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«Wir sollten vermehrt das Gemeinsame suchen»

Mit ihrer angekündigten Kandidatur fürs Stadtpräsidium hat Marieke Kruit (SP) noch zusätzlich Spannung in den Wahlkampf gebracht. Doch wie tickt die bisher eher im Hintergrund agierende Gemeinderätin? Und was sagt sie zur Kritik von Stadtpräsident Alec von Graffenried?

| Fabian Christl | Politik
Marieke Kruit.
Marieke Kruit. Foto: zvg / Béatrice Devènes

Frau Kruit, wie würden Sie sich als Person beschreiben?

Pragmatisch, anpackend, lösungsorientiert.

Sie sind im Oberland aufgewachsen. Sind Sie ein Landei?

Ich bin sicher bodenständig. Meine niederländischen Eltern sind in die Schweiz eingewandert und haben in einem kleinen Dorf mit 200 Einwohnerinnen und Einwohnern – davon 70 Prozent Landwirte – einen kleinen Hotelbetrieb geführt. 

War Ihre Familie ein Fremd­körper im Dorf?

Am Anfang schon. Wir mussten zuerst auch noch die Sprache lernen. Als Kind geht das aber rasch, entsprechend habe ich mich auch schnell eingelebt und viele schöne Begegnungen gehabt. Etwa, als ich mit der Nachbarsfamilie auf der Alp war oder beim Heuen helfen durfte. Auch das Leben mitten in der Natur gefiel mir. Ich hatte eine schöne Kindheit.

Was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen? 

Dass man auch mit Leuten eine gute Beziehung haben kann, die von der Kultur oder politischen Einstellung her ganz anders unterwegs sind. Der Austausch mit unterschiedlichen Menschen ist mir noch heute sehr wichtig. Und ich habe sicher auch gelernt, in der Minderheit zu sein. 

Ihr Berufsleben war bisher sehr vielfältig. Sie waren einerseits als Journalistin tätig und später als Psychotherapeutin sowie Co-Bereichsleiterin der psychiatrischen Ambulatorien des Spitals Oberaargau. Das sind zwei völlig unterschiedliche Welten, oder?

Die beiden Welten sind in der Tat sehr unterschiedlich. Aber das ist etwas, was ich häufig anstrebe. Als ich neben der Arbeit in den Ambulatorien im Stadtrat politisierte, hatte ich mich bewusst für die Planungs- und Verkehrskommission entschieden – und nicht für die Sozialkommission. Schliesslich wollte ich etwas machen, was ich nicht schon aus dem Berufsleben kenne.

Nun fordern Sie mit dem amtierenden Stadtpräsidenten Alec von Graffenried Ihren Bündnispartner heraus. Das ist einmalig in der Geschichte von Rot-Grün-Mitte. Der Leidensdruck muss entsprechend gross sein.

Es war nicht ein Entscheid von mir allein. Die Hauptversammlung der SP hat sich dafür entschieden, den Wählenden eine Auswahl bieten zu wollen. Und ich habe mich zur Verfügung gestellt. Im Übrigen gab es vor acht Jahren auch eine Auswahl. 

Zwischen was können die Wähler denn nun auswählen? Stehen zwei politische Programme zur Auswahl?

Politisch sind sich Alec von Graffenried und ich in vielen Bereichen nahe. Wir wollen beide eine soziale, grüne und durchmischte Stadt, die gute Lebensqualität bietet. Aber wir unterscheiden uns von der Person her. 

Wie würden Sie denn diese Unterschiede beschreiben?

Es ist nicht an mir zu sagen, wie Alec von Graffenried ist und was ihn von mir unterscheidet. Ich kann nur für mich sprechen. Ich verstehe mich als lösungsorientiert und es ist mir wichtig, alle Beteiligten an einen Tisch zu bekommen, um gute Lösungen zu ­finden. 

Von Graffenried kritisiert, dass er erst sehr kurzfristig über Ihre Kandidatur informiert wurde. 

Im RGM-Bündnis sind wir laufend im Austausch. Und es war auch öffentlich bekannt, dass sich die SP überlegt, eine Auswahl zu bieten. Wir mussten aber den Entscheid der Hauptversammlung abwarten. Im Übrigen finde ich, dass wir allfällige Unstimmigkeiten bündnisintern klären können. 

Wo liegt eigentlich der Reiz im Amt der Stadtpräsidentin? 

Ich habe bei meiner Arbeit als Vorsteherin der Direktion für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün gemerkt, wie sehr mich auch Planungsgeschäfte interessieren. Im Entwicklungsschwerpunkt Ausserholligen sind 40 verschiedene Bauherrschaften involviert, die Stadt selbst ist mit 17 Teilprojekten dabei. Dort macht das Tiefbauamt die Gesamtkoordination. Wir schauen, dass wir die beteiligten Personen zusammenbringen und dass gemeinsam Lösungen gefunden werden können. Dieses gemeinsame Gestalten macht mir viel Freude. 

Hat man als Stadtpräsidentin mehr Spielraum denn als Vor­steherin der TVS?

