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Geschichten hinter Gebirgsgewalten
Das Kornhausforum hat seine Galerie für zwei Nachwuchskünstler und eine Nachwuchskünstlerin geöffnet. Zu sehen ist in der Ausstellung «Wenn Steine fliessen» allerdings keine vergleichende Leistungsschau, sondern eine gemeinsame Projektarbeit, die sich vielschichtig, vertieft und emotional packend mit den Gefahren in der alpinen Bergwelt auseinandersetzt.

Im Kornhausforum fliessen momentan nicht nur Steine, wie es der Ausstellungstitel verheisst, es fliessen auch verschiedene Medien, Geschichten und Zeitebenen ineinander über. Ausgangspunkt des gemeinsamen Projekts von Julian Rupp, Barbara Truog und Julian Walss, die an der Hochschule Luzern den Studiengang Camera Arts besuchen, ist ein massiger Felsbrocken. Er liegt isoliert auf einer Wiese. Dorthin gelangte er, als der Berghang oberhalb des Bündner Bergdorfes Brienz im Sommer 2023 abzurutschen begann. «Für uns macht dieser fotografierte Fels die Naturgefahr direkt spürbar. Unser Ansinnen war allerdings nicht, Schlagzeilen zu diesem Event zu liefern, sondern den Blick zu öffnen auf diverse Themen, die sich rund um die Naturgewalten in der Bergwelt auffächern», erklärt Barbara Truog.
In den verschiedenen Kojen werden touristische, religiöse, technologische oder traditionelle Aspekte beleuchtet und gleichzeitig auch in sich geschlossene Geschichten erzählt. Beispielsweise diejenige der Löwwistoub, eines kleinen Häuschens, das im Wallis oberhalb einer Bahnlinie als Lawinenbeobachtungspunkt genutzt wurde. Die Fotos der Aussenansicht und des Inneren des unvermittelt verlassenen Häuschens werden von einem Telefon ergänzt, das in der Koje angebracht wurde und beim Abheben des Hörers eine Lawinensage übermittelt.
Dokumentarisch und zugleich spekulativ
Hier zeigt sich exemplarisch die mediale Mehrschichtigkeit, die sich durch die gesamte Ausstellung zieht. Denn neben Fotos spielen auch Filmclips, Musik, das gesprochene Wort oder haptische Gegenstände eine Rolle. «Uns hat diese verlassene Zeitkapsel, auf die uns ein Einwohner des Bergdorfes auf einem unserer Streifzüge aufmerksam gemacht hat, magisch angezogen», so Julian Walss über die Herangehensweise des Trios, historische mit zeitgenössischen Ebenen zu verweben.
Vor den beiden Recherchetischen werden diese Aspekte ebenfalls gut sichtbar. Beim Blick über die Assemblage der bearbeiteten Archivbilder, der 3-D-Drucke und der Videoclips wird jedoch auch bewusst, wie tief die drei Studierenden in die Welt der Berggewalten eingetaucht sind und wie differenziert sie sich damit auseinandergesetzt haben. «Wir sind alle drei grosse Naturliebhaber und begeisterte Berggänger, so haben wir während des Studiums zusammengefunden und so hat sich das Projektthema ergeben», sagt Julian Rupp.
Es fällt aber auch auf, dass nicht alle der präsentierten Objekte und Bilder mit einer erklärenden Legende versehen sind. «Uns war es einerseits wichtig, diese Leerstellen zu lassen, um Diskussionen anzuregen. Andererseits erscheinen uns die Gefühle, die an einem bestimmten Ort ausgelöst werden, wichtiger als die exakte Benennung dieser Berge oder Dörfer», so Rupp.
Tatsächlich macht diese sehr differenzierte Art, wie hier auf die menschgemachte Veränderung der Natur aufmerksam gemacht wird, viel mehr Lust, sich mit dieser Problematik auseinanderzusetzen, als offensive Aktionen gewisser Klimaaktivistinnen und -aktivisten. Aber auch das Auge wird beim Eintauchen in die Berggeschichten belohnt. «Uns war nicht nur das Vermitteln von Inhalt und das Storytelling wichtig, auch der ästhetische Aspekt stand im Vordergrund», so Barbara Truog. Obwohl im Ausstellungsraum die verschiedensten Bildträger, Medien und Materialien aufeinandertreffen, ergibt sich ein harmonischer Gesamteindruck einer Ausstellung, die einer Schau gestandener Profifotografen in nichts nachsteht.
Kornhausforum Bern, 2. OG, bis 4. Mai, Dienstag bis Freitag 10.00
bis 19.00 Uhr, Samstag 10.00 bis 17.00 Uhr.
Weitere Infos: kornhausforum.ch