Skip to main content

-


Anzeige

Anzeige


Das Kind von Moritz isst nur leere Pasta und Süsses

Wenn das Kind nicht isst, was die Eltern wollen, plädiert Familienberaterin Nina Trepp für Entspannung: «An einem vollen Tisch kann ein Kind nicht verhungern.»

| Anina Bundi | Gesellschaft
Nina Trepp ist psychologische Beraterin, Paar- und Familienberaterin. Foto: zvg
Nina Trepp ist psychologische Beraterin, Paar- und Familienberaterin. Foto: zvg

Das Kind (10) meines Freundes Moritz isst nur Cornflakes mit Milch, Pasta ohne nichts und Süsses. Moritz macht sich Sorgen um die Gesundheit seines Kindes.

Das ist ein heikles Thema, zu dem viele alte Glaubenssätze herumgeistern. Ich bin nicht Ernährungsberaterin, aber wir schauen die Frage hier von der Familie her an. Generell ist beim Essen die Familienkultur, also das Vorbild der Eltern wichtig. Auch der Charakter ist ein Faktor. Ein Kind, das neugierig, offen und unbeschwert durchs Leben geht, wird eher mal etwas Neues ausprobieren.

Das Kind probiert schon mal etwas aus, aber das Fazit ist immer «Ich habs nicht gern».

Das ist zum Teil evolutionsbiologisch begründet. Heute liegen kaum mehr giftige Sachen herum. Aber in der Steinzeit war es wichtig, nichts zu essen, was man nicht kennt. Der kindliche Organismus ist auf Süsses geprägt. Süsses aus der Natur ist praktisch nie giftig. Sauer und bitter dagegen signa­lisieren: Achtung giftig! Man sagt, Kinder müssen etwas fünfzehn Mal probieren, um sich daran zu gewöhnen. Im ersten Lebensjahr essen Kinder noch fast alles. Was man einem Kind dann regelmässig zu kosten gibt, wird es als ungefährlich abspeichern und auch später essen.

Bei Moritz’ Kind war es schon immer so, dass es sehr heikel war.

Dann ist es wohl ein Kind, das nicht so experimentierfreudig ist. Soweit alles normal.

Wie kann man ein gutes Vorbild sein?

Genussvoll essen, zusammen am Tisch essen, den Kühlschrank füllen mit Sachen, die man gut findet. Grundsätzlich entscheiden die Erwachsenen über das Angebot und das Kind sagt, wovon es sich nimmt und wie viel. Gut ist, wenn man kleine Kinder zum Einkaufen mitnimmt, vielleicht auch mal auf einen Bauernhof, und sie an der Zubereitung teilnehmen lässt. Wichtig ist auch, sie selber schöpfen zu lassen. Es gibt den Spruch «An einem vollen Tisch kann ein Kind nicht verhungern». 

Solange das Kind fit und gesund ist, würde ich mir keine Sorgen machen. Auch wenn es ein paar Wochen nur Pasta isst. Nie, nie darf man ein Kind zwingen, etwas zu essen. Ein gesundes Kind spürt selber, was es braucht. Wenn immer Äpfel auf dem Tisch stehen, wird es irgendwann auch einen essen.

Und dann die Stimmung beim Essen. Ist der Esstisch ein Ort, an dem man Zeit hat und achtsam miteinander umgeht? Ältere Kinder haben oft schlicht keine Lust, mit den Eltern
zu essen, weil schlechte Stimmung herrscht oder sie mit Fragen gelöchert werden. Cornflakes und leere Pasta sind schnell gegessen, womit man weniger lang am Tisch sitzen muss.

Verhungern wird das Kind nicht. Aber es bekommt schlechte Laune, worunter dann auch Moritz leiden muss.

Ja, hier kommen die eigenen Grenzen ins Spiel. Da kann man zum Beispiel sagen: «Wenn Du nichts isst, bekommst Du oft schlechte Laune und dann können wir den Nachmittag in der Badi nicht so geniessen.» Und immer etwas dabeihaben und abgeben, wenn der Hunger kommt. Ohne Machtkämpfe à la «Hättest Du vorhin gegessen, hättest Du jetzt keinen Hunger.» Bei 10-Jährigen kann man auch mal sagen: «So habe ich keinen Bock, mit Dir etwas zu machen.» 

