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Das Kind von Noemi erzählt zu Hause nichts

Ein Gespräch sollte kein Verhör sein, sagt Familienberaterin Nina Trepp. Um von seinem Kind Dinge zu erfahren, muss man sich wirklich interessieren und «aktiv zuhören».

| Anina Bundi | Gesellschaft
Nina Trepp ist psychologische Beraterin, Paar- und Familienberaterin. Foto: zvg
Nina Trepp ist psychologische Beraterin, Paar- und Familienberaterin. Foto: zvg

Das Kind meiner Freundin Noemi ist in der zweiten Klasse und erzählt zu Hause nichts von der Schule. Es war immer alles «gut». Wie könnte es motiviert werden, mehr zu erzählen?

Zuerst einmal kommt es auf die Ausgangslage an. Läuft es prinzipiell gut in der Schule, in der Familie? Hat es Freunde?

Ja, soweit Noemi Bescheid weiss, ist alles in Ordnung.

Zunächst sind Kinder sehr unterschiedlich. Bei einigen sprudelt es heraus, sobald sie zur Tür reinkommen, andere brauchen erst einmal etwas Raum für sich allein. Noch mal andere würden vielleicht gern erzählen, sind aber schüchtern. Eine Möglichkeit wäre, dass Noemi ihr Kind von der Schule abholt oder ihm entgegengeht und draussen im Freien ins Gespräch einsteigt. Nicht zu Hause die Tür aufmachen und losfragen. Das Ziel darf auch nicht sein, dass das Kind redet, sondern dass man miteinander unterwegs ist und im Austausch ist. Das Ziel muss die Beziehung sein. Dass man das Kind wirklich verstehen und kennenlernen will. Ein Gespräch sollte kein Verhör sein und kein Interview.

Und wie soll sie ins Gespräch einsteigen?

Sie sollte möglichst keine geschlossenen Fragen stellen und keine Suggestivfragen. Also nicht: «War es schön heute in der Schule?» Da wird das Kind einfach Ja sagen, auch weil es die Mutter nicht enttäuschen will. Eine Möglichkeit ist, selber etwas zu erzählen. Zum Beispiel, dass sie dieses Interview gelesen und gemerkt hat, dass sie sich auch manchmal Sorgen macht. Und dann vielleicht etwas aus ihrer Kindheit oder ihrem Alltag wie: «Ich erinnere mich, als ich in deinem Alter war, haben mich einmal grosse Kinder am Rucksack gepackt und daran gezerrt und ich hatte Angst.» Also von sich selber erzählen, sich aber sofort unterbrechen lassen, wenn das Kind erzählen will. 

Und wenn das Kind nicht ­einsteigt?

Dann kann sie fragen: «Hast du so etwas auch schon erlebt?». Wenn es Ja sagt, kann man etwa sagen: «Aha, ja.» Wenn dann nichts weiter kommt, wiederholen: «Ah, also bei dir gab es auch schon solche Sachen.» Spätestens dann werden die meisten Kinder etwas erzählen. Angesagt ist «aktives Zuhören». Nicht motivieren, interpretieren, kritisieren, urteilen, unterbrechen oder ausweichen. Wenn das Kind also erzählt: «Der Lehrer war heute so ein Arsch», nicht antworten: «Das sagt man nicht», sondern: «Der Lehrer hat dich also so hässig gemacht, dass du dich so fest aufregen musst». Dann wird das Kind wahrscheinlich weitererzählen. Zum Beispiel: «Ja, er hat mich bestraft, obwohl mich Fritz immer plagt.» «Fritz plagt dich?» Kind: «Immer am Freitag im Zeichnen, sonst auch manchmal in der Pause.»

Hier muss man aufpassen, dass man nicht vorschnell eine Lösung präsentiert. Das Kind will in erster Linie gehört, gesehen und ernst genommen werden. Das alles kann man mit aktivem Zuhören komplett abdecken. Das Kind kann später immer noch nach Hilfe fragen.

Oder man kann sie ihm anbieten?

Ich würde eher erst mal sagen: «Ich habe ein ungutes Gefühl und muss etwas nachdenken.» Ausser wenn es um krasse oder sexuelle Gewalt geht, eilt es meistens nicht so mit einer sofortigen Reaktion. Man sollte dem Kind das ­Gefühl geben, dass es erzählen kann. Wenn es zum Beispiel befürchten muss, dass die Eltern sofort aktivistisch werden oder zusammenbrechen, wenn sie etwas Negatives hören, wird es aufhören, Dinge zu erzählen. Man sollte da sein, wie ein Fels in der Brandung, und nicht in Panik geraten.

Ich selber versuche bei Erzäh­lungen oft, Verständnis für die andere Seite zu wecken.

Stellen Sie sich vor, Sie erzählen Ihrer besten Freundin von Ihrem fiesen Chef, und sie nimmt ihn in Schutz. Das kann sehr verletzen. Auch wenn Noemi Dinge sagt wie: «Du erzählst so wenig.» Das ist eine krasse Wertung, und das Kind wird hören: «Du bist so nicht gut.»

Und wenn Noemi einfach ein schlechtes Gefühl hat, aber nicht recht weiss, warum? Sie hat Angst, etwas Wichtiges zu verpassen, auch in Zukunft, wenn das Kind älter wird.

In einer persönlichen Beratung würde ich die Mutter fragen, was genau ihre Ängste sind und was sie selbst als Kind erlebt hat. Wenn Noemi früher ausgeschlossen wurde, kann es sie zum Beispiel sehr stressen, wenn ihr Kind nicht zu einem Geburtstag eingeladen wird. Aber vielleicht ist es für das Kind ja gar nicht so schlimm. Ein Kind, das in den ersten Lebensjahren gut und ­sicher aufgewachsen ist, empfindet Dinge meist als weniger schlimm. Oder würde sich Hilfe holen, wenn es einmal anders ist.

Nina Trepp ist psychologische Beraterin, Paar- und Familienberaterin. Sie hält Referate und gibt Kurse und Weiterbildungen, aktuell leitet sie die Familylab-Elterngruppe und gibt Tagesworkshops für gefühlsstarke Kinder. 
www.beratungen-bern.ch

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