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Trotz Pandemie und unsicherer Wirtschaftslage nehmen die Gemeinden immer mehr Steuergelder ein – zumindest von natürlichen Personen. Eine Umfrage dieser Zeitung unter den Gemeinden der Region Bern zeigt: Ihre Einnahmen aus Vermögens- und Einkommenssteuern natürlicher Personen sind in den letzten fünf Jahren deutlich gestiegen. In kleinen Gemeinden schwanken die Einnahmen stärker. Aber auch sie haben insgesamt mehr Steuern von natürlichen Personen erhalten. Deren Steuererträge lagen im letzten Jahr in den meisten der befragten Gemeinden einen Zehntel oder mehr über den Erträgen von 2019.
Teilweise lassen sich die Zunahmen durch Steuererhöhungen erklären. Köniz etwa nahm im letzten Jahr 12 Millionen Franken mehr an Steuern von natürlichen Personen ein als noch 2019, hatte 2022 aber die Steuern infolge eines strukturellen Defizits und einer drohenden Zwangsverwaltung durch den Kanton erhöht.
Mehr Geld trotz tieferer Steuern und weniger Steuerpflichtigen
Die meisten Gemeinden erklären sich die steigenden Einnahmen durch die wachsende Bevölkerung. Ostermundigen etwa weise seit Jahren eine rege Bautätigkeit und dadurch eine steigende Bevölkerung auf, schreibt die Gemeinde mit Verweis auf den «BäreTower» beim Mundiger Bahnhof.
Doch das Bevölkerungswachstum erklärt nur einen Teil: Die Steuereinnahmen legen in vielen Gemeinden nämlich stärker zu als die Anzahl Einwohnerinnen und Einwohner. Etwa in Zollikofen, wo die Bevölkerung zwar gewachsen ist. Gleichzeitig zahlen die Neuzuzüger pro Kopf auch mehr Steuern als noch 2019. In Kirchlindach hat die Gemeinde in den letzten Jahren einen Rückgang an Steuerpflichtigen verzeichnet und die Steuern gesenkt – und 2023 trotzdem noch knapp 100 000 Franken mehr an Steuergeldern eingenommen als noch vor fünf Jahren.
Auch in der Stadt Bern ist die Wohnbevölkerung zwar gewachsen. Aber die Anzahl der regulär Steuerpflichtigen ging während der Pandemiejahre stark zurück. Im letzten Jahr hat sie nun wieder zugenommen; doch das Niveau von 2019 hat sie noch nicht wieder erreicht. Diese Schwankungen seien massgeblich verantwortlich für die Veränderungen in den Steuereinnahmen, schreibt die städtische Steuerverwaltung auf Anfrage. In kleinen Gemeinden fallen zudem einzelne Steuerzahlerinnen und -zahler umso mehr ins Gewicht. So schreibt die Gemeinde Muri bei Bern auf Anfrage, dass einzelne Personen in den letzten Jahren sehr hohe Dividendenzahlungen erhalten hätten, was sich in den Einnahmen zeige.
Ausgleich geschieht versetzt – und über den Kanton
Vor allem aber gebe die gesamte volkswirtschaftliche Situation den Ausschlag, schreibt etwa die Gemeinde Zollikofen. Von der Entwicklung des Bruttoinlandprodukts zum Beispiel, oder jener der Löhne, der Renten, der Teuerung. Wenn diese Parameter steigen – wie sie es in den letzten fünf Jahren unterschiedlich stark getan haben – kommt ein weiterer Effekt hinzu: die kalte Progression.
Sie entsteht, wenn es zu Lohnerhöhungen kommt, um die Teuerung auszugleichen. Durch die höheren Löhne und progressiven Steuertarife werden bei gleicher Kaufkraft höhere Einkommenssteuern fällig. Man bezahlt also mehr Steuern, obwohl am Ende des Monats nicht mehr Geld im Portemonnaie bleibt. Auch das trägt zu den höheren Einnahmen der Gemeinden bei.
Wie viel damit aber in den jeweiligen Gemeinden tatsächlich zu viel an Steuern bezahlt wurde, ist schwer zu bemessen. Auch sonst bleibt den Gemeinden nur wenig Spielraum, um dagegen vorzugehen. Die kantonalen Steuertarife, Abzüge und Freibeträge werden von der Regierung und dem Grossen Rat festgelegt und an die Teuerung angepasst.
Grundlage dafür bietet das kantonale Steuergesetz. Es sieht vor, dass das Parlament ab einer Teuerung von 3 Prozent per Dekret Massnahmen zur Entlastung der Steuerzahlenden beschliessen muss. Zudem passt der Regierungsrat die Steuertarife an die Teuerung an. Seit dem letzten Ausgleich der kalten Progression von 2011 hat die Teuerung per Ende 2022 den Schwellenwert von 3 Prozent erreicht. Entsprechende Massnahmen hat der Kanton per 1. Januar 2024 beschlossen; er hat insbesondere die Tarife angepasst und verschiedene Abzüge deutlich erhöht.
7 Millionen Mindereinnahmen für die Stadt Bern
Durch die damit tiefere Ausgangsbasis kommt es in der Budgetierung und Finanzplanung zu Mindereinnahmen von rund 60 Millionen bei den Kantonssteuern. In den Gemeinden rechnet er insgesamt mit Mindereinnahmen von 20 bis 30 Millionen Franken. Davon gehen 7 Million allein auf die Stadt Bern zurück, wie diese auf Anfrage schreibt. Dieser Betrag sei entsprechend im Budget und Finanzplan eingestellt worden. In den anderen Gemeinden dürfte der Fehlbetrag deutlich geringer ausfallen. Doch er kommt, wenn auch versetzt. Für die Steuerpflichtigen bedeutet das zwar eine Entlastung ab der nächsten Steuererklärung. Was davor «zu viel» bezahlt wurde, wird aber nicht zurückerstattet.
Einige Gemeinden haben wollen ihren Steuerzahlenden trotzdem Entlastungen anbieten. Dafür bleiben ihnen lediglich Steuersenkungen, wie sie etwa Ittigen und Kirchlindach in den letzten Jahren gleich mehrfacht vorgenommen haben. Eine solche können sich aber längst nicht alle Gemeinden leisten. So schreibt etwa die Gemeinde Ostermundigen auf Anfrage, dass man die negativen Auswirkungen der kantonalen Ausgleichsmassnahmen im Haushalt von diesem Jahr bereits spüren werde. Gleichzeitig steige der Finanzbedarf der Gemeinde stetig: «Dieser erlaubt generell keine weiteren Entlastungsmassnahmen durch die Gemeinde.»