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Wenn das Kind das Mami und NUR das Mami will

Wenn sich ein Kind ausschliesslich von der Mutter betreuen lassen will, kann das für alle Beteiligten anstrengend und frustrierend sein. Um daran etwas zu ändern, braucht es vor allem Vertrauen. Und das Wissen, dass es letztendlich dem Wohlbefinden des Kinds dient, wenn man auch zu sich selber schaut.

| Anina Bundi | Gesellschaft
Nina Trepp
Familienberaterin Nina Trepp. Foto: zvg.

Frau Trepp, Miro, das Kind meiner Freundin Lisa, ist ein Jahr alt und lässt sich von niemand anderem betreuen, auch nicht von seinem Vater. Der Plan war, dass Lisa nach eineinhalb Jahren wieder in den Beruf einsteigt und das Kind in die Krippe geht. Jetzt hat sie Angst, dass das nicht klappt. Sie ist aber überhaupt einfach am Anschlag.

Was passiert, wenn sie zum Vater sagt: «Ich möchte joggen gehen. Nimm mal das Kind»? 

Das getraut sie sich nicht, weil es ja schon zu Hause nicht klappt. Miro interagiert gern mit seinem Vater, aber wenn er mit ihm allein bleiben soll, zum Beispiel weil Lisa mal in Ruhe aufs WC will, schreit Miro ganz fest.

Stillt Lisa? Ich frage nur, um die Situation zu erfassen. Am Problem ändert es nicht viel. Das könnte mit einem Schoppen-Baby genau gleich sein. 

Ja. Sie stillt nicht mehr hauptsächlich, aber doch noch regelmässig, auch tagsüber.

Ok. Dass es zuhause nicht klappt, ist verständlich. Für ein Kindchen ist es natürlich schön, wenn ein stillendes Mami da ist. Sie arbeitet ja nicht auswärts und der Papi vermutlich 100 %. Miro kann noch nicht verstehen, dass Lisa auch ein Mensch ist mit Bedürfnissen. Für ihn ist sie einfach jemand, der 24 Stunden am Tag da ist, wo alles stimmt, inklusive Milchbar. Das Kind ist nicht blöd. Wenn Mami da ist, warum soll es jemand anderen nehmen?

Was sollen Miros Eltern also machen?

Lisa muss signalisieren «Ihr könnt das» und Miro zeigen, dass sie dem Vater vertraut. Und dann gehen. Es kann sein, dass Miro vorerst lange weint, es ist aber auch möglich, dass er nach fünf Minuten merkt: Ah, Papi ist ja da und das ist auch ganz ok. Wenn Lisa im Haus bleibt, wird sie es fast nicht aushalten, wenn Miro weint. Also muss sie zur Wohnung raus.

Sie sagt, sie würde es auch nicht aushalten, wenn sie unterwegs ist und weiss, dass Miro zuhause weint.

Wenn man als Eltern alles gut und richtig machen will, vergisst man manchmal, auch an sich selber zu denken. Dabei hat das oberste Priorität. Das gilt auch für eine Mutter. Im Flugzeug lernt man, zuerst selber eine Sauerstoffmaske anzuziehen und erst dann dem Kind zu helfen. Wenn man zu sich selber schaut, geht es dem Kind automatisch besser. Das kann Lisa helfen, das Weinen auszuhalten. Wenn sie mal rausgeht, macht sie nicht nur etwas für sich, sondern letztlich auch für Miro. Und natürlich das Wissen, der Vater schaut dem weinenden Miro gut. Normalerweise beruhigt sich so ein Kind von Mal zu Mal schneller in den sicheren Armen vom Papi. Und das Kind darf auch mal traurig sein – nur nicht komplett verzweifelt und NIE alleingelassen werden! Meistens, wenn das Vertrauen bei allen dreien da ist, dann weint das Kind nur noch so lange wie Mami sich verabschiedet. Wenn überhaupt. 

Dann ist also alles halb so wild?

Meine Erklärungen gelten für ein «Durchschnittskind». Es gibt auch sogenannte «High-Need-Babys». Die brauchen von allem mehr. Ausser vom Schlaf. Es kann funktionieren, so ein Kind in die Kita zu geben. Aber es gibt Kinder, bei denen es schlicht nicht geht, Kinder, die schreien bis zum Erbrechen. Solche Kinder werden oft einfacher von einer Tagesmutter betreut oder, falls man es sich leisten kann, von einer Nanny zu Hause. 

Wie erkennt man, ob man ein High-Need-Baby hat oder ob es einfach normal fordernd ist?

Bei einem High-Need-Baby kann man alles geben und es ist doch nie zufrieden. Man muss es dauernd tragen, kann es nicht in den Kinderwagen legen. Und es braucht immer alles sofort. Nur vom Schlaf braucht es viel weniger. Durchschnittliche Babys schlafen ja ganz oft, man hat also Pausen. Doch hier eben nicht. Kein Mittagsschlaf, nichts.

Ändert diese Unterscheidung etwas an dem, was Sie soeben erklärt haben?

Nein, eigentlich nicht. Aber das Wissen verändert, wie sich Eltern dabei fühlen. Wenn man weiss, das Kind ist einfach so, kann einen das beruhigen und Sicherheit geben. Der Rest stimmt genauso. Bei einem High-Need-Baby ist es sogar noch wichtiger, dass die Eltern auch zu sich schauen.

 

Nina Trepp ist psychologische Beraterin, Paar- und Familienberaterin. Sie hält Referate und gibt Kurse und Weiterbildungen, aktuell leitet sie die Familylab-Elterngruppe und gibt Tagesworkshops für gefühlsstarke Kinder. 
www.beratungen-bern.ch


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