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Wie soll Bern geschäften (lassen)?
Die Stadt Bern müsse wirtschaftsfreundlicher werden, fordern die Bürgerlichen vor den Wahlen. Sie kritisieren vor allem fehlende Wertschätzung für die ansässigen Unternehmen. Die Linke wiederum wünscht sich eine stärkere Ausrichtung auf «Kreislaufwirtschaft».
Rot-grün und Wirtschaft: Das passt nicht. So zumindest die gängige Meinung. Doch stimmt das überhaupt? Wie gut oder schlecht war die Wirtschaftspolitik vom Rot-Grün-Mitte-Bündnis, das vier der fünf Gemeinderatssitze stellt, tatsächlich? Und was würden die anderen Parteien überhaupt anders machen?
Schaut man sich die rohen Zahlen an, steht die Stadt Bern gar nicht so schlecht da. Die Steuereinnahmen steigen, Arbeitsplätze hat es deutlich mehr als Einwohnerinnen und Einwohner und in Sachen Wirtschaftsleistung ist die Stadt Bern seit zehn Jahren der Motor des Wirtschaftsraums Bern. Allerdings steht Bern auch nicht so gut da wie etwa Basel und Zürich, die die Bundesstadt in Sachen Wirtschaftsleistung pro Kopf deutlich übertreffen. Auch betreffend unternehmerischen Geist hinkt Bern hinterher. Die Start-up-Szene ist zwar am Wachsen, kommt aber bei Weitem nicht an jene in Zürich oder Lausanne heran.
Das Problem dabei: Die Stadtregierung hat kaum Einfluss auf die grossen Linien. Dass in Bern die Bundes- und Kantonsverwaltung angesiedelt sind, die viele Arbeitsplätze generieren, ist ebenso wenig Verdienst des Gemeinderats, wie ihm anzulasten wäre, dass die Pharmaindustrie in Basel statt in Bern konzentriert ist.
Einen gewissen Einfluss hat die Stadtregierung aber allemal. Sie kann einerseits für Rahmenbedingungen sorgen, in denen sich gut geschäften lässt. Andererseits kann sie mithelfen, eine Kultur zu schaffen, in der Wirtschaft und Politik konstruktiv zusammenarbeiten.
Was braucht die Wirtschaft?
Doch gelingt ihr das? Fragt man SVP-Gemeinderatskandidat Janosch Weyermann, ist sie weit davon entfernt. «Ich nehme Bern als sehr wirtschaftsfeindliche Stadt wahr», sagt er. Dabei sei grosses Potenzial vorhanden. «Die gute Lage zwischen West- und Deutschschweiz, die hervorragende Erschliessung mit Autobahn und öffentlichen Verkehrsmitteln, die zahlreichen Bildungseinrichtungen – eigentlich wäre Bern als Wirtschaftszentrum prädestiniert.» Das Problem: Die Stadtregierung interessiere sich keinen Deut für die Belange der Unternehmen.
Mit Weyermann kandidiert unter anderem Melanie Mettler (GLP) auf derselben Liste. Allerdings sind die wirtschaftspolitischen Differenzen zwischen GLP und SVP gross. Während es bei der SVP meist um Verkehr und Steuern geht, wenn die Rede von guten Rahmenbedingungen für die Wirtschaft ist, verweist Mettler in diesem Zusammenhang auch auf eine digitale Verwaltung, die Verfügbarkeit von Wohnraum, gute Schulen, die Sicherheit im Allgemeinen, das Betreuungsangebot für Kinder und eine gute ökologische Infrastruktur. «Erhebungen zeigen, dass es gerade bei der Standortwahl wichtigere Aspekte als Steuern gibt», sagt sie.
Einig sind sich Weyermann und Mettler aber, wenn es um die Beurteilung des Gemeinderats geht. «Das Hauptproblem ist, dass sich die Unternehmen von der Stadt nicht wertgeschätzt fühlen», sagt Mettler. Es spreche Bände, dass die Wirtschaft in der Legislaturbilanz des Gemeinderats praktisch keine Erwähnung finde. Von Verbänden höre man zudem häufig, dass ihnen etwa seitens der Verwaltung «von oben herab» begegnet werde.
Ganz anders sieht es Ursina Anderegg, die für die wirtschaftskritischste RGM-Partei, das Grüne Bündnis, in den Gemeinderat einziehen möchte – und für die es bei Wirtschaftspolitik auch um Sorge-Arbeit wie Kinderbetreuung und gute Arbeitsbedingungen geht. Die Anzahl Unternehmen in der Stadt Bern sei am Wachsen. «Die Behauptung von Betrieben, die aus der Stadt gejagt werden, wird nicht wahrer, wenn man sie ständig wiederholt.»
«Weltbewegend ist es nicht»
Der Gemeinderat selbst sprach in den Legislaturzielen kaum über Wirtschaft. Unter dem Motto «Stadt der Nachbarschaften» ist das Gewerbe aber zumindest teilweise mitgedacht. «Die Stadt Bern fördert den Wirtschaftsstandort und stärkt die Zusammenarbeit mit dem Gewerbe. Mit der Umsetzung von konkreten Massnahmen wird der Detailhandel in der Innenstadt unterstützt und damit die lebendige Innenstadt gestärkt», heisst es etwa. Teil der Legislaturziele sind auch die digitale Plattform «BernPortal», welche Bevölkerung und Wirtschaft erlauben soll, alle Interaktionen mit der Stadt digital abzuwickeln, sowie ein Stadtlogistik-Konzept. Letzteres ist allerdings noch nicht so weit wie zu Beginn der Legislatur erhofft.
