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Klimaseniorin: Schützen, was sie liebt

Die Bernerin Jutta Steiner ging für den Klimaschutz bis nach Strassburg. Ein Besuch. 

| Lara Christ | Politik
Jutta Steiner
Jutta Steiner. Foto: zvg

Jutta Steiners Wimpel bringen Farbe in den sonst grauen Frühlingstag. Die bunten Dreiecke wehen im Wind, wenn sie die Schnur in die Höhe hält. Die Symbole darauf hat sie selbst genäht. Eine Sonne für die Hitzewellen, ausgetrocknete Böden für Ernteausfälle, ein brennender Wald: Jedes Dreieck steht für eine Auswirkung des Klimawandels. Und doch sind die Wimpel Steiners Glücksbringer, Warnungen vor einer Zukunft, die sie verhindern will. 

Jutta Steiner ist eine von über 2500 Klimaseniorinnen, welche die Schweiz wegen mangelndem Klimaschutz verklagt haben – und nach acht Jahren vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegen aller Erwartungen Recht bekommen haben. Das Urteil ist für viele von ihnen der Gipfel ihres jahrelangen Engagements. Auch für Steiner.  

Ein Kind sieht schwarz 

Steiner kommt 1952 mitten im Ruhrgebiet (DE) als Tochter eines Flugzeugbau-Ingenieur und einer Krankenschwester für Kriegsverletzte zur Welt. Durchs Fenster ihres Kinderzimmers sieht sie direkt auf ein Chemiewerk. Klimawandel war damals noch kein Thema. 

Doch bereits als Kind leidet die heute 71-Jährige an den Zuständen ihrer Umwelt. Fenster schliessen aufgrund der Chemikalien in der Luft, Smog, Russflocken auf Schnee und in der Leitung fliesst kein trinkbares Wasser. Am Wochenende findet man die kleine Jutta in der Natur. Der Papa atmet frische Luft, während sie Blumen pflückt. Das Grün eine Wohltat, erinnert sie sich. 

Im Industriegebiet will sie nicht bleiben und entscheidet, künftig Gutes für die Umwelt zu tun. Bereits vor 50 Jahren beginnt sie ein Studium in Landes- und Landschaftspflege. Mit 25 Jahren legt sie die staatliche Ingenieursprüfung erfolgreich ab, Garten- und Landschaftsarchitektin wird ihr Beruf. Auslandserfahrungen will sie in der Schweiz sammeln, lernt dort ihren zukünftigen Mann kennen und bleibt. 

Ein Auge für Details

Seit 45 Jahren lebt die heute pensionierte Dame nun in Oppligen (BE). Anfangs gab es noch viele Bienen, bunte Schmetterlinge, prächtige Wildblumen auf Wiesen und an Wegrändern. Heute sehe man sie kaum mehr, sagt Steiner. Zu Hause auf dem Land sei alles grün, «eine grüne Wüste», nennt sie es. Der Rückgang der Artenvielfalt und Biodiversität bereitet ihr Sorgen. 

Engagiert misst sie Temperaturen verschiedener Oberflächen. Bei Sommerhitze misst die Metallrutsche auf dem Kinderspielplatz satte 56 Grad – Verbrennungsgefahr. Trockene Böden, starke Unwetter und Überschwemmungen machen älteren Frauen zu schaffen. Gerade die Hitzewellen schränken sie in ihrem Alltag ein;
sie können sich weniger frei bewegen.

Laufend bildet sie sich weiter, informiert sich über den Klimawandel und besucht 2018 einen Vortrag an der Universität Fribourg zum Thema Klimawandel und Menschenrechte. Dort trifft sie auf die Juristinnen Ursula Brunner und Cordelia Bähr, auf Klimaexperten von Greenpeace und lernt die Klimaseniorinnen kennen. 

Steiner ist fasziniert. Die Mitglieder sind Frauen im Pensionsalter, stammen aus verschiedensten Berufsgruppen, bringen Fachwissen oder Fähigkeiten in den Verein und verfolgen dieselben Ziele: Sie wollen die Schweiz verklagen, weil sie gerade ältere Frauen zu wenig vor den Auswirkungen
des Klimawandels schütze. Steiner schliesst sich ihnen an und wird 2019 in den Vorstand gewählt. Sie sieht sich als Teil der nötigen Änderung und will für eine lebenswerte Welt für ihre Nachkommen sorgen. 

«Jemand muss den ersten Schritt machen»

Dafür zieht es die Frauen auch über die Grenzen der Schweiz hinaus. Trotz ihres hohen Alters reisen sie durch Europa. Von ihrem Zugfenster blickt Steiner auf überschwemmte Felder, bedauert die Erdrutsche in Italien. Keine schöne Aussicht, erinnert sie sich. Sie will keine Zukunft, in der ihre Töchter und Enkelkinder nicht gesund aufwachsen können, an Krankheiten leiden oder aufgrund der Umwelt eingeschränkt sind. 

«Klimaschutz ist ein Menschenrecht», sagt sie. Natürlich koste es, zu handeln. Handle man aber nicht, hätte man mit höheren Kosten zu rechnen, so Steiner. Gesundheitskosten würden aufgrund von Krankheiten und Allergien zunehmen, infolge der Hitzewellen oder wegen invasiver Pflanzen, Tiere oder Viren. Lebensmittelpreise würden steigen, aufgrund der Ernteausfälle bei Extremwetterlagen. 

Gegen diese Katastrophe mit Ansage kämpft Steiner acht Jahre lang, für eine Veränderung in der Schweiz. Anfangs werden die Seniorinnen belächelt, von Instanz zu Instanz abgewiesen. Doch Steiner und ihre Kolleginnen ziehen weiter. Bis sie am 9. April mit den Klimaseniorinnen zur Urteilsverkündung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Strassburg steht, ihre Klimawimpel in den Händen, als das vermeintlich Undenkbare geschieht. Steiner kann es kaum glauben. 

«Jemand muss den ersten Schritt machen», sagt Steiner. Und doch: Dank der Seniorinnen wird der Klimaschutz als Menschenrecht anerkannt. Ein historischer Sieg, den sie niemals vergessen wird. Für die Schweiz ist das Urteil eine große Herausforderung; tagelang kennen Medien und Politik kein anderes Thema. Das Urteil polarisiert, dessen ist sich Steiner bewusst. Dennoch ist ein Anstoß aus ihrer Sicht ein Anfang. Nun ist die Schweiz gezwungen zu handeln. 

Steiner wird die Handlungen des Staates nun aktiv mitverfolgen. Damit eine Verbesserung stattfinden könne, brauche es aber die Mithilfe aller. Die Aufgaben seien vielfältig. Der Schweizer Staat könne Grundsteine setzen, Regeln machen, Projekte unterstützen. Das Bewusstsein Einzelner könne er aber nicht direkt beeinflussen, sagt Steiner. 

Für die Zukunft wünscht sie sich deshalb Taten, Transparenz und mehr Bewusstsein. Für sie ist wichtig, dass der Mensch mehr hinterfrage. Der Mensch dürfe die Natur nicht weiter ausbeuten und als Feindbild betrachten. Er sei selbst Bestandteil der Natur und müsse wieder zu lernen, sie zu respektieren und zu lieben. Denn, so Steiner: «Was man liebt, will man schützen.»


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