Soll man für ein heikles Kind extra kochen?

Das würde ich nicht tun, dafür wäre ich auch zu faul. Aber ich würde sicher nicht extra das kochen, was es nicht gern hat. Ich würde kochen, was ich als gesund ansehe. Wenn ich zwei, drei Mal Pasta pro Woche ok finde, dann koche ich das. Wenn ein Kind dann etwas nicht mag, isst es das halt nicht. Viele Familien haben immer Brot zuhause und davon kann man sich ja immer nehmen. Oder ein Naturejoghurt. 

Und Süsses? Soll Moritz sein Kind so viel davon essen lassen, wie es will?

Verbieten macht es noch spannender. Mein Kind hat zum Beispiel ein Kistli mit Süssem. Eine halbe Stunde vor dem Essen will ich nicht, dass es davon isst, weil es den Hunger nimmt. Jedoch nach dem Essen oder am Nachmittag ist es mir Wurst, da kann es selber entscheiden. Das Kistli bleibt meistens unberührt und voll über Wochen.

Und wenn es nach dem Nicht-Essen ans Kistli will?

Dann ist es halt so. Man kann ja auch Einfluss darauf nehmen, was darin ist. Zum Beispiel Rosinen anstatt Haribo. Diese Panik vor Zucker teile ich nicht. Es braucht sehr viel, damit es gefährlich ist. Das Einzige, das durch Zucker wirklich in Gefahr ist, sind die Zähne. 

Warum ist das Essen in so vielen Familien ein Problem?

Man bestimmt so viel über das Leben der Kinder. Essen ist wie Einschlafen, man kann niemanden dazu zwingen. Wenn ein Kind überall beschränkt wird, zeigt sich das oft beim Essen, bis hin zu Essstörungen. Da geht es auch um Aufmerksamkeit, die Eltern geraten in Panik, das gibt ein Machtgefühl. Einiges ist auch einfach in unseren Köpfen. Zum Beispiel, dass man am Vormittag keine Glace isst. Oder auch, dass das Dessert am Schluss kommt. Wenn das Kind direkt vor der Pasta eine Glace will: Warum auch nicht? Bis zum Hauptgang ist das Sättigungsgefühl noch nicht im Gehirn angekommen. Allgemein laufen Dinge, die man lockerer nimmt auch lockerer.

 

Zur Person: 

Nina Trepp ist psychologische Beraterin, Paar- und Familienberaterin. Sie hält Referate und gibt Kurse und Weiterbildungen, aktuell leitet sie die familylab Elterngruppe und gibt Tagesworkshops für gefühlsstarke Kinder.
www.beratungen-bern.ch


Ihre Meinung interessiert uns!


Verwandte Artikel


«Wie kriegt Christian seine Tochter dazu aufzuräumen?»

Das Zimmer von Christians Tochter sei ihre Sache, sagt die Familienberaterin Nina Trepp. Anders ist es, wenn es aus dem Zimmer in die Wohnung stinkt.

Paar- und Sexualtherapeut Bruno Wermuth: «So wird aus einer Beziehung ein Dienstleistungsbetrieb»

Paar- und Sexualtherapeut Bruno Wermuth glaubt, dass es nicht immer nur um Lust geht, wenn der sexuelle Impuls hoch ist. Er würde Luzius deshalb raten, auch nach anderen Wegen zu suchen, um Spannung abzubauen.

Darf man seine Kinder anschreien? «Nein. Jein.»

Seit körperliche Gewalt nicht mehr Teil der üblichen Erziehung sei, sei Liebesentzug der gravierendste Fehler in der Kindererziehung, sagt Familienberaterin Nina Trepp. Nicht mehr mit dem Kind zu reden, sei schlimmer, als mal laut zu werden.