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Ihre Mutter sah früh die Tätowiererin in ihr
Hanna Kobilic hat im Tätowieren ihre Leidenschaft gefunden. Schon als Kind schmückte die 24-Jährige ihren Körper mit gemalten Bildern. Jetzt besticht sie Bern im eigenen Studio.

In der ehemaligen Metzgerei an der Mittelstrasse in der Länggasse wird heute nicht mehr geschnitten, nur noch gestochen. Das heutige Tattoo-Studio gehört Hanna Kobilic. Die 24-Jährige ist selbstständige Tätowiererin und hat damit ihre Leidenschaft gefunden.
Ihre Mutter hat das kommen sehen.Wie viele von uns hat Kobilic in ihrer Kindheit auf die eigene Haut gekritzelt. Dabei ging es ihr jedoch weniger darum, ihre Grenzen auszutesten, sondern ihren Körper zu schmücken. «Meine Mutter war damals überzeugt, dass ich Tätowiererin werde», sagt Kobilic.
Die erste Berührung mit richtigem Tätowieren hatte sie im Gymnasium. Nach einer verlorenen Diskussion mit den Eltern musste sie dann doch warten, bis sie volljährig war für ihr erstes Tattoo: Ein Hund auf dem Oberarm. Dahinter steckte viel Überlegung, mittlerweile ist der Entscheidungsprozess spontaner. Heute spiegelt ihr Körper ihren Beruf wider. Es ist ein Werk zahlreicher Künstler und Künstlerinnen, die ihren Körper in schmerzhaften Stunden für immer verziert haben.
Die Flügel des Ikarus werden gestochen.
Gemütlicher Schmerz
Die ersten Tattoos sticht Kobilic in ihrem Schlafzimmer, dann bei einer Freundin, später in der Frauenarztpraxis ihrer Mutter, danach in zwei Studios in der Berner Altstadt. Schliesslich in ihrem eigenen Studio Chrysalis in der Länggasse. Im Raum stehen drei Tattoo-Liegen, für die drei Tätowierenden des Studios. An den dunkelgrünen Wänden hängen zahlreiche Bilder, die eine Freundin gemalt hat.
Der Raum ist warm beleuchtet, es riecht nach ätherischen Ölen, im Hintergrund läuft entspannende Musik. Zwischen den Zimmerpflanzen steht das samtige Sofa. Die heutige Kundin ist mit Kopfhörer, Buch und Verpflegung auf den Termin vorbereitet. Kobilic setzt sich mit der Kundin hin – daneben liegt ihr Hund Mila – um Schattierungen und Platzierung zu besprechen.
Die Kundin macht ihren Rücken frei und Kobilic bereitet ihre Station vor. Sie spannt Plastik, desinfiziert Geräte, füllt Farbe ab, verstreicht Vaseline, und druckt Bilder aus. Es erinnert an ein Mise en Place – doch noch ein wenig Metzgerei im Studio. Der Raum füllt sich mit dem Geruch von Desinfektionsmittel. Kobilic knipst die helle Rundleuchte an. Das Surren der Maschine ertönt und das Stechen beginnt.
Auf dem Tablet hat sie das Design der Kundin vorgezeichnet. Der fallende Ikarus soll den ganzen Rücken verzieren. Es ist bereits das fünfte Tattoo, das Kobilic für sie sticht. In ihrer Anfangsphase, als sie noch von zu Hause mit einer Nadel Freunde tätowierte, entstanden schiefe Linien und zu tiefe Stiche. Kobilic freut sich, wenn Leute von damals heute in ihr Studio kommen und sie ihnen zeigen kann, wie sie sich weiterentwickelt hat. «Dann haben sie fast meinen Lebenslauf auf dem Arm», sagt sie lachend.
Das Studio hat sie nach ihrem Gusto eingerichtet.
Kobilic mit Freude bei der Arbeit.
