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«Die Wahrheit liegt zwischen den Werken»
Die Stadt Thun ehrt Dominik Stauch mit dem grossen Kulturpreis. Sein Œuvre umfasst Malerei, skulpturale Arbeiten, Videoarbeiten, Kunstwerke im öffentlichen Raum, Lithografien und Editionen. Dabei pendelt Stauch zwischen strenger Konzeption und lustvollem Bruch, inspiriert von Popkultur, Zeitgeschehen und Kunstgeschichte.
An der Wand hängen 48 Leinwände, eine fehlt, um die rechteckige Fläche zu komplettieren. Die kleinformatigen Werke sind «Studien für eine Wandmalerei», dreifarbige geometrische Flächen.
Seit Mai arbeitet Dominik Stauch, der den diesjährigen grossen Kulturpreis der Stadt Thun entgegennehmen darf, in seinem neuen Atelier an der Steffisburgstrasse in Thun. Nachdem seine langjährige Beziehung in die Brüche ging, hat er hier ein neues Domizil gefunden. Nach dem Umzug fand er Gefallen am neuen Format von 30 × 30 Zentimetern: «Das ist einfach nachhaltiger als eine grossflächige Wandmalerei», lacht Stauch. «Die Studien verlangen ausserdem nicht nach Präzision und erlauben mir eine Unbeschwertheit.» Der Entwurf entsteht am Computer, ehe er seine Idee auf der Leinwand umsetzt. «Die Wahrnehmung der Farbe auf der Leinwand ist aufgrund der Pigmente und des Lichtes viel nuancierter.» Der ausgebildete Grafiker betreibt detaillierte Farbstudien und erweitert beständig seine Datenbank. Seine scharfkantigen geometrischen Flächen, die wie im Hard Edge auf den ersten Blick auf keiner sichtbaren Kompositionslehre basieren, strahlen eine nüchterne Rationalität aus. Stauch strebt die Überraschung an: «Ich will Farbkomponenten zusammenzwingen, die eigentlich nicht zusammenpassen.» Und: Er verwendet nie zwei Mal dieselbe Farbe. Die Studien wirken seltsam harmonisch, obwohl sie den Gesetzen der Farbtheorie zuwiderlaufen.
Während Stauch auf seinem Arbeitstisch ein braunviolettes Dreieck auf unterschiedlich farbige Hintergründe legt, erklärt er: «Das Umfeld bestimmt die Wirkung einer Farbe.» Dasselbe Braunviolett wird je nach Umfeld anders wahrgenommen. So wie es die Wahrheit einer Farbe nicht gebe, liege die Wahrheit in der Kunst zwischen den Werken; dieses Irgendwie, das alle Werke eines Künstlers verbinde.
Der Grafiker-Ausbildung, die sein konzeptionelles Denken prägte, folgte ein Studium an der Hochschule der Künste in Berlin. Stauch jobbte in Werbeagenturen, wo er sich vom Spannungsfeld zwischen Bild und geschriebenem Wort inspirieren liess. In seinen Arbeiten sucht Stauch nach Widersprüchen und Zusammenhängen, die nicht offensichtlich sind. Seinen harten Kanten stellt er Zitate aus der Popkultur, der Beat-Generation, der Kunstgeschichte und Musik gegenüber. Auf dem obersten Tablar des Wandregals stehen über ein halbes Dutzend Gitarren aus Brockenhäusern. Daraus will er irgendwann eine Skulptur machen, eine «Hommage an die vergessenen Sänger und Liedermacher».
Castles Made of Sand, Ausstellungsansicht, Galerie Joy de Rouvre, Genève, 2021. Foto: Annik Wetter
Im hypnotischen Raum
Stauch ist selbst leidenschaftlicher Musiker. Seine Videoarbeiten unterlegt er oft mit Gitarrenriffs und eigenen Vocals. Daraus entsteht eine Ambivalenz zwischen abstrakten Licht- und Farbräumen und der sinnlichen Musik mit ihrem individuellen Ausdruck, der ganz eigene Assoziationen hervorruft, die sich wiederum in diesen virtuellen hypnotischen Raum projizieren. So wird aus senfgrünen Linien und Flächen vor schwarzem Hintergrund, begleitet von einer bluesigen Soundcollage aus elektrischen Gitarrenriffs und Solos ein «Roadmovie», wie Stauch den «Hard Edge Ride» aus dem Jahr 2011 beschreibt. Dieses Easy-Rider-Motiv, ausbrechen aus Strukturen, sich neue Horizonte aneignen, nahm Stauch aus seiner Kindheit mit. Sein Vater war Diplomat und so verbachte er seine Kindheit in London, Cleveland und Kairo. Erst mit 14 kam er in die Schweiz.
