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Berner Stadtparlament nimmt höheres Defizit in Kauf
Mehr Geld für Soziales und Kultur: Das Stadtparlament stimmte in der Budgetdebatte mehreren Anträgen zu, die Mehrkosten zur Folge haben. Das Defizit steigt so auf 30 Millionen.
Wie steht die Stadt Bern finanziell da? Das ist die Frage, die den Rahmen zur diesjährigen Budgetdebatte im Stadtrat vorgab. Die Meinungen gingen traditionellerweise weit auseinander. Fragt man die bürgerliche Opposition: wenig rosig. «Die Stadt Bern manövriert sich mit diesen Zahlen direkt in eine finanzpolitische Handlungsunfähigkeit und in eine Steuererhöhung hinein», sagte FDP-Sprecherin und Gemeinderatskandidatin Florence Pärli bei der Grundsatzdebatte.
Zu diesem Zeitpunkt lag erst der Budgetentwurf des Gemeinderats vor. Er sah ein Defizit von rund 28 Millionen Franken vor, dies bei Mehrausgaben für neue Aufgaben in der Höhe von 11 Millionen Franken und knapp 120 neuen Vollzeitstellen. Insbesondere das Wachstum bei den Schülerzahlen, die Digitalisierung, Klimamassnahmen und die hohen Investitionen führten jedes Jahr zu Mehrkosten, argumentierte der Gemeinderat. So resultiere ein Defizit, obwohl mit rund 40 Millionen Franken mehr Steuereinnahmen budgetiert werde. Es gelte deshalb «unverändert Prioritäten zu setzen und neue Ausgaben nur restriktiv zu beschliessen», mahnte der rot-grün dominierte Gemeinderat.
Die Bürgerlichen pochten in der Folge vergebens auf ein ausgeglichenes Budget oder zumindest das rasche Aufgleisen eines Sparpakets – sämtliche ihrer zahlreichen Rückweisungsanträge scheiterten deutlich.
«Im Bereich der schwarzen Null»
Die Linke sieht die Situation ohnehin weniger dramatisch. Angesichts steigender Steuereinnahmen, eines Eigenkapitals von 100 Millionen Franken und weiteren 150 Millionen Franken, die in den Spezialfinanzierungen Schule sowie Eis und Wasser eingestellt seien, sei Alarmismus fehl am Platz, hiess es. Bei einem Gesamthaushalt von 1,4 Milliarden Franken sei das drohende Defizit noch «im Bereich einer schwarzen Null», sagte GB-Sprecherin und Gemeinderatskandidatin Ursina Anderegg. Und auch SP-Sprecher Johannes Wartenweiler sprach von einem Defizit «im Bereich der Budgetgenauigkeit». So erstaunte es nicht, stimmten SP und GB – die zusammen mit Linksaussen die Ratsmehrheit stellen – zahlreichen Anträgen zu, die Mehrkosten zur Folge haben. Durch die beschlossenen Mehrausgaben, die vor allem den Kultur- und Sozialbereich betreffen, erhöht sich das budgetierte Defizit nun um zwei Millionen Franken auf knapp 30 Millionen.
GFL gegen Leistungsausbau
Die GFL, eigentlich gemeinsam mit SP und GB Teil des Rot-Grün-Mitte-Bündnisses, beteiligte sich allerdings nicht am linken Powerplay. Mit Ausnahme einer Aufstockung bei der Kulturförderung lehnte die Partei fast alle Anträge der Linken, die Mehrkosten zur Folge hätten, ab. Bereits bei der Eintretensdebatte machte GFL-Sprecherin Francesca Chukwunyere deutlich, dass ihre Partei dem Budget nur zustimmen werde, wenn das Defizit die 30-Millonen-Grenze nicht übersteige. Letztlich stimmte die GFL mit SP, GB und Linksaussen dem Budget denn auch zu – und verhalf dem 30-Millionen-Defizit zu einer deutlichen Mehrheit.
Doch auch die Sparvorschläge der Bürgerlichen wurden von der GFL nicht unterstützt – und scheiterten durchs Band. Die Stadt bezahlt also nach wie vor 66 Prozent der BVG-Beiträge ihrer Mitarbeitenden, leistet sich weiterhin eine «Fachstelle für nachhaltige Ernährung» und schafft auch wie vorgesehen eine Stelle für das «betriebliche Gesundheitsmanagement».
Die Hoffnung der Bürgerlichen gilt nun dem 24. November. Nicht unbedingt, weil dann die Bevölkerung abschliessend über das Budget befindet, sondern weil gleichentags die Wahlen stattfinden. «Hätten wir einen zusätzlichen Gemeinderat, hätten wir auch mehr konkrete Sparvorschläge machen können», konterte Pärli die Kritik von Anderegg, zu wenig konkret zu sagen, wo zu sparen sei. Die Budgetdebatte: auch ein Schaulaufen der beiden Gemeinderatskandidatinnen.
Sparpaket bereits angedacht
Klar scheint, dass die Stadtfinanzen auch über die Wahlen hinaus zu reden geben werden. Der Aufgaben- und Finanzplan, der am selben Abend vom Parlament behandelt wurde, prognostiziert auch für die kommenden Jahren Defizite und Neuverschuldungen. Und wie Finanzdirektor Michael Aebersold bei seiner letzten Budgetdebatte ausführte, kann man nicht mehr davon ausgehen, dass die Rechnung wie in den letzten Jahren letztlich besser ausfallen wird als budgetiert. «In diesem Jahr sieht es jedenfalls danach aus, dass das budgetierte 40-Millionen-Defizit auch tatsächlich eintritt», sagte er.
