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«Früher galt die Genossenschaft als Gütesiegel»

Jeden Sommer schickt die Bolliger Viehzuchtgenossenschaft ihre Tiere gemeinsam ins Berner Oberland. Doch ihr Modell bröckelt. Nun will sie innovativer werden.

| Léonie Hagen | Gesellschaft
Andreas Bachofner (links im Bild) und Markus Steiner wollen «ihre» Mattenalp zukunftsfähig machen. (Foto: Léonie Hagen)
Andreas Bachofner (links im Bild) und Markus Steiner wollen «ihre» Mattenalp zukunftsfähig machen. (Foto: Léonie Hagen)

«Die da, die auf der faulen Haut liegt, das ist sicher deine.» Markus Schneider deutet aus dem Autofenster in Richtung des grünen Hangs unter der Mattenalp, auf die braun gefleckte Kuh. Sie liegt dort, kaut genüsslich auf einem Halm herum. Andreas Bachofner genügt ein kurzer Blick, er lacht. «Die gehört tatsächlich mir! Ganz der Bauer.» Weiter geht die Fahrt, vorbei an den
Kühen, in Richtung Mattenalp.

Im saftigen Gras liegt es sich am besten. (Foto: Léonie Hagen)

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Stolzer Alpvogt: der Bolliger Andreas Bachofner. (Foto: Léonie Hagen)

Auf der faulen Haut liegen werden die beiden Bauern allerdings nicht. Bach­ofner und Schneider sind führende Mitglieder der Bolliger Viehzucht- und Alpgenossenschaft: Bachofner waltet als ihr Präsident und Alpvogt, Schneider war jahrzehntelang Kassier. Das Jahr über stehen die Kühe der beiden Züchter in ihren Ställen in Bolligen. Jeden Sommer geben sie das Vieh in die Hände einer Familie auf der Mattenalp. Die Alp gehört allen Genossenschaftern, gemeinsam. Entsprechend fühlen sich die beiden Bauern mitverantwortlich. Einmal pro Woche ziehen die beiden hoch, ihrem Vieh nach. Und packen an. 

Auch an diesem Mittwoch gibt es – trotz des nebligen Wetters – viel zu tun. Angefangen in der Käserei. Dort sind Sandra Fahrni, ihre Gehilfin und ihre Tochter zwar schon fast fertig. Seit 5.30 Uhr stehen sie in dem feuchten Raum, befeuern den Ofen, rühren die frische Milch an, füllen sie in Holz- und Plastikbehälter. Hin und wieder wenden Fahrni und ihre Tochter einen frischen Käselaib, es riecht nach Milch und Molke. Nur der Ziegenkäse muss fertig abgefüllt werden, dann bleibt nur noch das Putzen. 

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Sandra Fahrni käst seit 20 Jahren. (Foto: Léonie Hagen)

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Von wegen getane Arbeit: Der Putz gibt viel zu tun. (Foto: Léonie Hagen)

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Fahrnis Tochter hilft von früh bis spät mit. (Foto: Léonie Hagen)

Investitionen für die Zukunft …

Für Bachofner und Schneider ist der Besuch dennoch wichtig. Vor einem Monat hat die Genossenschaft die Käserei endgültig modernisiert. Statt über dem Feuer soll die Milch neu mit Dampf erhitzt werden. 

Nun stehen die ersten Käselaibe da, der grosse Test für die neuen Geräte. Auch für die Käserin Fahrni sind die Geräte Neuland. Zwanzig Jahre hat sie über dem Feuer gekäst. Die Umstellung fällt ihr nicht leicht: «Es ist zwar weniger anstrengend als über dem Feuer, aber das Gespür für die richtigen Temperaturen muss ich erst noch finden.» Die Mutschli werden bereits gut, sagt Fahrni. Ein gutes Zeichen. Für den Alpkäse wird sich noch zeigen, ob die Rechnung aufgeht: Ist die Qualität nicht hoch genug, sinkt der Absatzpreis um mehrere Franken pro Kilogramm. 

Für die Genossenschafter ist die Investition das Risiko aber wert. Man wolle die Alp innovativ gestalten, sagt Markus Schneider, müsse auch als Arbeitgeberin mit der Käserei attraktiv bleiben. 

Die Arbeit auf der Mattenhütte geht weit über die Käserei hinaus. Rund 180 Tiere sömmern auf der Alp. Sie müssen gefüttert, die Kühe zweimal täglich gemolken, auf die Weiden gelassen, wieder eingetrieben und in Notfällen versorgt werden. Zur Hütte gehört auch ein Dutzend Schweine, die mit der übrig bleibenden Molke gefüttert werden. Dann der Betrieb der Käserei und der kleinen Wirtschaft auf der Hütte, der Empfang von Wandergästen.