Anfangsschwierigkeiten
Der Einstieg in die Tattoo-Szene war alles andere als einfach. Nach ihrem ersten eigenen Tattoo übte sich Kobilic rasch an ihrem Freundeskreis. «Darin war ich aber recht schlecht», so Kobilic. Richtig los ging es erst, als sie von ihren Eltern eine eigene Tattoo-Maschine erhielt. Das Tätowieren wird zum ersten Hobby, das sie nachhaltig verfolgt. Ganz nach dem Pokémon-Intro: «I wanna be the very best», singt Kobilic.
Das Handwerk zu erlernen war mühsam. «Es gab wenige Informationen online zu finden, da die Tattoo-Community ein etwas elitäres Denken verfolgte», sagt Kobilic. Grund dafür ist der Graben zwischen der älteren und der jüngeren Tattoo-Generation. Anweisungen teilte man nicht gerne mit Anfängern, da die erfahrenen Tätowierenden aus einer Zeit stammen, in der man noch durch Mundpropaganda Kundschaft anlocken musste. «Die älteren Tätowierenden, die einen deutlich schwierigeren Einstieg hatten, sind nun etwas bitter der neuen Generation gegenüber», sagt Kobilic.
Durch Instagram hat sich die Tattoo-Szene stark verändert. Die Kundschaft findet fast ausschliesslich über die Social-Media-Plattform zu Kobilic. Trotzdem kommt es vor, dass Tattoo-Interessierte das Studio beim Vorbeigehen besuchen. Das ist auch heute der Fall. Ein potenzieller Kunde erkundigt sich nach dem Ablauf des Tätowierens. Es wird sein erstes Tattoo in der Schweiz. Den Prozess hat Kobilic schon oft beschrieben. Trotzdem erklärt sie gerne, was die nächsten Schritte sind, und sie machen einen Termin zur Vorbesprechung ab.
Generation Instagram
Seit der Pandemie gibt es ein starkes Wachstum der Tattoo-Community in Bern. Während der Lockdown-Phase fanden viele zum Hobby-Tätowieren von zu Hause aus. In der Old-School-Tätowiersprache nennt man sie «Scratchers». Durch die richtige Vermarktung auf Instagram bekommen sie schnell eine grosse Reichweite, ohne qualitativ hochwertige Arbeit vorweisen zu müssen.
Auf der anderen Seite gibt es die Tätowierenden, die seit vielen Jahren dabei sind und in einem Studio unter arbeitsrechtlich schwierigen Bedingungen das Handwerk erlernt haben. «Die, die zuerst zwei Jahre lang das Studio putzen mussten, bevor sie eine Maschine in die Hand nehmen durften», sagt Kobilic, «empfangen die Neulinge nicht so gern».
«Ich möchte durch meine qualitativ guten Tattoos Kundschaft gewinnen, nicht durch das richtige Marketing», sagt Kobilic. Nicht alle Tätowierenden bewerben sich gerne in den sozialen Medien. Ohne das geht es aber fast nicht mehr.
Kobilic vor dem eigenen Studio.
Jung und selbstständig
Die sozialen Medien sind zum Angelpunkt für Kobilics Selbstständigkeit geworden. Die Ungewissheit macht Kobilic immer wieder Bauchweh. Sie habe regelmässig Angst, finanziell nicht über die Runden zu kommen. «Aber dann bekomme ich zum Beispiel den Brief der Ausgleichskasse, und da steht ‹Tätowiererin› drauf», sagt Kobilic. «Das fühlt sich schon cool an.» Sollten alle Stricke reissen, hat sie über ihre Ausbildung in der Pflege zwar einen Plan B. Vorerst lohne sich das Risiko aber, sagt Kobilic. Schliesslich habe sie etwas gefunden, das sie erfülle.
Der Tattoo-Termin der heutigen Kundin geht nach über sechs Stunden zu Ende. Kobilic reinigt den Rücken, fotografiert das Tattoo und spannt nach erneutem Reinigen einen Transparentverband über das frische Tattoo. «Ich muss mir Mühe geben, nicht zu viel zu arbeiten. Das ist die Gefahr, wenn man die Leidenschaft zum Beruf macht», sagt Kobilic und schliesst erschöpft die Tür des Studios ab.