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Wenn die wilden Verwandten in die Bresche springen

CWR ist weder die Abkürzung einer neuen Partei noch einer internationalen Firma. Damit sind wild wachsende Arten unserer Kulturpflanzen gemeint. Was es mit diesen verkannten Verwandten genau auf sich hat, bringt die neue Ausstellung im Botanischen Garten Bern näher. 

| Muriel Willi | Kultur
Boga
Adrian Möhl, Wissenschaftlicher Mitarbeiter vom BOGA. Foto: Muriel Willi

Ein lebendiges Museum mit wissenschaftlicher Sammlung, eine Naherholungsoase mitten im Stadttrubel, eine bunte Augenweide, ein Gelände, auf dem Pflanzen-Wissen Kindergartenkindern genauso wie Studierenden vermittelt wird, und ein wichtiger Forschungsstandort. Dies alles ist der
Botanische Garten der Universität Bern, kurz BOGA. «Aktuell wird hier von Botanikern untersucht, ob bei uns tatsächlich eine ausgestorben geglaubte Pflanze von der Bodenseeregion gedeiht», sagt der Wissenschaftliche Mitarbeiter Adrian Möhl. Falls es sich tatsächlich um diese Pflanze handelt, werde erforscht, wie sie sich im BOGA etablieren konnte und wie man sie vermehren und an ihrem Ursprungsort wieder ansiedeln könnte. Dies sei nämlich eines der Spezialgebiete des parkähnlichen Gartens, der sich von der Lorrainebrücke bis hinunter an die Aare erstreckt und in dem ausschliesslich Wild- und keine Zierpflanzen wachsen. Oft würden Naturschutz­zentren sie darum bitten, seltene Arten zu vermehren, damit diese unserer Nachwelt erhalten blieben. 

 

Weit verbreitet, aber wenig beachtet

Dass es bei der Artenerhaltung aber bei weitem nicht nur um die Konservierung genetischer Vielfalt und die Biodiversitätsförderung geht, sondern auch wirtschaftliche Argumente für dieser Bemühungen sprechen, macht die aktuelle Ausstellung des BOGA sichtbar. «Der dritte Teil der Chronoversum-Ausstellungsreihe blickt nicht, wie es in den ersten beiden Teilen der Fall war, in die Vergangenheit zurück, sondern wagt einen Ausblick in die Zukunft», erklärt Adrian Möhl. In eine Zukunft, in der gewisse Nutzpflanzen durch Krankheiten vom Aussterben bedroht sind oder ihre Schädlinge Resistenzen gegenüber Pestiziden gebildet haben und dadurch von der Bildfläche zu verschwinden drohen. Dann nämlich könnten wild wachsende Verwandte der von Menschen gezüchteten Kulturpflanzen, die sogenannten Crop Wild Relatives, kurz CWR, in die Bresche springen. Eine Gruppe von Pflanzen, die dem quirligen Botaniker beim Rundgang durch den riesigen Garten zwar an jeder Ecke ins Auge springen: «Rund 1000 von den 8000 hier wachsenden Arten gehören zu den CWR-Pflanzen, und von der gesamten Flora machen sie etwa einen Drittel aus.» Diesen Pflanzen wird aber denkbar wenig Aufmerksamkeit zuteil. 

 

Rares Gut

Wie spannend und wichtig diese Pflanzen sein können, zeigt nun eine Entdeckungsreise zu den wilden Cousinen von Rispengras, Gartenerbse und Co. In einer Pflanzkiste gedeiht auf der einen Seite ein dichter Teppich aus feinen Gräsern, auf der anderen Seite recken sich deutlich derbere Stängel gegen den Himmel. «Das Entferntährige Rispengras ist der wilde Verwandte unseres Futtergrases und nur noch an etwa drei bis vier Standorten in der Schweiz zu finden», erklärt der Fachmann. In der nächsten Kiste wuchert die Gartenerbse gegenüber einem zarten Wilderbsenpflänzchen. Man findet sie nur noch an einem einzigen Ort in der Schweiz – in der Nähe von Martigny im Wallis. Der wilde Thymian hingegen ist in der Natur noch häufig anzutreffen. In vielen einheimischen Thymus-Arten, die im Dialekt auch «Chölm» genannt werden, finde sich das antibakteriell und antiviral wirkende Öl, das bei Husten, Infekten und Krämpfen hilft. Da müsse nicht auf den gezüchteten Gewürz-Thymian zurückgegriffen werden, weiss Adrian Möhl. 

 

Resistent und robust

Auf der grossen Liegewiese präsentiert und auf einem anschliessenden Postenlauf durch den Park versteckt finden sich über 25 verkannte Verwandte. Worin aber liegt nun dieser potenzielle ökonomische Wert dieser wilden Futter-, Genuss- und Arzneipflanzen? «Dank deren Einkreuzung in Kulturpflanzen können diese resistenter und robuster werden und so vielleicht eines Tages zur vielbeschworenen Ernährungssicherheit beitragen», lüftet Möhl das Geheimnis der oft im Verborgenen blühenden Arten.

CWR – was so kryptisch daherkommt, wird im Botanischen Garten ganz bodenständig vermittelt. Und wem nach dem Spaziergang mit Quiz dennoch der Kopf raucht, der kann sich an einem schattigen Plätzchen oder bei einem kühlen Drink im Café Fleuri, mit Aussicht auf einen Aareschwumm, abkühlen.  

 

BOGA, Bern, «Verkannte Verwandte», 25. Mai bis 6. Oktober - auf der grossen Liegewiese und in einem Postenlauf durch den Garten. 

Öffnungszeiten BOGA: 8.00 bis 21.00 Uhr. 

Programm zu Führungen und Vorträgen: boga.unibe.ch


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