Skip to main content

-


Anzeige

Anzeige


Muri bei Bern: Steht die FDP-Hochburg vor dem Fall?

Muri steht vor den Gemeindepräsidiumswahlen. Zum ersten Mal seit Langem könnte die FDP das prestigeträchtige Amt verlieren.

| Léonie Hagen | Politik
Muri bei Bern
Wer regiert Muri? Foto: zvg

Am 9. Juni wählt die Muriger Bevölkerung einen neuen Gemeindepräsidenten. Spätestens seit bekannt ist, dass die Muriger SP den amtierenden Präsidenten Stephan Lack (FDP) mit Jan Köbeli herausfordert, stellt sich die Frage: Fällt mit dem Präsidium die Berner FDP-Hochburg? 

Es ist nicht das erste Mal, dass ihr Fall beschworen wird. Schon bei den Ersatzwahlen vor eineinhalb Jahren und den Gemeindepräsidiumswahlen 2020 schien die FDP um ihre Vormacht zu zittern. Doch sie hielt – teilweise knapp – die Stellung. Nun aber könnte es tatsächlich um alles gehen. Zumindest, wenn es nach der FDP selbst geht. 

Der Muriger FDP-Präsident Johannes Matyassy klingt besorgt. Die Wahl in Muri stehe symbolisch für vieles, womit die FDP zu kämpfen habe. «Die Präsidiumswahl und vor allem die anstehenden Gemeindewahlen im Herbst werden der Gradmesser dafür sein, wie sehr sich die FDP halten kann», sagt Matyassy. Denn obwohl der Freisinn kantonal verliert, schien er in Muri zumindest lange standhaft zu bleiben. 

Die «Hochburg» bröckelt 

Die FDP hat auch im Kanton Bern in den letzten Jahrzehnten Federn gelassen. 1979 erreichte sie im Kanton noch einen Wahlanteil von 18 Prozent, stellte fünf Nationalräte und einen Ständerat; an den Nationalratswahlen im vergangenen Herbst reichte es dagegen noch für knapp 7,5 Prozent. Heute steht die Berner FDP noch mit genau einem Nationalrat da. 

In Muri sitzt dagegen die grösste FDP-Sektion im Kanton Bern; in der kleinen Gemeinde mit den teuren Villen und tiefen Steuern holt die Partei prozentual gesehen sowohl in kantonalen wie nationalen Wahlen noch dreimal so viele Wählerinnen und Wähler ab wie im Rest des Kantons. Seit 50 Jahren stellt sie die mit Abstand stärkste Fraktion im Gemeindeparlament: Seit 1973 hält sie mindestens 13 der 40 Parlamentssitze, zwischen 2013 und 2017 waren es deren gar 17. Lange stellte sie auch die Mehrheit im Gemeinderat. Und das Gemeindepräsidium: seit 1996 in den Händen der FDP. 

Bereits in den letzten beiden Legislaturen schwächelte die Ortspartei aber. Sie bleibt zwar nach wie vor stärkste Fraktion, hat aber Sitze eingebüsst. Dafür haben die Grünen unterdessen Einzug in Gemeinderat und Gemeindeparlament gehalten. Ihre Gewinne gehen nur teilweise auf Kosten der SP.

Insgesamt stellt Rot-Grün nun elf Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Gemeinsam mit dem linksbürgerlichen «Forum» stellt Mitte-links eine Mehrheit im Gemeinderat – und die Hälfte der Sitze des Parlaments. 2016 verlor die FDP ihre Mehrheit im Muriger Gemeinderat; 2020 fiel auch die bürgerliche Mehrheit. 

Eine Persönlichkeitswahl unter schlechten Vorzeichen

Als Grund für diese Entwicklung wird oft die demografische Entwicklung der Gemeinde angeführt: Weil es in der Stadt Bern nicht genügend Wohnraum gebe, zögen die rot-grünen Städterinnen und Städter in die Agglomeration, so das Argument. Auch nach Muri. 

Das sei aber nur ein Grund, sagt Matyassy. Auch die Positionen der Parteien hätten sich über die Jahrzehnte hinweg verändert: «Ein Bänker wählt heute nicht mehr zwingend die FDP; auch die SP ist für ihn wählbar geworden.» Paradebeispiel dafür scheint der Gegenkandidat der SP zu sein: Jan Köbeli arbeitete früher als Kundenberater bei der Credit Suisse, seit 2017 ist er Berufsschiedsrichter. Mit seinem Profil gilt er als starker Gegenkandidat, der auch über die rot-grüne Basis hinaus viele Stimmen holen dürfte.

An sich habe das Parteibild zwar wenig Einfluss auf die Präsidiumswahl, sagt Matyassy, die sei schliesslich eine Persönlichkeitswahl mit eigenen Regeln. Aber die Vorzeichen standen schon günstiger. Zumal der Kopf für die Muriger FDP, Stephan Lack, einen turbulenten Auftakt hinter sich hat. Als Grossrat und damaliger Präsident der kantonalen FDP galt Lack als politisches Schwergewicht. Im November 2022 entschied er die Ersatzwahlen um das Gemeindepräsidium gegen die Forum-Kandidatin Gabriele Siegenthaler für sich.

