Der Herbst steht an – und mit ihm die Lohnrunde 2025. Die Offensive seitens Gewerkschaften hat bereits letzten Monat begonnen: Die Reallöhne seien in den letzten Jahren nicht gestiegen, sondern sogar auf das Niveau von 2014 gesunken, teilte das Bundesamt für Statistik mit. Die Gewerkschaften schlugen Alarm. Und forderten für das kommende Jahr Lohnerhöhungen von bis zu 5 Prozent.
Ganz so klar sind die Zahlen zwar nicht: Je nach Erhebung weist das BFS einen Reallohnverlust aus. Jene Erhebungen, deren Datenerhebungen von der Pandemie weniger direkt betroffen sind, weisen dagegen ein Lohnwachstum aus. Dieses fällt allerdings sehr unterschiedlich aus und liegt je nach Erhebung über oder unter der Teuerung. Insbesondere für Personen mit tiefen Einkommen würden die Löhne immer weniger zum Leben reichen, argumentieren die Gewerkschaften. Gemäss einer Umfrage der Unia Kanton Bern sei ein «erheblicher Teil» der Arbeitnehmenden mit existenziellen Sorgen konfrontiert.
Die Umfrage ist zwar nicht repräsentativ. Aber auch Berechnungen des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, welche mehrere Erhebungen vergleichen, kommen zum selben Schluss: Das verfügbare Einkommen hat gerade in den unteren Einkommensklassen trotz Lohnerhöhungen merklich abgenommen. Gleichzeitig habe sich die Arbeitsproduktivität merklich verbessert, schreibt die Unia Kanton Bern auf Anfrage. Nun müsse man die Beschäftigten am wirtschaftlichen Zugewinn und Wachstum teilhaben lassen.
«Das liegt nicht in der Verantwortung eines Arbeitgebers»
So pauschal könne man das nicht sagen, widerspricht Adrian Haas, Geschäftsführer des Berner Handels- und Industrievereins. In einzelnen Branchen habe es zwar Produktivitätsgewinne gegeben: «Aber über die Produktivität der Angestellten in einem einzelnen Betrieb sagt das relativ wenig aus.»
Eine gewisse Teuerung stehe «natürlich im Raum», so Haas, obwohl sie zurückgehe. Aber diese betreffe die Betriebe oft genauso wie ihre Angestellten – und nicht immer könnten die Unternehmen diese Teuerung an ihre Kundschaft weitergeben. Die internationale Wirtschaftslage führe auch dazu, dass gerade in einzelnen export-orientierten Branchen wenig Marge für Lohnerhöhungen bestehe.
Das heisse nicht, dass man auf Erhöhungen kategorisch verzichte, so Haas. Aber: Sie würden immer öfter individuell statt betriebsübergreifend ausgesprochen. Damit könne man auch den veränderten Umständen besser Rechnung tragen. So nehme der Anteil der Teilzeitarbeitenden stetig zu. «Wenn der Lohn dann nicht mehr reicht, liegt das nicht in der Verantwortung einer einzelnen Arbeitgeberin», sagt Haas. Zwar könne es «vielleicht einen kleinen Lohnrückstand» aus den vergangenen Jahren geben. Aber die Hauptfrage, die man sich zu kollektiven Lohnerhöhungen stellen müsse, sei: Kann die Wirtschaft das tragen?
Beste Aussichten im Baugewerbe, aber keine Einigung
Für die Gewerkschaften ist die Antwort darauf ein klares Ja. Mit Ausnahme weniger Branchen beobachte man eine «intakte und gute Geschäftslage». Und selbst in den unsichereren Industriebranchen gebe es vor allem Auslastungs- statt Kostenprobleme. Damit seien auch dort Lohnerhöhungen durchaus gerechtfertigt, sofern sie mit Massnahmen flankiert würden, welche die Beschäftigung für die Zukunft sicherten.
Trotz des andauernden Fachkräftemangels und der damit starken Position der Arbeitnehmenden dürften die Verhandlungen hart werden. Dass die effektiven Erhöhungen unter den Forderungen der Gewerkschaften liegen, ist zwar normal. Umfragen unter den Schweizer Unternehmen rechnen im Schnitt mit Erhöhungen von rund 1,3 bis 1,5 Prozent. Am höchsten sollten die Erhöhungen im Baugewerbe ausfallen: Dort ist die Rede von fast zwei Prozent.
Doch im Bauhauptgewerbe ist die erste Verhandlungsrunde bereits durch. Einig geworden sind sich der Baumeisterverband und die Gewerkschaften aber nicht – der SBV will die Löhne, wenn, nur individuell erhöhen.