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«In Peschawar fühlte ich mich von der ersten Sekunde an zu Hause»
In den 1980er-Jahren entflammte Elisabeth Rubis Liebe für Pakistan und Afghanistan. Mit über 40 Jahren begann sie Islamwissenschaft zu studieren und verbrachte fortan ihren Urlaub in ihrem Haus in Peschawar. Seit den 1990er-Jahren führt sie eine Boutique in der Berner Altstadt.

Es ist ein regnerischer Nachmittag im Januar. Elisabeth Rubi wartet in der Berner Rathausgasse in ihrer Boutique auf Kundschaft. Seit Mitte der 1990er-Jahre verkauft sie in Bern handverlesene Teppiche, Textilien, Schmuck und Geschirr aus Pakistan und Afghanistan. Benannt hat sie ihren Laden nach der bekannten Frau des Timuriden-Herrschers Sch¯ah Ruch (1377–1447), Gauhar-Shad. Diese war eine Förderin der persischen Literatur, Kunst und Architektur. Die Faszination für die orientalischen Künste bestimmte auch Elisabeth Rubis Leben.
In den 1980er-Jahren besuchte Elisabeth Rubi zusammen mit einer Freundin Tibet, was für Elisabeth lange ein Sehnsuchtsort gewesen war. Nepal und Indien kannte die Biologin und Cellistin bereits von früheren Reisen Ende der 1960er-Jahre.
Rubi und ihre Freundin reisten über Nepal nach Tibet, der Bus schraubte sich 3000 Meter hinauf in die luftigen Höhen des Himalajas. Elisabeth wurde so übel, dass sie jegliche Lust verlor, den Mount Everest zu sehen. In Tibet hatte sie schliesslich das Gefühl, jeden Pflasterstein zu kennen – «aber die Faszination für dieses Land war von einem Tag auf den anderen verblasst». Die beiden Freundinnen reisten stattdessen weiter nach Pakistan. «In Peschawar, das an Afghanistan grenzt, fühlte ich mich von der ersten Sekunde an zu Hause», erinnert sich Rubi. Sie fasste einen Entschluss: Wenn sie künftig reise, dann wolle sie mehr über die Kultur erfahren.
Rubis Vater war Generaldirektor der Post-, Telefon- und Telegrafenbetriebe und praktizierender Buddhist. Von ihm hatte Elisabeth neben der spirituellen Neugierde auch die Liebe für die Musik geerbt. Vor und während des Ersten Weltkriegs gastierten Musiker von Weltklasse in Interlaken, wo Rubis Vater aufwuchs. Die Grossmutter war stets darum bemüht gewesen, ihren Sohn von den weltbesten Musikern unterrichten zu lassen. Die Enkelin Elisabeth besuchte schliesslich das Musikkonservatorium in Bern und bestritt mit der Musik ihren Lebensunterhalt. Ihr Cello sollte ihr dabei die Türen zur Welt öffnen.
Zurück aus Pakistan ermunterte der Professor für Islamwissenschaft in Bern Elisabeth Rubi, ein Studium der Islamwissenschaft in Angriff zu nehmen – sein Sohn besuchte bei Rubi Cellounterricht. Das damalige Institut für Islamwissenschaft befand sich in den 1990er-Jahren in einer Wohnung im Sternengässchen und zählte nur eine Handvoll Studierende. Sie könne schreiben, was sie wolle, habe ihr der Professor damals zugesichert. Und so begann Rubi mit über 40 Jahren Persisch zu büffeln.
Die Freiheit des Cellos
1991 verkaufte Elisabeth ihr Cello, eine Kostbarkeit aus dem Jahr 1728. Mit dem Geld mietete sie ein Jahr lang ein Haus in Peschawar, der Hauptstadt der pakistanischen Provinz Khyber Pakhtunkhwa, die fast zwei Millionen Einwohner zählt, – und aus einem Jahr wurden deren 24. Rubi verbrachte viel Zeit auf dem Basar bei den Teppichhändlern, bereiste Pakistan und Afghanistan. Zusammen mit dem IKRK, das in ihrer Nachbarschaft stationiert war, konnte sie die entlegensten Winkel von Afghanistan besuchen. Rubi veranstaltete Hauskonzerte und schrieb ihre Hausarbeiten in ihrem Haus mit dem prächtigen Innenhof, das sie sich mit dem früheren Hausherrn, einem Mitglied des afghanischen Königshauses, teilte. Ihre Lizenziatsarbeit widmete Rubi dem Sufismus, der mystischen Strömung des Islams, der asketische Tendenzen verfolgt und seine spirituelle Kraft mitunter aus den bekannten Tänzen der Derwische zieht. Rubi erinnert sich an Feste, wo die Menschen sich zu Tausenden versammelten, um den Zeremonien beizuwohnen. Bis heute kann sie nicht verstehen, warum diese Religionsführer, die eine hohe Autorität geniessen, nie in Friedensgespräche miteinbezogen worden waren.
Internationale Ausstrahlung
Mit dem Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan im Dezember 1979 entwickelte sich der Bürgerkrieg zu einem zehnjährigen Stellvertreterkrieg zwischen sowjetischer Besatzungsmacht und den islamischen Guerillas, die von den USA, Saudi-Arabien und Pakistan unterstützt wurden. Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen 1989 kam es zu Kämpfen konkurrierender Mudschaheddins, bis schliesslich die Taliban 1995 das Ruder übernahmen. Peschawar hatte in diesen Jahren eine starke internationale Ausstrahlung. Hier trafen Mudschaheddins auf westliche Geheimdienstler, Botschafter, Entwicklungshelfer und Musiker. Sie alle gingen bei Elisabeth Rubi ein und aus, darunter beispielsweise Bruce Wannell, ein Orientalist und Linguist, der für den britischen Geheimdienst arbeitete. Und Cat Stevens sei ihr Nachbar gewesen, erzählt Rubi lachend.
Zweimal im Jahr reiste Rubi jeweils nach Peschawar, um dort ihren Urlaub zu verbringen, zum letzten Mal 2018.
Auch wenn Rubi ihre intellektuellen Freunde oft dazu ermuntert habe, ihre Frauen mitzubringen, seien diese meist alleine gekommen. Sie selbst habe nie ein Problem gehabt, sich in dieser Männerwelt durchzusetzen: «Die Männer spüren, wenn du etwas willst», sagt sie. Ihr Blick auf die ansässige Bevölkerung ist jedoch kritisch. «Die Taliban hätten niemals eine solche Macht erlangen können, wenn sie in der Bevölkerung keinen so breiten Rückhalt geniessen würden», so Rubi. Die meisten Frauen litten in der patriarchalen Gesellschaft unter massiver Gewalt.
Allen Widrigkeiten zum Trotz zieht es Elisabeth Rubi demnächst wieder nach Peschawar und Afghanistan, um die Derwische tanzen zu sehen und den Gedichts-Interpretationen ihrer Musiker-Freunde zu lauschen, welche die Zeilen des islamischen Mystikers Rumi zum Besten geben.
Boutique Gauhar Shad, Rathausgasse 38, Bern. Mittwoch bis Freitag, 14.00 Uhr bis 18.00 Uhr.