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Die Architekturhistorikerin Rahel Gugelmann half als Volunteer bei «Open House Basel» mit, bei der Zürcher Ausgabe war sie als Teilnehmerin dabei und fand: Auch Bern braucht einen solchen Anlass. Zum Netzwerk Open House, 1992 in England gegründet, zählen mittlerweile fast 60 Städte, die im Rahmen von zweitägigen Festivals Gebäude öffnen und architektonische Stadtführungen veranstalten, um den Blick der Bevölkerung für Architektur und Stadtentwicklung zu schärfen. «Die Bernerinnen und Berner sind sehr stolz auf ihre Altstadt, die zum Unesco-Weltkulturerbe zählt, die Architektur der Aussenquartiere ist hingegen wenig bekannt», so Gugelmann. Für die Architekturhistorikerin erzählt jedes Gebäude eine Geschichte, und um diese auch Laien zugänglich zu machen, brauche es Vermittlungsarbeit.
2023 formierte sich ein sechsköpfiges junges Team, bestehend aus drei Architekten, zwei Kunsthistorikerinnen und einer Ökonomin, initiiert von Rahel Gugelmann, um Diskussionen über Architektur und Baukultur in der Öffentlichkeit zu fördern: Der Verein Open House Bern war geboren. Seit einem Jahr arbeitet das transdisziplinäre Team ehrenamtlich an der Realisation des Anlasses. Zusammen mit fünf Expertinnen und Experten aus Forschung, Architekturpraxis und Denkmalpflege, die beratend zur Seite standen, stellte das Team ein Programm mit Führungen durch rund 50 Gebäude und Quartiere auf die Beine.
Velotour durch Berns Westen
Neben privaten Häusern und Wohnungen sind auch Genossenschaftsbauten wie das Holliger-Areal vertreten. Bei der Volksschule Ausserholligen gibt es einen Rundgang zur bedeutenden Aussenraumgestaltung, in Wabern öffnet das Bauernhaus Weyergut seine Türen und auf dem Insel-Areal ist das kürzlich fertiggestellte Anna-Seiler-Haus zugänglich. In der Elfenau zeigt das Tilia-Pflegezentrum wie ein ikonisches Gebäude des Neuen Bauens gekonnt mit einem Neubau ergänzt werden kann und in der unteren Altstadt ist mit dem Erlacherhof das bedeutendste private Bauwerk der Stadt Bern im Programm vertreten.
Eine Velotour, die am Europaplatz startet und über das Stöckackerquartier zum Tscharnergut führt und beim Gäbelbach endet, verrät etwas über die Hintergründe der Siedlungsentwicklung und den Wandel, den der Westen der Stadt Bern in den vergangenen 80 Jahren durchlaufen hat. «Viele Stadtbernerinnen und Stadtberner kennen die Hochhaussiedlungen in Bümpliz und Bethlehem, doch die wenigsten wissen, welche Geschichte sich hinter diesem neuen städtebaulichen Massstab verbirgt», so Gugelmann.
Design in der Altstadt
Ein Teil der Führungen bedarf der Anmeldung über das Onlineportal, die Mehrheit der Programmpunkte ist aber frei zugänglich, wie etwa das Firmengebäude des Design- & Einrichtungshauses Teo Jakob an der Gerechtigkeitsgasse 25, das als einziges Gebäude der unteren Altstadt als Geschäftshaus genutzt wird, architektonisch aber stellvertretend für die typischen Häuser der Altstadt steht. Ein Blick in diese Räume offenbart den architektonischen Grundriss einer Altstadtwohnung – mit entsprechend ausgewähltem Mobiliar ausgestattet. Die Dachterrasse verspricht einen einmaligen Ausblick auf die Dachlandschaft des Weltkulturerbes. Teo Jakob (1923–2000) war ein leidenschaftlicher Kunstsammler; die Stiftung Kunstsammlung Teo Jakob vereint regionale und internationale Kunst, von Ueli Berger über Mario Botta bis Le Corbusier. Seit dem Aufbau der Sammlung stehen die Werke im Dialog mit Möbeln, Leuchten und Textilien des Hauses.
Ebenfalls in der Altstadt kann an der Junkerngasse 29/31 eine frisch sanierte, repräsentative Wohnung mit zugehöriger Gartenhalle besichtigt werden.
Ein Highlight ist etwa auch der Besuch der Tschechischen Botschaft. Die denkmalgeschützte Neurenaissance-Villa im Kirchenfeldquartier stammt von René von Wurstemberger aus dem Jahr 1893. Zwischen Kirchenfeldbrücke und Bärenpark lohnt sich ein Abstecher in die Englischen Anlagen. Sie wurden kürzlich mit dem Schulthess-Gartenpreis ausgezeichnet und sind auch Teil des Programms.
Identifikation mit der Stadt
«Unsere Führungen erlauben eine andere Art der Identifikation, die viel Potenzial birgt», ist Gugelmann überzeugt. «Die Leute sollen sich eine Meinung bilden können, um ihre künftige Stadt mitzugestalten.»
So zeigt beispielsweise eine Führung durch die Ka-We-De, über deren Zukunft die Stadt Bern kürzlich abgestimmt hat, welche Herausforderungen die Architektinnen und Architekten bei der Sanierung der Anlage meistern müssen.
Obwohl uns Architektur alle direkt betreffe, sei sie bis anhin in der Volksschule nie Thema gewesen. Mit dem Lehrplan 21 dürfte sich das mit der Perspektive «Mensch, Natur, Umwelt» ändern. «Ausserdem stellt die Bevölkerung Fragen, von denen auch die Experten profitieren können», ist Gugelmann überzeugt.
Open House bietet die Gelegenheit, miteinander in Kontakt zu kommen. Häufig bestehe gerade bei Nachbarschaftsverhältnissen in einer Stadt die Schwierigkeit darin, einen Erstkontakt herzustellen. Diese Hürde kann durch Open House überwunden werden. Gugelmann weiss auch von einem Ehepaar zu berichten, das sich an einer solchen architektonischen Führung kennengelernt hat …
1. und 2. Juni, Open House, Bern
openhouse-bern.org
Anmeldeschluss für die Führungen: Mittwoch, 29. Mai, 17.00 Uhr.
Festivalzentrum «Affspace» vis-à-vis Münster. Hier sind das gedruckte Programmheft und das Rätselheft für Kinder, gestaltet von der Agentur «diff», kostenlos erhältlich.