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Warum lernen die Behörden so wenig aus IT-Bruchlandungen?

Citysoftnet ist längst nicht das einzige IT-Projekt in der Region, das mit Problemen kämpft. Obwohl die Herausforderungen absehbar wären. 

| Léonie Hagen | Politik
Gedrückte Stimmung: Franziska Teuscher (Grüne) und Reto Nause (Mitte). Foto: Léonie Hagen
Gedrückte Stimmung: Franziska Teuscher (Grüne) und Reto Nause (Mitte). Foto: Léonie Hagen

Eigentlich hätte die Fallführungssoftware Citysoftnet den Stadtberner Sozialdiensten das Leben einfacher machen sollen. Stattdessen brachte sie die Einführung der neuen Software vor einem Jahr an den Rand des Zusammenbruchs. Vergangene Woche gab die Stadt einen Prüfungsbericht zur Einführung der neuen Software frei. Die Bilanz scheint wenig Gutes am Projekt zu lassen: Die Dienstleisterin emineo habe den Aufwand massiv unterschätzt und sei nicht fähig gewesen, in der versprochenen Zeit, Qualität und im finanziellen Rahmen zu liefern. Die Projektverantwortlichen ihrerseits hätten viel zu wenig Ressourcen für die Begleitung der Transformation vorgesehen; man habe Prozesse nicht zu Ende gedacht und die Software wegen Verzögerungen ungenügend getestet. Die Folgen: weitere Verzögerungen und Mehrkosten in Millionenhöhe.

Damit steht Citysoftnet bei Weitem nicht alleine da. Die Stadt selbst hat mit «base4kids2» erst vor zwei Jahren die Wogen des letzten IT-Debakels geglättet. Aber auch auf kantonaler Ebene kämpfte die Polizei mit der Einführung einer neuen Fallführungssoftware.

Hohe Ansprüche, aber fehlende Kompetenzen

Die Projekte unterscheiden sich zwar teils deutlich. Und doch gebe es durchaus Gemeinsamkeiten, sagt Matthias Stürmer. Er leitet das Institut «Public Sector Transformation» an der Berner Fachhochschule. So sei es bei «base4kids2» wie bei Citysoftnet zu einer verfrühten Einführung mit unzureichenden Testphasen gekommen. In allen drei Projekten stellte man im Nachhinein fest, dass intern besser hätte kommuniziert werden müssen – und dass mehr Ressourcen  nötig gewesen wären. Die Probleme sind nicht neu; sie sind aus der Privatwirtschaft bekannt. Und doch scheint es, als fange man mit jedem IT-Projekt wieder von vorne an. 

Ein Grund dafür seien die hohen Anforderungen, welche gerade Verwaltungssoftwares erfüllen müssten, sagt Matthias Stürmer. Auf den ersten Blick könne eine neue Software-Lösung relativ einfach umsetzbar wirken: «Aber dahinter stecken wahnsinnig viele, komplexe Abläufe, die man mitdenken muss.» Dazu kommen Anforderungen an den Datenschutz. Und der Anspruch, mit einem Schlag mehrere Probleme gleichzeitig zu lösen: Wenn schon digitalisieren, dann umfassend. Dadurch werden oft Eigenentwicklungen nötig – die kostspieliger und schwerer einzuschätzen sind. 

Weil die Projekte sich über einen langen Zeitraum ziehen, kommt es zu hoher Personalfluktuation. Damit geht immer auch Projekt- und Fachwissen verloren, das jeweils wieder aufgebaut werden müsse, so Stürmer. Zudem fehle es oft sowohl auf Seite der Verwaltungen als auch seitens Dienstleister an Wissen über die nötigen IT-Strukturen und Transformationsprozesse: «Weder Verwaltungen noch reine IT-Diensleister sind angemessen auf ein solches Megaprojekt vorbereitet.»

Dazu kommt die Anzahl involvierter Gremien und Schnittstellen. «Mit so vielen Akteuren unterschätzt man immer, wie viel Zeit und Ressourcen die regelmässigen Absprachen, die Koordination und das Aufeinander-Abstimmen beanspruchen», sagt Alexander Mertes, Leiter des «Center for Public Performance Management & Digital Transformation» an der ZHAW. 

Umso wichtiger sei eine zentrale Fachverantwortung, die auch genügend «Übersetzungsleistungen» zwischen IT und Verwaltungs-Fachpersonal sicherstelle. 

Gescheitertes Projekt oder bloss eine Bruchlandung?

Allerdings, so Mertes, hiessen Verzögerungen und Mehrkosten nicht zwingend, dass ein Projekt auch gescheitert sei. Angesichts der Dimensionen eines IT-Projekts wie Citysoftnets hätte es gar zu einem Abbruch kommen können: «Das wäre bei Grossprojekten dieser Art nicht unüblich.» 

Von Scheitern will auch Thomas Alder, Geschäftsführer von Citysoftnet, nicht sprechen. «Die Hälfte solcher Projekte kommt gar nie in die Nähe der Betriebsreife, auch in der Privatwirtschaft nicht», sagt Alder. Privatwirtschaftliche Projekte seien lediglich weniger sichtbar als jene der öffentlichen Hand.

Umso zufriedener gibt sich Alder mit der Einführung von Citysoftnet in Bern. Die Software laufe - im Moment noch mit einigen Abstrichen, aber sie laufe, so Alder. Dass es in einem so komplexen und lange dauernden Projekt zu Fehlern und Fehlschätzungen komme, sei normal. Wichtig sei es, daraus zu lernen und die Erkenntnisse ins Projekt einzubringen. «Jetzt, nahe am Ziel, hätten wir das meiste Wissen, welches es für ein solches Projekt braucht», so Alder. Doch das nächste komme eben erst in fünfzehn, zwanzig Jahren wieder. Dann seien es wieder neue Leute, die ihre eigenen Fehler und Erfahrungen machen müssten. 

Zuversichtlich gibt sich Alder auch mit Blick auf die Absichten des Kantons. Der Kanton müsse ein vergleich- und benutzbares Projekt erst stemmen: «Bis wir wirklich sehen, was tatsächlich kommt, dürfte es noch ein paar Jahre dauern.»

Kritischer sieht das Matthias Stürmer. «Es kann nicht sein, dass Stadt und Kanton über so lange Zeit aneinander vorbeireden», sagt er. Gerade wenn schon ein derart grosses Projekt geplant sei, müsse man Synergien nutzen und das vorhandene Wissen auch teilen können. Damit sich die Probleme von Citysoftnet – die Fehlschätzungen, die technischen Herausforderungen, die ungenügende Begleitung – nicht wiederholen. 

Stadt und Kanton geben auf Nachfrage an, man sei derzeit noch im ­Gespräch darüber, ob und wie sich Citysoftnet mit einer kantonalen Lösung vereinbaren liesse. Die Erwartungen dürften aber auch hier auseinandergehen: Der Kanton hatte im Frühling 2023 bereits eine Ausschreibung für eine Fallführungssoftware geöffnet. Er vergab den Auftrag an eine Berner IT-Firma. Von Citysoftnet war kein Angebot eingegangen. 


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