim Viererfeld und Gaswerk will der Gemeinderat etwa mehr als den in Bern gesetzlich vorgeschriebenen Drittel der Fläche an Genossenschaften vergeben. 

Zudem kauft die Stadt – beziehungsweise der Fonds für Boden- und Wohnbaupolitik – seit ein paar Jahren Liegenschaften an. Seit Beginn der Legislatur konnten 20 Liegenschaften erworben werden. Damit will die Stadt generell Wohnraum der Spekulation entziehen und spezifisch mehr Wohnungen an nachweislich Finanzschwache vermieten können.  

Fokus auf Mieter

Pärli von der FDP stört sich nicht generell an der Förderung von gemeinnützigen Bauträgern, wie sie sagt. Indes kritisiert sie, dass die gesamte städtische Wohnpolitik nur auf Mieterinnen und Mieter ausgerichtet sei. Gerade Familien bevorzugten nachweislich Eigentum, dies sei aber in der Stadt kaum mehr erschwinglich. Sie fordert entsprechend, dass bei den grossen Arealentwicklungen auch Wohneigentum ermöglicht werde. 

Auch den Zukauf von Liegenschaften kritisiert Pärli. Wenn man finanzschwachen Personen eine erschwingliche Miete ermöglichen wolle, eigne sich eine Subjektfinanzierung besser, sagt sie. Das städtische Immobilienportfolio will sie zudem lieber entschlacken als ausbauen. «Der Fonds bindet sehr hohe Vermögen, die anderweitig besser eingesetzt werden könnten.» 

So viel wie möglich kaufen

Ganz anders sieht es SP-Mann Aebischer. Dass die Stadt in den 1990er-Jahren zahlreiche Immobilien veräusserte, erachtet er als Kardinalfehler. Entsprechend möchte er die städtische Einkaufstour eher noch intensivieren. «Wir müssen so viel Boden wie möglich der Spekulation entziehen», sagt er. 

Auch sonst steht er hinter der Stossrichtung der Wohnpolitik des aktuellen Gemeinderats. «Es geht etwas», sagt er. Gerade das Konzept mit den Verdichtungsprojekten in den Entwicklungsschwerpunkten wie Ausserholligen und Wankdorf überzeuge ihn. Auch werde bei Stadtentwicklungsprojekten stets berücksichtigt, dass Raum fürs Gewerbe, Plätze für Begegnungen sowie ein kluges Verkehrskonzept zwingend nötig seien. «Das ermöglicht eine hohe Lebensqualität.»

Geht es nach Aebischer und den RGM-Parteien GB, GFL und SP soll die städtische Wohnpolitik noch mit einem neuen Instrument versehen werden: einer Mietzinskontrolle nach Sanierungen. Häufig würden die Mieten nämlich nach grossen Umbauten stärker erhöht, als es das Mietgesetz eigentlich erlauben würde, so die Vermutung. Allerdings zeigen Erfahrungen aus Basel, dass dieses Instrument die Sanierungsbereitschaft hemmen kann, was wiederum der Energieeffizienz abträglich ist. «Angesichts der weiter steigenden Mieten sind Massnahmen notwendig, um die Einhaltung des Mietrechts zu gewährleisten», sagt Aebischer.


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