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«Ich glaube nicht, dass die Schweiz ein Rassismus-Problem hat»

Regierungsrat Pierre Alain Schnegg (SVP) ortet Fortschritte bei der Intergration von Geflüchteten. Eine Politik der harten Hand gegenüber abgewiesenen Asylsuchenden soll gemäss dem Vorsteher der Gesundheits- Sozial- und Intergrationsdirektion dafür sorgen, dass das System nicht überlastet wird – und der Unmut der Bevölkerung nicht noch weiter zunimmt.

| Fabian Christl | Politik
Regierungsrat Pierre Alain Schnegg. Foto: Ruben Ung/zvg
Regierungsrat Pierre Alain Schnegg. Foto: Ruben Ung/zvg

Herr Schnegg, kommen zu viele Asylsuchende in die Schweiz?

Ja, ich sehe das so. Es kommen viele, obwohl sie keine Aussicht auf den Asylstatus haben – und überlasten damit das System. Ich verstehe, dass die Leute auf eine bessere wirtschaftliche Zu-kunft hoffen. Aber wir können hier nicht die ganze Welt aufnehmen. Wenn es so weitergeht, ist das Risiko gross, dass die Leute, die wirklich unseren Schutz brauchen, diesen nicht mehr bekommen können. 

Die SVP plant die «Grenzschutz-Initiative», die systematische Grenzkontrollen fordert. Geht das in die richtige Richtung?

In Deutschland scheinen die neu eingeführten Grenzkontrollen Wirkung zu zeigen. Die Grenzen zu schützen, bedeutet im Übrigen nicht, jede Person im Detail zu kontrollieren. Aber es wird ein Signal gesendet: Nicht alle können hier hinkommen und machen, was sie wollen.

Im ersten Entwurf der Initiative, den SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi präsentierte, war die Forderung enthalten, Asyl­suchende in den ersten Monaten in geschlossenen Lagern zu internieren. Wie stehen Sie dazu?

Insgesamt halte ich das aktuelle System mit den Bundeszentren für gut. Sie erlauben eine relativ rasche Durchführung der Verfahren. Ich verstehe allerdings, dass das für die Betroffenen auch nicht ideal ist, da sie nicht arbeiten dürfen und keine Integrationsmassnahmen zur Verfügung stehen. Aber wenn sie sich nicht wohlfühlen, sollen sie gehen. Wenn Leute mit negativem Asylbescheid nicht freiwillig gehen, müssen wir vielleicht ein wenig härter werden. Da ist es vielleicht keine schlechte Idee. 

Sie haben im Herbst gefordert, den Familiennachzug auszusetzen. Können Sie das ausführen?

Ja, das mache ich gerne mit einem Beispiel. Eltern schicken einen vermeintlich Minderjährigen in die Schweiz –und dann kann er später die ganze erweiterte Familie in die Schweiz holen. Das halte ich für nicht korrekt. Dass Eltern ihre Kinder holen können, stelle ich aber nicht infrage. Nochmals: Wir müssen unser Asylsystem für Leute ­reservieren, die wirklich Schutz brauchen.

Alle Ihre Vorschläge haben eines gemeinsam: Sie sind nicht umsetzbar, weil sie entweder mit dem Völkerrecht oder dem Schengen-Abkommen nicht ­kompatibel sind. 

Alle sprechen immer vom EU-Recht, aber schauen Sie, was Dänemark, Deutschland und die Länder im Norden machen: Sie haben gemerkt, dass es so nicht weitergehen kann und erlassen Massnahmen. Massnahmen übrigens, die letztlich zum Ziel haben, das Asylsystem zu schützen. Und ich glaube nicht, dass sich Länder wie Dänemark ausserhalb des Völkerrechts bewegen.

Die besprochenen Massnahmen zielen auf Abschreckung. Sollte man nicht eher bei den Flucht­ursachen ansetzen und mehr in die Entwicklungshilfe investieren,
Friedensförderung betreiben und den Klimawandel vehementer bekämpfen?

Die Schweiz engagiert sich schon stark in diesen Bereichen. Aber der Schweiz ist der Wohlstand auch nicht einfach vor die Füsse gelegt worden, wir haben ihn dem Engagement unserer Eltern und Grosseltern zu verdanken! In vielen der Regionen mit Problemen haben die Leute Entscheidungen getroffen, welche die schwierige Situation verursacht haben. Entsprechend stehen sie auch in der Verantwortung. Aber verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin nicht dagegen, dass wir helfen. Aber es muss gezielt geholfen werden. 

Als bernischer Sozialdirektor sind Sie nicht für die globalen Probleme zuständig, aber dafür, die Unterbringung der Asyl­suchenden im Kanton Bern zu gewährleisten. Wie läuft das?

Der Kanton ist derzeit im Asylbereich zuständig für rund 16 000 Personen. Aktuell haben wir noch 800 freie Plätze. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) geht davon aus, dass 2024 dem Kanton Bern weitere 3000 Flüchtlinge zugewiesen werden. Wir sind deshalb dabei, weitere Unterkünfte zu eröffnen. Erst kürzlich konnten wir in Wolfisberg und in Moutier zwei in Betrieb nehmen. Wir sind auch in engem Austausch mit der Stadt Bern, um das ehemalige ­Tiefenauspital als Kollektivunterkunft nutzen zu können. 

800 freie Plätze – das tönt nicht nach dem Notstand, den Sie vor ein paar Monaten herbeiredeten. Waren Ihre drastischen Worte auch dem nationalen Wahlkampf geschuldet?

