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«In der Stadt hat heute alles seinen Platz – nur das Gewerbe nicht»
Das Verhältnis zwischen Stadt und Gewerbe hat sich laut Peter Steck, Präsident KMU Stadt Bern, verbessert. Zankapfel ist aber nach wie vor der Verkehr.
Bäckereien und Familienunternehmen gehen in Konkurs, und gemäss dem kantonalen Sorgenbarometer beurteilen noch knapp 60 Prozent der Berner KMU ihre Situation mindestens als «gut». So wenige wie in vier Jahren nicht. Peter Steck, wie steht es um die Stadtberner KMU?
Es ist eine seltsame Situation: In vielen Branchen boomt das Geschäft, und auch wir haben «Büetz» wie selten. Aber es fehlen oft die Leute, um diese Arbeiten auszuführen. Dazu kommt der Standortverlust: Wenn klar wird, dass das Geschäft im bisherigen Umfeld keinen Platz mehr hat, dann investiert man vielleicht weniger in eine Nachfolge. Oder schliesst den Laden ganz. Das trübt die Aussichten.
Ein Problem, das Sie gut kennen: Ihr Carrosserie-Betrieb im Weyermannshaus West dürfte mit der Neugestaltung des Quartiers verschwinden.
Das Gewerbe, das Platz braucht, das lärmig ist, wo geschmirgelt und geschraubt wird, passt nicht in ein Wohnquartier. Anders als eine Kunstwerkstatt, ein Coiffeur oder eine Bäckerei – wobei es bei der Bäckerei mit den frühen Zufahrten schon kompliziert werden kann.
Eine Geschäftsform wird durch andere ersetzt. In der Summe scheint sich an der Wertschöpfung wenig zu ändern. Warum stört Sie dieses Phänomen trotzdem?
In einer Stadt sollte es Platz für alle haben. Dazu gehört ein lebendiges Gewerbe. Wir müssen uns den Entwicklungen auch anpassen: In Ausserholligen hatten wir zum Beispiel vorgeschlagen, dass wir eine Gewerbezone in Richtung der Freizeitanlage einrichten. Damit hätte man den Lärm auf eine Zone beschränkt, in der es schon lauter ist. Wir hatten auch einen Lärmriegel vorgeschlagen. Das wurde alles abgelehnt.
Und doch: Für die Läden in der Innenstadt hat es auch Vorteile, wenn der Verkehr beruhigt ist und die Leute durch die Strassen bummeln können.
Natürlich unterscheiden sich die Bedürfnisse, die Wirtschaft ist eben divers. Aber oft kann man sie auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Sie alle brauchen entweder Zugang zu oder aus der Stadt: für Lieferungen, Serviceleistungen oder Notfälle. Eine Bäckerei in der Stadt, deren Personal nicht morgens um drei mit dem öffentlichen Verkehr anreisen kann, braucht bessere Zufahrten. Da haben wir verschiedene Perspektiven auf dasselbe Problem.
Die Unterschiede machen sich auch politisch bemerkbar. Zum Beispiel bei der Fusion in Ostermundigen: Das Stadtberner Gewerbe hielt sich in der Frage zurück, der HIV äusserte sich aber für die Fusion, die Mundiger KMU dagegen. Wie gespalten sind Ihre Leute?
Es gibt schon kleine Differenzen, das sind aber Ausnahmen. Insbesondere kleinere Unternehmen, die als «nicht stadtverträglich» gelten, haben der städtischen Politik gegenüber Vorbehalte. Aber was die grossen Rahmenbedingungen angeht, sind wir übergreifend derselben Meinung. Die können wir der Stadt gegenüber auch geeint vertreten.
Unter Ihrem Vorgänger war das Verhältnis zur Stadt von Unzufriedenheit geprägt. Sie wollten dagegen «kein Polteri» sein, mitgestalten statt jammern. Ist Ihnen das bisher gelungen?
Es dauert lange, bis wir ein gewisses Verständnis erreichen können. Andererseits sehe ich schon auch eine höhere Bereitschaft zum Dialog, wenn wir ihn einfordern. Ich habe schon den Eindruck, dass wir das schaffen. Sonst könnte ich den Bettel gleich hinschmeissen.
Ihr Verband hat die Stadt schon oft für ihre «wenig wirtschaftsfreundliche» Politik kritisiert. Was müsste sie anders machen?
Sie müsste günstige Standorte als Gewerbe- und Industriezonen festlegen. Wir geraten mit den steigenden Preisen so unter Druck, dass wir uns zentrale Standorte nicht mehr leisten können. Dann nutzt man eine freie Industriehalle als Trampolinanlage, wie im Galgenfeld, weil man daran mehr verdient. Für jeden Baum, jede Beachvolleyballanlage gibt es Verständnis, dass die ihren Platz brauchen – aber für das Gewerbe nicht.
Sie sprechen den finanziellen Druck an, der im Sorgenbarometer auffiel. Die grösste Sorge bleibt aber der Arbeitskräftemangel. Was tut Ihr Verband dagegen?
Wir versuchen, neue Personengruppen besser zu integrieren, Langzeitarbeitslose zum Beispiel. Dann müssen wir uns die Leute auch wieder herbeischulen. Mit Messen und Berufswahlveranstaltungen versuchen wir, das Image der Lehre zu heben. Vieles liegt auch bei den Branchenverbänden, weil die Probleme nicht überall dieselben sind.
Wenn Sie sich das Sorgenbarometer so ansehen: Was nehmen Sie sich im kommenden Jahr für die Stadtberner KMU vor?
Wir werden uns in den Entwicklungs- und Bauprojekten Gehör verschaffen müssen. Und die Stadtlogistik an einen Punkt bringen, an dem wir gut zusammenarbeiten können. Wenn autofreie Zonen geplant werden, heisst es noch viel zu oft, der Wirtschaftsverkehr sei ausgenommen. Aber was das genau heisst, ist unklar. Oft fällt er dann in denselben Topf wie der Privatverkehr. Wir haben gemerkt, dass wir entsprechend segmentieren und definieren müssen: Wer muss wann wohin fahren, was lässt sich vermeiden und was ist zwingend nötig? Diese Fragen müssen wir schnellstmöglich klären.
Wir landen also wieder beim Verkehr.
Wir wollen diese Stadt zusammen gestalten. Aber dann dürfen wir den Wirtschaftsverkehr nicht vergessen. Dafür muss man ihn korrekt definieren und ernst nehmen. Dann kann sich das Gewerbe auch an die Regeln halten, ohne wegziehen zu müssen.
Zur Person
Peter Steck, 1960 geboren, ist im Westen Berns aufgewachsen, hat Fahrzeugtechnik in Hamburg studiert und seine Abschlussarbeit bei Renault in Paris gemacht. Seit 1997 führt er die Carrosserie Steck AG in der Untermatt, einen Familienbetrieb in der dritten Generation. Seit März 2023 präsidiert er den Gewerbeverband KMU Stadt Bern. (hag)