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Bern profitiert höchstens im Kleinen vom Solarexpress
Der Kanton Bern dürfte als einer der Gewinner des Solarexpress hervorgehen. Trotz – oder gerade wegen – dem Scheitern seines grössten alpinen Solarprojekts.
Der Hype um den Solarexpress lässt immer mehr nach. Seit Monaten ist klar, dass die Fristen knapper und alpine Solaranlagen weniger leicht umzusetzen sind, als im vergangenen Herbst noch gedacht. Seit Monaten werden Grossprojekte im Wallis oder in Graubünden redimensioniert oder ganz eingestampft. Man habe in zu kurzer Zeit zu viel gewollt, zu wilde Luftschlösser gebaut, so die Kritik.
Umso mehr Lob erhielt der Kanton Bern für sein «bedächtiges» Vorgehen. Mit runden Tischen und mehreren Diskussionsrunden wollten die Behörden mögliche Widerstände und Hürden früh erkennen. Und Projekte fallen lassen, sollten sie unrealistisch erscheinen. Am Ende dieses Prozesses stand ein Dutzend hoffnungstragender Projekte. Damit werde der Kanton Bern schliesslich «der Schnellste» sein, sagte der Berner Regierungsrat Christoph Ammann (SP) noch im Spätsommer.
Nun hat auch der Kanton Bern seine erste Abfuhr erhalten. Am Freitagabend lehnte die Saaner Gemeindeversammlung das alpine Solarprojekt «Sol-Sarine» mit 369 Nein- zu 203 Ja-Stimmen deutlich ab. Damit ist die grösste geplante alpine Solaranlage im Kanton Bern gescheitert.
Absage entlastet die BKW
Während sich die Initianten bedrückt geben und die Opposition strahlt, dürfte der Entscheid für die BKW paradoxerweise entlastend wirken. Denn «Sol-Sarine» hätte das Hochspannungsnetz im Berner Oberland mit seiner angestrebten Leistung von rund 45 Gigawatt erheblich belastet. Die Netzbetreiberin BKW hatte bereits vor einer Überlastung gewarnt: Mit dem Ausbau der Solaranlagen auf Hausdächern und den zwölf geplanten Anlagen im Berner Oberland werde das regionale Netz an seine Grenzen kommen. «Weitere Anlagen wären nach 2030 ohne einen Netzausbau nicht verkraftbar», sagt BKW-Mediensprecherin Sarah Steinmann dazu. Und ein entsprechender Ausbau kann Jahre, gar Jahrzehnte dauern, insbesondere wenn es um Hochspannungsleitungen geht.
Mit der Ablehnung des Saaner Projekts dürfte sich zumindest dieses
Problem entschärft haben. Das könnte der BKW auch andernorts entgegenkommen: Fünf der Projekte im Berner Oberland plant sie selbst.
Die Absage an «Sol-Sarine» zeigt aber auch, dass die Berner Gemächlichkeit nicht ausreicht, um die Hürden für grosse alpine Solaranlagen abzubauen. Andere Grossprojekte kämpfen mit fehlenden Netzkapazitäten,
Zufahrtsschwierigkeiten, Umweltverträglichkeitsprüfungen und technischen Herausforderungen. Vor allem aber kämpfen sie um die Zustimmung der Umweltverbände und der lokalen Bevölkerung.
Gerade diese Kämpfe wollte man mit dem Berner Vorgehen vorwegnehmen. Doch am Wochenende war die Enttäuschung gross: Es seien Abmachungen nicht eingehalten worden, sagt etwa ein Projektinitiant am Freitagabend gegenüber SRF. Die Naturschutzverbände hatten kurz vor der Abstimmung doch noch Bedenken geäussert; auch aus dem Gemeinderat selbst gab es kritische Voten. Die Anlage sei zu verzettelt, ein zu grosser Eingriff in die Destination – es sind die üblichen Argumente. Sie fielen trotz der langen Vorarbeit und Abklärungen, trotz zahlreicher Informationsveranstaltungen.
Nach dem Entscheid in Saanen ist vor allem eines klar: Wenn ein Projekt gross genug ist, sorgt es für Polemik und Widerstand. Es wird verwundbar.Egal, wie viel im Vorfeld darüber diskutiert wird.