«Es ist gut, geht die Stadt das an, aber weltbewegend ist es nicht», sagt Peter Steck dazu. Der Präsident des Gewerbeverbands KMU Stadt Bern teilt die Kritik, dass die Stadt der Wirtschaft zu wenig Bedeutung beimisst und deren Bedürfnisse zu wenig kennt. Bei vielen Projekten heisse es, der Wirtschaftsverkehr sei nicht betroffen, aber genau abgeklärt werde es jeweils nicht, sagt er. «Wenn in der Stadt Bern über Wirtschaft gesprochen wird, geht es meistens um Forderungen, die an die Wirtschaft herangetragen werden, und nicht darum, ihr das Geschäften zu erleichtern oder zumindest nicht zu erschweren.»
Auch störe ihn, dass der Gemeinderat offenbar nur ganz spezifische Wirtschaftsbranchen in der Stadt haben möchte. «Bei Stadtentwicklungsprojekten wird jeweils deutlich, dass kleine Läden, Detailhändler und generell die Kreativwirtschaft erwünscht sind, andere Branchen aber nicht.» Gerade platz- und lärmintensiveres Gewerbe werde je länger, je mehr aus der Stadt verdrängt.
Guten Noten für Coronapolitik
Also alles schlecht? So einfach sei es auch wieder nicht, sagt Steck. Während der Coronapandemie habe die Stadt schnell und unbürokratisch das Gewerbe unterstützt – etwa mittels Mietzinshilfe, aber auch durch eine grosszügigere Haltung bei der Aussenbestuhlung von Gastro-Betrieben.
Ausserdem bestätigt er, dass das Einvernehmen zwischen Gemeinderat und Wirtschaftsverbänden besser geworden sei. Auf dem Tiefpunkt war es 2019, als der Gewerbeverband die Zusammenarbeit mit der Stadt sogar teilweise sistierte.
Zur Besserung beigetragen – das sagen Linke wie Rechte – haben personelle Wechsel auf beiden Seiten. In der Verkehrsdirektion folgte Marieke Kruit (SP), der nachgesagt wird, sich ernsthaft die Anliegen aller anzuhören, auf die in Wirtschaftskreisen unbeliebte Mutter der Velooffensive, Ursula Wyss. Auf der anderen Seite zeigt sich der neue Gewerbeverbandspräsident Peter Steck abwägend sowie dialog- und kompromissbereit, während sein Vorgänger Thomas Balmer lauter und polemischer agierte.
Kommt hinzu, dass sich auch in der Wirtschaft selbst ein Kulturwandel feststellen lässt. Jüngst haben rund 30 Gewerbetreibende eine weitgehend autofreie Innenstadt gefordert. «Das zeigt, wie divers das Gewerbe ist», sagt Steck dazu.
Tag der offenen Tür?
Doch was für eine Wirtschaftspolitik würden die Kandidierenden denn überhaupt anstreben? Oder was würden sie anders machen als der bisherige Gemeinderat?
«Ich würde den Austausch mit dem Gewerbe intensivieren», sagt Weyermann von der SVP. Der Gemeinderat könne etwa Tage der offenen Tür für die Wirtschaft veranstalten, wo sich Unternehmen anmelden könnten, um ihre Anliegen zu platzieren und den Austausch mit der Regierung zu pflegen. Die Stadt könne aber auch analog zur Klimaplattform Netzwerkanlässe für die Wirtschaft durchführen.
Ursina Anderegg vom GB hingegen erwähnt die RGM-Forderung nach einer stärkeren Förderung der Kreislaufwirtschaft. Bei Bauprojekten müsse berücksichtigt werden, dass möglichst viele Baustoffe recycelt werden. «Generell strebe ich eine kleinräumige Wirtschaft an, wo die Güter, welche es auch wirklich braucht, möglichst lokal produziert werden», sagt sie. Eine Unterstützung durch eine Direktvermarktungsplattform in die Stadt für Produkte von regionalen Landwirtinnen und -wirten könne sie sich etwa gut vorstellen. Mittels Standortmarketing zu versuchen, Grosskonzerne anzusiedeln, finde sie hingegen keine sinnvolle Strategie. «Vielmehr brauchen wir einen städtischen Mindestlohn, damit für alle der Lohn zum Leben reicht.»
Mettler von der GLP wiederum möchte beide Seiten miteinander vereinen. «Auch ich strebe einen nachhaltigen Umbau der Wirtschaft an, doch das geht nur gemeinsam mit den Betrieben, nicht gegen sie.» Wenn die Stadt ihre Aversionen gegen die Wirtschaft abbaue und die Verwaltung digitaler und dienstleistungsorientierter werde, stünden die Chancen gar nicht so schlecht, dass sich Bern zu einem fortschrittlichen Wirtschaftsstandort entwickle. Doch dafür bedürfe es beider Seiten. «Ohne Wirtschaft gibt es keine Wohlfahrt, aber auch die Wirtschaft hat eine Verantwortung für die Gesamtsituation, die sie manchmal vergisst wahrzunehmen.»