Die Videoarbeit «Inside my head» aus dem Jahr 2016 visualisiert korrelierende und kollidierenden Gedanken. Sechs unterschiedliche Formen in matten Farben tauchen nacheinander oder miteinander auf der Bildfläche auf, begleitet von einem Holzxylophon. Jeder Form ist eine bestimmte Tonabfolge zugeordnet, komponiert von Wolfgang Zwiauer. Aus den Schnittmengen ergeben sich neue Farbtöne und Tonabfolgen. Die optischen Effekte seien eine Analogie zu unserem täglichen Erleben, in dem sich neue Erinnerungen mit alten überlagerten und so das Erfahrene in ein anderes Licht setzten, schreibt Stauch zur Videoarbeit.
Seine erste Einzelausstellung im Museum Liner (heute Kunstmuseum Appenzell) widmete Stauch 2005 der Fibonacci-Zahlenreihe. Den strengen Kompositionen stellte er Zitate und humorvolle Skulpturen wie «Waiting for the Blue Rider» gegenüber, einen blauen Holzbalken, der von zwei Holzböcken, die mit Pferdefellen überzogen waren, gehalten wurde. Dazu lief der Gitarrensound «Wild Horses» von den Rolling Stones, eingespielt von Stauch, unterstützt vom Computerprogramm Garage Band.
Im Laufe der letzten 20 Jahre realisierte er fast zwanzig Einzel- und unzählige Gruppenausstellungen. Seine Werke sind in renommierten Sammlungen wie jener des Kunstmuseums Bern oder des Haus Konstruktiv in Zürich verteten. Seine Videoarbeit «The same but different» ist aktuell an der Biennale in Genua zu sehen, 24 Studien, begleitet von der Komposition von Wolfgang Zwiauer.
Waiting for the Blue Rider, 2005, Museum Liner Appenzell, 2006. Foto: zvg
Die blauen Cowboys
Stauchs Werk begleiten lithographische Editionen, die er zusammen mit dem Steindrucker Thomi Wolfensberger realisiert. Im Rahmen des Projektes «Hands-on», das sich der Dokumentation künstlerischer Prozesse im Druck widmete, unterstützt vom Schweizerischen Nationalfonds, erstellten Stauch und Wolfensberger eine Art Farbbibliothek mit Überdruck.
Mit Silber und drei Blautönen realisierten die beiden jüngst in Zusammenarbeit mit dem Verlag Rothe Drucke und dem Wolfsberg Verlag ein «Cowboybuch», eine weitere Hommage an den Blauen Reiter. Das Heft ist im Fanzine-Stil gehalten, auf Daunendruckpapier gedruckt, handgebunden und in limitierter Auflage erschienen, begleitet von einem Plakat und einem Pin. Franz Marc, John Wayne, Elvis und Dürer reichen sich in der Edition die Hand. Unerwartete Zusammenhänge erschliessen sich auch hier: Inmitten der Hollywoodikonen, neben Pippi Langstrumpf und Marina Abramovic´ tauchen die Indigenen Nordamerikas auf, die gegen Pipelines demonstrieren: «Das sind die Blauen Reiter von heute», so Stauch.
Im Atelier steht ein Ledersessel. Auf der Rückenlehne steht der Schriftzug «Hope» auf dem Kopf. Das ungewohnte Schriftbild erinnert an die kyrillische Schrift. Seit einem Jahr geistert ihm diese skulpturale Arbeit im Kopf herum. «Ich muss eine Arbeit auf mich wirken lassen, den Geschichten Platz geben.» Die Postmoderne habe ja aufgehört, Geschichten zu erzählen. «Aber kann man das, aufhören, Geschichten zu erzählen?», fragt Stauch nachdenklich.Bettina Gugger
Kunstraum Bümpliz, Gruppenausstellung, «form follows fiction», 14. September, 17.00 bis 20.00 Uhr, Vernissage
Kultur- und Kongresszentrum Thun, Kulturpreisverleihung Thun, 28. November, 20.00 Uhr
www.stau.ch