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180 Tiere sömmern auf der Mattenalp. (Foto: Léonie Hagen)

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Dazu kommt ein Dutzend Schweine... (Foto: Léonie Hagen)

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...und die Arbeit im Käsekeller. (Foto: Léonie Hagen)

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Gehilfin Andrea pflegt die Käselaibe täglich... (Foto: Léonie Hagen)

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...indem sie sie mit einer Salzwasserlösung einreibt. (Foto: Léonie Hagen)

Dazu kommt die Landschaftspflege. Die Alp ist für ihre Biodiversität ausgezeichnet. Um diese zu erhalten, müssen die weitläufigen Wiesen regelmässig von Unkraut befreit, die kleinen Wälder aufgeforstet werden – teils von Hand, weil chemische Schädlingsbekämpfung nicht zulässig wäre. 

«Es wird immer schwerer, Leute zu finden, die genug Erfahrung haben und bereit sind, so vielseitig zu arbeiten», so Schneider. Die Familie Fahrni mit ihrer langjährigen Erfahrung sei ein Glücksfall. Auf einen zweiten will man nicht warten. 

… obwohl diese nicht so sicher ist

Das Personal ist für die Bolliger Genossenschaft auch deshalb so wichtig, weil ihre eigene Grundlage bröckelt. Die Bolliger Viehzucht- und Alpgenossenschaft kann zwar schon auf über 100 Jahre Geschichte zurückblicken. Doch auch sie leidet unter dem Nachwuchsproblem.

Das Genossenschaftsmodell wäre im Kanton Bern eigentlich verbreitet: Etwa ein Drittel der Alpwirtschaften wird in genossenschaftlicher Form geführt. Doch das Modell scheint auszulaufen. «Früher galt die Genossenschaft auch in der Zucht als Gütesiegel», erklärt Markus Schneider. «Heute sind private Labels deutlich wichtiger.» 

Üblicherweise wurde die Mitgliedschaft in der Genossenschaft von Vater zu Sohn weitergegeben. Neuzugänge, deren Eltern noch nicht Teil der Genossenschaft waren, sind selten. Markus Schneider war der letzte solche Neuzugang in der Bolliger Genossenschaft. Er trat ihr vor 19 Jahren bei. Seither gab es drei Neuzugänge durch einen Generationenwechsel. Heute sind die Genossenschafter noch zu neunt. 

Eigentlich würden sie sich die Arbeit auf der Alp teilen. Etwa, wenn es um die Unkrautbekämpfung geht oder um den hundertjährigen Brunnen, dessen Risse Bachofner und Schneider an diesem Mittwoch mit schnelltrocknendem Beton füllen.

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An diesem Mittwochmorgen kümmern sich Bachofner und Schneider um den Brunnen. (Foto: Léonie Hagen)

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Die Arbeit muss zügig vorangehen – der Beton trocknet schnell. (Foto: Léonie Hagen)

Markus Schneider rührt eine kleine Menge an, stapft mit dem Eimer zum Brunnen, klatscht den Beton auf den Riss. Jeder Handgriff sitzt. «Wir sind wie Hauswarte für diese Alp», erklärt er. «Wenn jeder ein bisschen hilft, bleibt sie noch lange in Schuss.»

Doch nicht alle von ihnen können sich so aktiv beteiligen wie die beiden. «Wer heute einen Hof übernimmt, hat oft doppelt so viele Tiere wie sein Vorgänger», erklärt Bachofner. Damit nehme auch die Arbeitslast deutlich zu. Es sei verständlich, dass damit weniger Zeit für eine Alpbeteiligung bleibe. 

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Tradition wird auf der Mattenalp hoch gehalten. Da dürfen die Trycheln nicht fehlen. (Foto: Léonie Hagen)

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Auch künftige Generationen sollen vom guten Zustand der Alp profitieren können. (Foto: Léonie Hagen)

Umso wichtiger seien Investitionen, wie sie die Bolliger Genossenschaft in den letzten Jahren getätigt hat: die neue Käserei, ein neuer Laufstall, eine gut instand gehaltene Strasse für die Zufahrt, Solarpanels für den alltäglichen Strombedarf. Sie machen die Alp zu einem Ort, der auch für Viehzüchter ansprechend bleiben soll. 

«Wir wollen zukunftsfähig sein», so Schneider. Damit auch die kommenden Generationen noch auf die Alp mit ihren grünen Weiden fahren. Und weiterführen, was hier seit über einem Jahrhundert Tradition hat. 


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