Nein, sicher nicht. Die Situation ist weiterhin sehr unsicher und wir planen nach den Prognosen des SEM. Vorläufig hat es sich ein wenig beruhigt, weil wir zusätzliche Kollektivunterkünfte in Betrieb nehmen konnten und gewisse Kantone wie Bern mit dem Waffenplatz Thun und der Zivilschutzanlage Mingerstrasse dem Bund weitere Plätze zur Verfügung stellten. Im Dezember hat das SEM zudem weniger Personen an die Kantone zugewiesen als erwartet. Aber wir wissen nicht, wie sich die Zahlen entwickeln. Was passiert etwa, wenn die Situation im Nahen Osten weiter eskaliert? Deshalb ist klar, dass wir weiterhin Unterkünfte suchen müssen. 

Die Asylsuchenden sollten fair über den Kanton verteilt werden. Als wir Ihre Direktion vor ein paar Wochen baten, uns die Kapazitäten und Auslastungen der Unterkünfte nach Verwal-tungskreis mitzuteilen, verweigerte diese die Auskunft. Wieso?

Was bringt das? Wir wollen keinen Wettbewerb zwischen den Gemeinden und den Regionen. Ausserdem wechselt es täglich, die Zahlen wären nicht aussagekräftigt. Aber ich kann Ihnen versichern, wir schauen, soweit es die vorhandenen Unterkünfte zulassen, dass die Verteilung fair abläuft. 

Viele Gemeinden wehren sich gegen Kollektivunterkünfte, weil ein Anstieg der Kriminalität befürchtet wird. Zu Recht?

Wir haben keine Statistiken. Auch werden Nationalität und Aufenthaltsstatus bei Straftaten komischerweise nicht mehr bekanntgegeben. In den Gefängnissen sind aber gewisse Personen-gruppen deutlich überrepräsentiert, was den Schluss zulässt, dass es Probleme mit kriminellen Ausländern gibt. Das trifft, so vermute ich, aber eher auf Personen zu, die noch nicht lange in der Schweiz sind oder das System ausnutzen. Sobald die Personen aus den Bundesasylzentren dem Kanton zugewiesen sind, können die Integrationsmassnahmen beginnen und die Situation beruhigt sich. 

Neben der Kriminalität gibt auch die hohe Sozialhilfequote bei vorläufig oder definitiv auf­genommenen Geflüchteten zu reden. Wieso gelingt es nicht,
die Leute besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren?

Wir haben mit der Neustrukturierung des Asyl- und Flüchtlingsbereichs (NA-BE) die Bedingung geschaffen, dass es künftig besser funktioniert. Vorher wurden einfach unkoordiniert Organisationen unterstützt. Jetzt läuft die ­Förderung über regionale Partner, die klare Zielvorgaben haben. Bereits sind Fortschritte erkennbar. 

Welche?

Zum Beispiel betreffend Sprachniveau. Viele Asylsuchende hatten nach fünf oder sieben Jahren noch nicht einmal das Sprachniveau A1, das ist heute ganz anders. Zudem machen über 50 Prozent der Leute der entsprechenden Altersgruppe eine Ausbildung. Das ist bereits ein gutes Resultat. Auch bei der Erwerbstätigkeit geht es vorwärts. 

Man konnte lesen, dass über 85 Prozent der ewerbsfähigen Eritreer von der Sozialhilfe abhängig sind. Wie ist das in Zeiten von Fachkräftemangel möglich? 

Die meisten Eritreer kamen vor NA-BE, viele sind mittlerweile auch bereits in der Kompetenz der Gemeinden. Aber ich verstehe den Unmut. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass es in die richtige Richtung geht. Es gibt diverse Initiativen, etwa von Gastro-Bern und dem Gewerbe. Der Kanton eröffnet zudem bald ein Zentrum, damit wir Geflüchtete besser zu Pflegerinnen und Pflegern ausbilden können. 

Es gibt gute Gründe, sich über Probleme im Asylbereich auf­zuregen. Aber es gibt auch viele Leute, denen jegliche Empathie mit schutzsuchenden Menschen abhanden kam. Bereitet Ihnen das Sorgen?

In der Schweiz ist eine überwiegende Mehrheit bereit, den Leuten Schutz zu geben, die Schutz brauchen. Das haben wir in der Ukraine-Krise gesehen. Wer hätte gedacht, dass wir in kurzer Zeit über 60 000 Personen unterbringen können? Niemand! Es ist aber absolut normal, dass wir kriminelle Leute nicht tolerieren dürfen und auch solche nicht, die nur profitieren wollen, was leider noch immer viel zu häufig geschieht.  

Auch nicht-kriminelle Migranten berichten von Rassismuserfahrungen. Es gibt zudem Unter­suchungen, die zeigen, dass Leute mit ausländischen Namen mehr Probleme bei der Wohnungssuche haben. Das tönt nach einem Rassismus-Problem.

Ich glaube nicht, dass die Schweiz ein Rassismus-Problem hat. Es kann sein, dass es ab und zu einzelne Fälle gibt. Aber ob es dabei wirklich um Herkunft oder Nationalität geht, ist noch einmal eine andere Frage. Die Leute sind jedenfalls bereit, denjenigen Schutz zu geben, die Schutz brauchen – und das völlig unabhängig von Hautfarbe, Herkunft oder Kultur. Aber noch einmal: Wir müssen unser Asylwesen strikt auf jene Menschen ausrichten, die an Leib und Leben bedroht sind und wirklich unsere Hilfe brauchen. Andere haben hier nichts verloren und auch all jene nicht, die ihre Länder aus wirtschaftlichen Gründen verlassen und über Asylanträge versuchen, zum Ziel zu kommen. Das belastet das Gesamtsystem stark und wir spüren eine zunehmende Unzufriedenheit in der Bevölkerung.


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