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Haiku und Cello

Fünfmal gibt es im Winter-Halbjahr WortKlangRäume im Münster – helle Abende an dunklen Tagen. Diese Saison zum Thema Transzendenz. Am 17. Dezember mit Klaus Merz.

| Christoph Reichenau | Kultur
Wortklangräume
Giorgio Morandi, Natura morta, 1964, Bleistift auf Papier, 18.5 x 27.2 cm, Museo Morandi, Bologna

Es ist eine stille Reihe. Im abendlichen Münster lesen und musizieren jeweils zwei Personen. Die WortKlangRäume gibt es seit einiger Zeit im Winterhalbjahr. Fünf Anlässe sind es in der Saison 2024/2025. Der Autor Franz Dodel und der Cellist Thomas Demenga mit dem Cellisten Matthias Schranz sowie dem Kontrabassisten Philipp Moll haben den Anfang gemacht.

Gut hundert Personen tauchten ein in Dodels never ending Haiko „Nicht bei Trost“, das nach täglichen Weiterungen in vielen Jahren bei deutlich mehr als 50‘000 Zeilen steht. „Lichtungen“ heisst der momentane Abschnitt. Der Autor las monoton. Die Beobachtungen, Gedanken, Fragen flogen auf, scheu, fahl, selten fassbar im strahlenden Sonnenlicht. Streng die Haiku-Form: 5 Silben, dann 7 und wieder 5, immer und immer weiter. Alltagsszenen, Naturüberlegungen, philosophische Gedanken, Erinnerungen an literarische Werke, regelmässig etwa an Marcel Proust. Kein Fazit steht in Aussicht. Der Weg führt einen fort und fort.

Beim Zuhören entwickelt sich – losgelöst von den Worten und vom Inhalt – ein Sound. Meine Gedanken, zuerst auf der Suche nach dem Sinn der Lesung, schweifen ab, nehmen den hohen Münsterraum wahr, der gegenwärtig durch eine filigrane Decke aus Stahl und hellem Holz abgeschlossen ist, auf der tagsüber die Restauratorinnen und Restauratoren die darüber liegende steinerne Decke reinigen, reparieren, erforschen. Am Abend ist es oben still. Dreimal unterbricht oder besser ergänzt, bereichert das Streichertrio die sprachliche Darbietung: Bach-Choräle, Berio „Les mots sont allés“ und zwei Sätze aus der Solosonate des polnischen Komponisten Mieczyslav Weinberg. Der warme Klang der Instrumente, die Vielfalt der Musik, die bestimmten Einsätze, das Zusammenspiel kontrastieren mit der Gleichförmigkeit der Lesung. Sie holen die gesprochenen Gedanken ein und heben sie auf eine andere Ebene.

Am Schluss tritt man durch das Münsterportal auf den dunklen Platz, schlägt gegen den Wind den Kragen hoch, leichter Regen fällt. Eine lichte Stunde klingt nach in der Finsternis des Novemberabends.

Im Monatsabstand folgen werden Klaus Merz / Linda Vogel (Harfe), Nora Gomringer / Verena Marisa (Theremin) und Judith Hermann / Daniel Glaus (Orgel). Mitten in der Reihe gibt es eine Dialog-Lesung von Thomas Hürlimann und Fedora Wesseler, umrahmt von Rebecca Minten (Klarinette) sowie Samuel Cossandey (Orgel).

Die Abende im Münster haben ein weit gefasstes Thema. „Transzendenz“ heisst es 2024/2025. Im Vorwort schreiben Pfarrer Beat Allemand und Organist Christian Barthen, Metaphysik meine „das, was hinter den Dingen, hinter den Erscheinungen, hinter dem Sichtbaren liegt.“ Und sie fahren fort: „Schattenwürfe und durchsichtige Dinge, Licht und Lichtbrechungen, Erfahrungen und das Überschreiten von Erfahrungen werden bestimmend sein.“

Der Einladung ins Transzendentale entspricht die Bleistiftzeichnung „Natura morta“ auf dem in gelb und grau gehaltenen Programm. Giorgio Morandi, der stille italienische Künstler, hat sie 1964 geschaffen, kurz vor seinem Tod. Sie zeigt, was die WortKlangRäume uns hören lassen.

www.bernermuenster.ch.ch
www.franzdodel.ch
www.thomas.demenga.ch


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