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«Monogamie ist die Meisterprüfung, wenn man weiss, was man will»

Wenn langjährige Paare über eine offene Beziehung nachdenken, lohnt es sich laut Paartherapeut Bruno Wermuth, genau hinzuschauen, was hinter dem Wunsch steckt. Für junge ­Leute, die sich als sexuelle Wesen erst noch kennenlernen müssen, findet er es dagegen eine gute Idee.

| Anina Bundi | Gesellschaft
Bruno Wermuth. Foto: zvg
Bruno Wermuth. Foto: zvg

Meine Freundinnen Alba und Klara (Mitte 20) wollen ihre Beziehung öffnen. Ist das eine gute Idee?

Für Menschen Mitte zwanzig finde ich das eine gute Idee, ja. Und zwar weil ich die sogenannte Monogamie oder eine exklusive sexuelle Beziehung eher als Meisterprüfung sehe denn als Gesellenstück.  

Warum das?

Wenn man anfängt, seine Sexualität zu leben und sich auszuprobieren, ist das ein Feld, auf dem idealerweise mehrere Teilnehmende sind. Es geht darum, sich selber als sexuelles Wesen und was man gern hat, kennenzulernen. Meiner Meinung nach ist Monogamie für Menschen, die wissen, was sie wollen. Ich sage nicht, dass es die Möglichkeit nicht gibt, auf Anhieb die Person zu finden, mit der es passt. Aber wohl für die Meisten geht der Weg eher vom Allgemeinen zum Besonderen.

Junge Leute sind aber auch noch unsicherer. Macht es das nicht schwierig?

Ich glaube, in eine Beziehung einzutreten ist immer mit Unsicherheit verbunden. Das Gefühl, sich in einer Komfortzone zu befinden, kommt vom Glauben, man kenne einander. Man einigt sich sozusagen darauf, nicht mehr weiterzuforschen, anstatt offen zu bleiben für einander und sich gegenseitig mit einer Haltung des Nicht-Wissens anzuschauen. Oft merkt man erst in einer Krise, dass es da noch mehr gäbe. Als junger Mensch sollte man versuchen, herauszufinden, wer man ist. Nicht nur in der Sexualität. Und sich erst dann in eine Beziehung begeben und sich Standards und Regeln unterziehen.

Wäre die Antwort gleich ausgefallen, wenn die beiden noch jünger wären?

Ja, dann gilt das noch viel mehr. Aber meistens passiert das sowieso. Idealerweise machen Jugendliche sowieso ­einen Suchprozess durch. Wie lange dieser dauert, ist individuell. Irgendwann nach der Adoleszenz kommt dann der «Mittelbau» des Lebens, wo andere Sachen wichtig werden bis hin zur Familiengründung. Das erfordert, dass die Experimentierphase abgeschlossen wird und man grundsätzlich weiss, wohin man gehört, was einem wichtig ist.

Was sind die Stolpersteine in diesem Prozess?

Ich beobachte, dass sich viele Paare monogam ausprobieren und irgendwann auf die Idee kommen, die Beziehung zu öffnen. Oft will das eine Person mehr als die andere. Das Recht, sich ausserhalb der Beziehung auszuleben, gilt dann zwar für beide, aber ­einer Person nützt es mehr als der anderen, da diese das Bedürfnis gar nicht oder weniger hat. Das kann bei ihr zu Verletzungen führen. Und die Person mit dem Bedürfnis nach Öffnung kann diese dann gar nicht geniessen, weil sie Schuldgefühle hat.

Und wie sollen sie dann vorgehen?

Wichtig ist, achtsam zu sein für die Machtverhältnisse in der Beziehung. Oft ist es so, dass man Gleichberechtigung zwar anstrebt, aber sich dann doch in Abhängigkeiten verstrickt. Zum Beispiel indem man sich Bedingungen unterzieht, von denen man denkt, dass sie nicht verhandelbar sind. Alba und Klara sollten klären, was ihre Motivationen sind. Und sie sollten klare Regeln und Rahmenbedingungen definieren. Zum Beispiel die Dauer der Öffnung und ob es eine Probezeit geben soll. Und vereinbaren, was man wissen will, also was man verpflichtend mitteilen muss und was man freiwillig mitteilen darf. Idealerweise erlaubt man sich gegenseitig auch eine Art Vetorecht, welches das Experiment vor Ablauf der Probezeit beenden kann, wenn es für eine Person nicht mehr lebbar ist. 

Und was sagen Sie älteren Paaren, die schon lange zusammen sind und die Beziehung öffnen wollen, weil sie sich langweilen?

Oft ist es die naheliegendste Möglichkeit, auf der Ebene Sexualität schnell und scheinbar unkompliziert Bewegung in eine Beziehung zu bringen. Bei der Beziehung selber hinzuschauen ist komplizierter. Genau das sage ich ihnen. Und dass man möglicherweise besser zuerst untersucht, was auf der Beziehungsebene läuft, also was genau dazu führt, dass man auf die Idee kommt, sich im Aussen sexuell auszuleben. Vielleicht ist das Thema Sex in der Beziehung abgeschlossen? Oder vielleicht möchte man zwar gern Sex haben zusammen, aber so wie man es bisher gemacht hat, ist es nicht mehr stimmig? Oder man hat zu lange etwas unter dem Deckel gehalten, worauf man nun nicht mehr verzichten will, was aber in der Beziehung nicht gelebt werden kann? Oder aber es gibt auf der Beziehungsebene etwas, das irritiert oder einen hindert, Sex zu haben. Dass man sich so fremd geworden ist, dass Sex zu intim ist, dass man gar keine Lust hat darauf, dem Beziehungsgegenüber so nah zu sein. Es gibt unzählige Gründe. Und nicht immer ist der Grund, dass mit der Beziehung etwas nicht mehr stimmt. Ich lade das Paar ein, die Motivationen und Einschränkungen zu prüfen und sich zu überlegen, was es wirklich will. Und ob die offene Beziehung wirklich etwas dazu beiträgt oder nur ein Nebenschauplatz ist.

Kann es funktionieren?

Es gibt auch hier keine Normalität. Bei den einen funktioniert eine «Carte Blanche», mit der man einander die Freiheit gibt, sich auszuleben. Bei anderen ist es ein Schritt in Richtung Ende der Beziehung. In meiner Praxis habe ich bislang nur ein Paar erlebt, das zumindest semi-erfolgreich eine offene Beziehung führt. Bei den wenigsten ist es ein Modell, das langfristig funktioniert. Auch, weil unsere Gesellschaft nicht bereit ist, diese Offenheit zu tolerieren.

 

Bruno Wermuth ist Sozialpädagoge FH und arbeitet nach diversen Weiterbildungen seit 15 Jahren als Einzel-, Paar und Sexualtherapeut. Nebst Beratungen in der eigenen Praxis bietet er Workshops, Elterncoachings und Weiterbildungen an. Von 2008 bis 2023 beantwortete er als «Dr. Sex» in «20 Minuten» Fragen zu Sex und Beziehungen.

www.brunowermuth.ch


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