Wie Stadtpräsident Alec von Graffenried kürzlich auf einem Podium des Onlinemagazins «Hauptstadt» ausführte, hat der Gemeinderat bereits ein Sparpaket angedacht. Allerdings habe man die Erarbeitung wegen Aebersolds Rücktritt in die nahe Zukunft verschoben. Es soll spätestens 2028 Wirkung entfalten.
Gründe dazu gibt es tatsächlich: Laut Finanzplan droht der Stadt Bern ab 2028 ein Bilanzfehlbetrag. Die Bürgerlichen warnten in der Budgetdebatte gar vor drohender Fremdverwaltung durch den Kanton. Oder wie es Pärli von der FDP ausdrückte: «Momentan ist das Wasser ruhig, aber es ziehen Wolken am Himmel auf.»
Allerdings – darauf machte Anderegg von GB aufmerksam – hat die FDP schon mehrfach etwas verfrüht den finanzielle Kollaps der Stadt Bern prophezeit.
Die brisantesten Anträge der Budgetdebatte:
Mehr Geld für Kulturförderung
In der Stadtberner Kulturförderung gilt seit Anfang Jahr die Losung, dass nur Projekte gefördert werden, bei denen die Beteiligten marktübliche Gagen und Sozialabgaben erhalten. Dadurch werden Kulturprojekte teurer. Da der Fördertopf gleich gross blieb, kann die Stadt seither weniger Projekte finanzieren. Um das zu ändern, forderte die SP erfolgreich die Erhöhung des Fördertopfs um 620 000 Franken. Ihr Antrag setzte sich in der Ausmarchung auch gegen jenen der zuständigen Kommission durch, die eine Erhöhung um 900 000 Franken forderte. Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) riet zwar, zuerst die neue Situation seriös zu analysieren, bevor man den Fördertopf erhöhe – schliesslich habe man das neue Förderregime im Bewusstsein installiert, dass dadurch weniger Projekte unterstützt werden könnten. Er fand aber bei der Ratsmehrheit kein Gehör.
Steueranlage senken – oder gleich erhöhen?
Wie in jeder Budgetdebatte durften auch in diesem Jahr Anträge zur Veränderung der Steueranlage nicht fehlen. Allerdings nahmen sie weniger Platz ein als in früheren Jahren. Einzig die SVP forderte eine Steuersenkung. Ihr Sprecher, Niklaus Mürner, räumte zwar ein, dass es «absurd» erscheinen möge, gleichzeitig sparen zu wollen und die Steuern zu senken. Aber wenn man schon so viel Geld verschwende, wie das die Stadt tue, solle zumindest der Bürger auch etwas davon haben, so Mürner. Der Antrag war ebenso chancenlos wie jene von AL/PDA, die Erhöhungen der Einkommens- und der Unternehmenssteuern verlangten. Sie wurden selbst vom GB, für das eine Steuererhöhung gemäss Sprecherin Ursina Anderegg «kein Tabu» darstellt, abgelehnt.
Geld für Museumsquartier
Der Verein Museumsquartier will den Bereich zwischen Helvetiaplatz und Kirchenfeldstrasse neu gestalten und entwickeln. Die Stadt unterstützte den Aufbau des Vereins mit Anschubfinanzierungen, befand aber, es sei nun an der Zeit, dass die Museen, für die das Projekt wichtig ist, den Verein nun selbst alimentierten. Der Stadtrat entschied sich trotz des Votums von Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL), dem Verein einen Beitrag in der Höhe von 75 000 Franken zuzusprechen – schliesslich profitiere auch die Stadt von den Plänen. Zudem hätten bereits Burgergemeinde und Kanton Beiträge in Aussicht gestellt.
Baustandards überprüfen
Am 22. September stimmen die Stadtberner über den Neubau eines Schulhauses auf dem Goumoëns-Areal ab. Kostenpunkt: knapp 80 Millionen Franken. Doch auch Sanierungen von Schulhäusern kosten regelmässig Beträge in mittlerer zweistelliger Millionenhöhe. Geht es nicht auch ein bisschen günstiger? Diese Frage stellt sich auch die Mehrheit des Stadtparlaments. Es überwies einen Antrag der Finanzkommission, der eine Überprüfung der Baustandards forderte. Und dies, obwohl Finanzdirektor Michael Aebersold (SP) daran erinnerte, dass die Baustandards erst gerade im Zuge des letzten Sparprogramms überprüft worden seien.
Weitere Ausgaben für Soziales
Die SP verhalf mit dem Grünen Bündnis und Linksaussen mehreren Anträgen zu einer Mehrheit, die mehr Geld für soziale Projekte forderten. So unterstützt die Stadt im nächsten Jahr die Seenotrettung mit 70 000 Franken und die Notschlafstelle für Jugendliche, Pluto, mit 100 000 Franken. Auch die Fachstellen Migrations- und Rassismusfragen, das Angebot «Digitales Gleichgewicht», die städtische Wohnberatung und das Kompetenzzentrum öffentlicher Raum in der Stadt Bern (Kora) erhalten je zwischen 80 000 und 142 000 Franken mehr.