Über dem Dorf kreisen die Bergdohlen, Morgennebel umhüllt die Gipfel, die Luft ist rein und klar und der Tag noch voller Verheissungen – so klingt das neue Album von Berg, «Schimmer». Nebelschwaden weichen den scharfen Konturen der Felsmassive, zugleich wird das Herz immer leichter, je höher man hinaufsteigt und je länger man der Musik von Berg lauscht.
«Während der Proben haben wir oft die Field Recordings aus den Bergen laufen lassen», verrät Komponist und Pianist Fabian M. Mueller. Das habe das neue Album sicher mitbeeinflusst. Die Alpenlandschaft liegt aber bereits in der Genetik von Berg, wie der Bandname unschwer erkennen lässt. Neben Fabian M. Mueller und Kaspar von Grünigen (Kontrabass) – die beiden spielen in diversen Formationen schon seit 20 Jahren zusammen – komplettierte 2018 der Norweger Øyvind Hegg-Lunde am Schlagzeug das Trio.
Sie spielten traditionelle Songs aus ihren Heimat-Bergregionen, wobei das norwegische Liedgut sehr nahe an unserem Volksgut sei, so Mueller. Aus Spass an der Sache entstand das erste Album, das einen Monat vor dem ersten Corona-Lockdown erschien. Zwischen den Lockdowns bekam die Band immer wieder Anfragen für Auftritte, was den Ausschlag gegeben habe, nach einem lokalen Schlagzeuger Ausschau zu halten. So löste schliesslich Emanuel Künzi, der durch seinen Grossvater ebenfalls einen starken Bezug zur Volksmusik hat, Hegg-Lunde ab.
Die neuen Songs sollten nun alle aus der Feder von Fabian M. Mueller stammen – mit Gästen aus Bergregionen, die in ihrer Musik traditionelles Liedgut weiterentwickeln. Die Band erstellte eine Liste mit Wunschkandidatinnen und Wunschkandidaten.
Wenn das Neue vertraut klingt
Noldi Alder (Gesang, Geige, Hackbrett) und Corin Curschellas standen an oberster Stelle – und sie sagten beide zu. Den Multiinstrumentalisten aus dem Appenzellerland kannte Mueller bereits von einem gemeinsamen Auftritt an einem Festival. Einen Tag hatte Noldi Alder Zeit, um im Studio «Vorbei» einzusingen und einzuspielen. Sein Naturjodel trifft fast unverhofft in eine flirrende Sphäre, wohin sich kaum mehr ein Mensch zu verirren scheint, Nackenhaare stellen sich auf, Gänsehaut pur. «Gamal Springer» entstand aus den spontanen Improvisationen der letzten zehn Minuten im Studio. Alter Tanz, so heisst der norwegische Songtitel auf Deutsch. In der Tat klingt der Song nach einem Familientreffen, ganz so, als ob der Erneuerer der traditionellen Volksmusik immer schon zu loungig verspieltem Jazz gejodelt hätte.
Fabian M. Mueller besuchte Corin Curschellas in der Surselva. Nachdem sie gemeinsam Skizzen erstellt hätten und sie für eine Session nach Bern gekommen sei, habe sie sich aufs Projekt eingelassen. Die Galionsfigur des rätoromanischen Chansons, die seit über 50 Jahren als Songwriterin auf der Bühne steht und unter anderem auch mit dem Vienna Art Orchestra unterwegs war, schreibt auch Lieder auf Deutsch, Französisch und Englisch. Für «Schimmer» hat sie ausschliesslich nach Texten romanischer Lyrikerinnen gesucht. So klingt «Ova da Muntagna» nach altem romanischem Liedgut – in Wirklichkeit entstand auch dieser Song durch Improvisation. Der Refrain ahmt das fröhliche Plätschern des Bergbaches nach. Fabelwesen halten in «Dialas» Einzug in diese akustische Bergwelt, in der sich Zeit in Felsmassive auffaltet und die Menschen einen Eindruck von Ewigkeit erhaschen dürfen.
«Schimmer» klingt mal mystisch verspielt, nach einem zarten Windhauch, einem Segantini-blauen Himmel, dann auch mal treibend, ein nahendes Gewitter ankündigend. Das Album verspricht ein Nach-Hause-Kommen in eine vertraute und doch rätselhafte Welt, die sich da in den
Ohren des Hörers gerade neu erschafft. An der Plattentaufe spielen die vier Musiker und die Musikerin zum ersten Mal live zusammen. «Das wird ein Experiment», so Mueller. Das dürfte naturgewaltig werden.
Openair im Berner Generationenhaus, 3. August, 20.00 Uhr.
BeJazzSommer, 31. Juli bis 3. August.
Programm und Infos: bejazz.ch