«Wir backen kleine Brötchen»
Mit der Absage an «Sol-Sarine» bleiben im Kanton Bern noch zehn weitere Solarprojekte offen. Die meisten von ihnen sind deutlich kleiner: Statt der in Saanen geplanten 67 Gigawattstunden sollen sie je zwischen 11 und 17 Gigawattstunden Strom pro Jahr liefern. Der Dämpfer ist zwar real. Ein Stopp ist er deswegen aber noch nicht. «Wir backen kleine Brötchen», sagte Regierungsrat Ammann am Dienstag gegenüber der Berner Zeitung. Backen will man sie trotzdem.
Es sind – wie sich auch andernorts abzeichnet – die vergleichsweise kleinen Projekte, die mit dem Strom schwimmen, aber am Ende für die Schweizer Stromversorgung kaum ins Gewicht fallen. Die überschaubaren und kompakten Anlagen in touristisch genutzten Gebieten, die schon über ausreichende Netzanschlüsse verfügen und das Netz nicht überstrapazieren. Die realistischen Projekte, möchte man sagen; die Projekte, die wahrscheinlich auch ohne den Solarexpress gebaut worden wären. Nur vielleicht etwas langsamer.
Für den Kanton Bern dürfte sich die Strategie trotzdem auszahlen: Gerade weil seine übrigen Projekte im Vergleich bescheiden sind, steigt die Chance, dass sie umgesetzt und subventioniert werden. Davon dürfte gerade das Berner Oberland profitieren – es gewinnt auch dann noch, wenn am Ende nur drei bis sechs Anlagen effektiv stehen. Doch für den Solarexpress ist die Bilanz deutlich schlechter: Sogar wenn alle zehn verbleibenden Projekte so gebaut würden, wie sie jetzt geplant werden, reichen sie höchstens für einen Zehntel der zwei Terawattstunden Strom, die mit dem Solarexpress hätten produziert werden sollen.
Vier Nationalräte aus FDP, Mitte und SP wollen deshalb den Tabubruch wagen. Und haben im Nationalrat eine Firstverlängerung für den Solarexpress beantragt. Statt bis 2025 soll der Netzanschluss bis 2028 erfolgen, damit Bundesgelder in ein Projekt fliessen dürfen. Doch es wird knapp. Denn auch mit Fristverlängerung müsste für Grossprojekte auch das Netz in beschleunigten Verfahren ausgebaut werden. Und die Goldgräberstimmung dürfte mittlerweile auch im Parlament deutlich nachgelassen haben.
Übernächste Woche wird der Antrag im Nationalrat behandelt. Bis dahin strauchelt der Solarexpress weiter. Und der Netzexpress hinterher.
Berner Wirtschaftsverbände verlangen den Verzicht auf einen Gegenvorschlag zur kantonalen Solarinitiative
Der Berner Arbeitgeberverband, die Berner Bauern, Berner KMU, der Handels- und Industrieverein des Kantons Bern sowie der kantonale Hauseigentümerverband verlangen, dass auf einen Gegenvorschlag zur kantonalen Solarinitiative verzichtet wird. Die vorberatende Kommission hatte einen zweiten Gegenvorschlag erarbeitet, der etwas weiter geht als der ursprüngliche Vorschlag des Regierungsrates. Sie will auch Fahrzeugstellplätze als solarpflichtige Flächen aufnehmen. Die Berner Solarinitiative wurde im November 2021 eingereicht. Sie fordert, dass auf geeigneten Dächern und Fassaden Solarenergie produziert werden muss. Bestehende Gebäude sollen auch ohne bestimmten Auslöser, wie etwa einen Umbau, bis spätestens 2040 nachgerüstet werden. Letzteres geht sowohl dem Regierungsrat als auch der Kommission zu weit. Für die Berner Wirtschaftsverbände ist diese Passage gemäss Mitteilung Grund zur Annahme, dass die Initiative auch ohne Gegenvorschlag abgelehnt werde. Das Geschäft wird im Grossen Rat voraussichtlich in der Frühlingssession 2024 behandelt. (hag)