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Hirsche fressen den Wald
Das jüngste Wildschadengutachten zeigt, wie Rothirsche, Rehe und Gämsen die Artenvielfalt in den Berner Wäldern bedrohen. Lösungen seien höhere Abschusszahlen, mehr resiliente Arten und intensivere Holzerei.
Niedlichen Rehe und Gämsen zerfressen junge Bäume. Dies verschlechtert die ohnehin kritische Lage in den Berner Wäldern. Das zeigt ein Gutachten, welches der Kanton vergangene Woche veröffentlicht hat.
Alle zwei Jahre veröffentlicht der Kanton Bern ein Wildschadengutachten über den Zustand der Berner Wälder. Das aktuelle Gutachten bezeichnet 15 Prozent der Waldfläche als «untragbar» – einen Drittel mehr als noch 2015. Sprich: Auf 15 Prozent der Waldflächen sind alle Baumarten verbissen. Der Schaden an Jungbäumen ist kaum zu reparieren.
Noch deutlicher sind die Resultate der erweiterten Erhebungsmethode, die in diesem Jahr zum ersten Mal im Waldschadengutachten verwendet wurde. Sie zeichnet auch jene Herausforderungen auf, die mit dem Klimawandel zusammenhängen. Das Resultat: 48 Prozent der Waldfläche sind «kritisch» bis «untragbar». Nur auf den restlichen 52 Prozent wachse eine Vielfalt an Arten, die als zukünftig «resilient» eingestuft werden könnten. Um sich dem Klimawandel entgegenzusetzen, müsste der Fokus auf Laubbäume und die Artenvielfalt gelegt werden, schreibt der Kanton.
Der grösste Feind der Wälder seien die Rothirsche, Rehe und Gämsen, die durch Knospenfrass die Wälder bedrohten. Trotz eines Rekordergebnisses in der Rotwildjagd dieses Jahr könnten die Bäume nicht mithalten. Besonders betroffen seien die Problemgebiete Oberaargau, Emmental und Interlaken-Oberhasli.
Walter Sutter, Präsident der Holzverwertungsgenossenschaft Trub und Mitglied der Berner Waldbesitzer, sagt: «Im hinteren Teil der Napfregion ist der Schaden durch massive Zunahme der Gämsen gravierend.» Dadurch werde der Jungwuchs von Laubbäumen stark geschädigt. Die Beeinträchtigung der Wälder wirkt sich laut Sutter auf die Schutzwälder der Region aus. Es bestehe die Gefahr von Murgängen, Steinschlägen und Erosionen: «Die Funktion der Schutzwälder in unserem Gebiet ist längerfristig nicht mehr gewährleistet.»
Der Grund für die schlechtere Lage im Emmental ist laut Sutter die grosse Wildpopulation, da diese in der Gegend wenige natürliche Feinde habe. «In der abgelegenen, für Wild attraktiven Geländekammer bieten die Wälder ruhige Lebensräume für Gämsen», ausserdem sei das Bejagen dort «ausserordentlich schwierig».
Wie stark der Wald unter dem Wild leide, hänge aber auch vom gesamten Nahrungsangebot ab, sagt Ballmer. Um die Lage in den Problemgebieten zu verbessern, müsse das Nahrungsangebot für die Tiere vergrössert werden. «Viel Fläche mit viel Nahrung schützt den Wald», sagt Isabel Ballmer, Forstkreisleiterin vom Amt für Wald und Naturgefahren. Wenn dies nicht umsetzbar sei, dann müssten jagdliche Massnahmen zur Verkleinerung des Wildtierbestandes festgelegt werden.
Walter Sutter sieht vor allem intensivere Holzerei und höhere Abschusszahlen beim Wild als Massnahmen, um den Wald vor Wild zu schützen.
Dazu müsse auch anders gejagt werden. Denn der Kanton hat das Jagdplanerische Ziel zwar auf 1077 Hirsche erhöht. Doch es wurde knapp nicht erreicht – und nur 133 weibliche Hirsche und Jungtiere wurden erlegt. Der Rekordabschuss habe damit kaum einen Einfluss auf den aktuellen Zustand der Wälder, sagt Sutter: «Damit sich etwas ändern kann, müssen zukünftig sicher mehr weibliche Tiere geschossen werden können.» Denn ohne Hirschkühe gibt es weniger Nachwuchs und damit auch weniger Waldschaden. Für Sutter ist klar: Forstwirtschaft und die Jägerei seien gefordert, um messbare Massnahmen zu finden und umzusetzen.