Vergangenen Sommer wurde bekannt, dass Lack wegen einer nicht bezahlten Krankenkassenrechnung der Konkurs drohte. Der Vorfall ging durch die Medien. Auch, weil sich im Nachgang herausstellte, dass er auch geschäftlich Rechnungen lange nicht bezahlt und mehrere KMU aus der Uhrenbranche monatelang hingehalten hatte. Lack wurde vorgeworfen, sich als Unternehmer profilieren zu wollen, während er seine eigenen Finanzen kaum im Griff habe.  

«Wir müssen ‹vou ad Seck›»

Im aktuellen Wahlkampf wird der Vorfall allerdings kaum thematisiert. Es habe eine Aussprache mit allen Parteien der Gemeinde gegeben, seither sei die Sache abgehakt, sagt auch Luc Arnold, Co-Präsident der Muriger SP. Er sei erstaunt, wie präsent die Geschichte in der Bevölkerung teilweise noch sei. Sie sei auch nicht ausschlaggebend dafür gewesen, das Präsidium anzugreifen: «Viel wichtiger war für uns, dass wir in den Nationalratswahlen nur knapp hinter der FDP gelandet sind.» Die SP-Listen hatten einen Wähleranteil von 20,1 Prozent erreicht. Jener der FDP lag bei 20,8 Prozent. 

«Wir spüren einen Umschwung in der Basis», so Arnold. Umso mehr wolle man nun Auswahl bieten. Köbeli sei als Kandidat gut geeignet, bringe die nötigen «Skills» mit und lebe eine Nähe zur Bevölkerung unabhängig von deren Einkommen und Status. Man sei auch deswegen «vorsichtig positiv» gestimmt für die Präsidiumswahl, so
Arnold. 

Die Muriger FDP dagegen glaubt fest an Lacks Wiederwahl. Als amtierender Präsident sei er im Vorteil und verfüge bereits über einen Leistungsausweis, sagt Matyassy: Lack habe vieles aufgegleist, seine erste Abstimmung im Dezember – eine Schulhausrenovation – mit enormer Zustimmung gewonnen, und habe in der Jahresrechnung 2023 trotz geplantem Defizit ein Plus von drei Millionen erzielt. «Und das ohne eine bürgerliche Mehrheit im Gemeinderat und im Parlament!» 

Matyassy glaubt auch an eine bürgerliche Mehrheit in Muri, immer noch: «Aber wir müssen sie an die Urne bringen.» Weil gleichzeitig wie die Wahl auch über die Prämienentlastungsinitiative abgestimmt wird, werde die SP ihre Wählerinnen mobilisieren können. Die FDP will es ihr gleichtun. Man gebe schon jetzt Vollgas, sei stark gefordert, so Matyassy. Sollte Lack die Wiederwahl nicht schaffen, so werde der Druck zunehmen: «Dann sind wir im Herbst noch mal voll gefordert und es gilt: ‹Vou ad Seck›». Spätestens dann könnte die Hochburg tatsächlich fallen. Für Matyassy steht viel auf dem Spiel.

Gleichzeitig wäre die FDP auch mit vier Sitzverlusten vermutlich noch die grösste Partei im Muriger Parlament. Auch im Gemeinderat sitzt sie fest im Sattel: In den letzten Erneuerungswahlen verpasste sie den dritten Sitz um knapp 200 Stimmen. Um einen Sitz in der Exekutive zu verlieren, müsste sie ihren Wähleranteil fast halbieren. Das ist bei allem Zuwachs von links wenig wahrscheinlich. 

Sollte Lack die Wiederwahl wider Erwarten nicht schaffen, werde man in vier Jahren wieder antreten, sagt Matyassy: «Gute Kandidatinnen und Kandidaten haben wir.» 

Die Präsidiumswahl wäre in diesem Sinn nur ein Stein von vielen aus der Hochburg. Ein wichtiger; einer, der auf Herausforderungen hinweisen könnte. Aber nicht der letzte.


Ihre Meinung interessiert uns!


Verwandte Artikel


Wundenlecken mit der FDP

Mit dem Sitzverlust bei den Nationalratswahlen ist die FDP Kanton Bern auf einem historischen Tiefpunkt angelangt. An der Delegiertenversammlung begab sich die Partei auf Ursachenforschung.

SP zwingt Lack in die Kampfwahl

Der FDP-Gemeindepräsident von Muri wird von Jan Köbeli (SP) herausgefordert. Ob es dabei bleibt, ist noch nicht klar. Amtsinhaber Stephan Lack gibt sich entspannt. Doch seine Abwahl wäre für die FDP ein Tiefschlag. 

Mit Marianne Wille im Schloss

In ihrem Literaturlabor bringt die Literaturwissenschaftlerin Marianne Wille Leserinnen und Lesern Klassiker der Moderne nahe. Der aktuelle Kurs widmet sich Franz Kafkas Roman «Das Schloss», welcher die Grunderfahrungen des modernen Menschen thematisiert.