Als Stadtpräsidentin ist man auch ein wenig die Aussenministerin der Stadt. Das reizt mich. Wichtig ist, einen guten Draht zur Region, zum Kanton, zum Bund und auch zu den anderen Städten zu haben. Bern ist eine schöne Stadt mit hoher Lebensqualität. Es würde mir Freude machen, eine solche Stadt nach aussen zu vertreten.
Es geht aber auch um das Gestalten. Das Stadtplanungsamt gehört zur ­Präsidialdirektion. Dort kann viel bewirkt werden – etwa bei den grossen Arealentwick­lungen.

Sie betonen stets die Gestaltungsmöglichkeiten. Sie gelten aber als äusserst kompetente Verwalterin und Moderatorin, fielen aber nicht unbedingt mit Visionen oder Gestaltungswillen auf. Täuscht der Eindruck?

Ich denke, wir haben ganz viele grosse Projekte realisiert. In den drei Jahren als TVS-Vorsteherin hatte ich bereits elf Abstimmungen – und alle erfolgreich über die Bühne gebracht.

Gestalten bedeutet nicht in erster Linie, etwas umzusetzen, sondern etwas zu entwerfen.

Ich denke, wir zeigen auch auf, wie wir die Stadt grüner und hitzeverträglicher machen wollen. In diesem Bereich habe ich an mehreren Projekten gezeigt, was meine Visionen sind. 

Was sind denn die Eckpunkte Ihrer Vision für Bern?

Die Hitzeverträglichkeit ist mir ein grosses Anliegen. Vor zehn Jahren war das praktisch noch kein Thema. Nun denken wir das bei Projekten im öffentlichen Raum von Anfang an mit. Bei der Neugestaltung des Bären- und Waisenhausplatz, an der wir jetzt dran sind, spielt das eine grosse Rolle. Mir ist aber auch wichtig, dass wir genug Schulraum und Kita-Plätze haben. Es leben immer mehr Familien in der Stadt,
die eine gute Infrastruktur benötigen. Ausserdem setze ich mich für eine aktive Wohnbaupolitik ein. Auch Leute, die kein hohes Einkommen haben, sollen in Bern eine Wohnung finden. Ich setzte mich für eine durchmischte, soziale Stadt ein.  

Ein Problem ist, dass Bern ausserhalb der Stadt grosse Reflexe auslöst. Was wollen Sie gegen die Unbeliebtheit Berns unternehmen?

Die Stadt muss offen sein für die Anliegen der kleineren Gemeinden und akzeptieren, dass Rezepte, die bei uns funktionieren, sich nicht immer auf andere Orte übertragen lassen. Als Mitglied der Verkehrskommission der Regionalkonferenz sehe ich, dass wir alle voneinander lernen können und ein gutes Einvernehmen sehr wichtig ist. Speziell gefreut hat mich, dass wir nun das Veloverleihsystem zusammen mit über zehn Agglomerationsgemeinden ausschreiben. Zusammen sind wir stärker. 

Ein häufig gehörter Vorwurf an die Stadt ist, dass sie wenig ­sorgsam mit Steuergeld umgeht. Würde sich finanzpolitisch etwas ändern, wenn Sie das Sagen hätten?

Die Stadt hat derzeit sehr hohe Investitionen zu tätigen, etwa betreffend Schulraum sowie Eis- und Wasseranlagen. Da bestand ein grosser Nachholbedarf. Das führt dazu, dass der Spielraum für anderes kleiner wurde. In meiner Direktion haben wir eine klare Priorisierung der Projekte vorgenommen. Ohne das geht es im Moment nicht.  

Man könnte den Spielraum auch mit einer Steuererhöhung erweitern. 

Eine Steuererhöhung ist im Moment kein Thema. Die Kaufkraft der Leute hat wegen steigender Mieten und Krankenkassenprämien bereits abgenommen. In diesen Zeiten mit einer Steuererhöhung zu kommen, scheint mir nicht angebracht.

Die hohen Mieten sind für viele Stadtbewohner und -bewohner­innen ein grosses Problem.
Was würden Sie tun, um die Lage auf dem Immobilienmarkt zu be­ruhigen? 

Ich würde die aktive Wohnbaupolitik weiterführen. Hier ist der Ansatz der Kostenmiete entscheidend, den auch die Stadt und die gemeinnützigen Wohnbauträger verfolgen. 

Als Stadtpräsidentin wären Sie auch für die Kultur zuständig. Und gerade in der Kulturszene haben identitätspolitische Fragen an Stellenwert gewonnen. Geht Ihnen das manchmal zu weit oder haben Sie Verständnis für diese Entwicklung?

Ich habe selbstverständlich Verständnis für diese Entwicklung. Aber es ist auch dort wichtig, dass man das Gespräch sucht. Ich bin der Meinung, dass wir eine Breite an Kulturevents brauchen, ich bin also für Diversität. 

Linken Kulturkreisen, aber auch der Stadt Bern, wird seit dem Gaza-Krieg häufig vorgeworfen, Antisemitismus zu verharmlosen. Wie sehen Sie das?

Wir leben in komplizierten Zeiten. Die Polarisierung nimmt stark zu, das ist ein Problem in unserer Gesellschaft. Wir sollten wieder vermehr miteinander sprechen und das Gemeinsame suchen. Verstehen Sie, was ich meine?

Nicht wirklich. Konkret gefragt: Hat die Linke ein Antisemitismusproblem?

Für mich hat Antisemitismus keinen Platz in der Gesellschaft, aber die Diskriminierung anderer Glaubensrichtungen genauso wenig. 


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