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Wird das Schwingen wieder Stadtsache?
Geschwungen wird auf dem Land, vom Land und fürs Land. Das war aber nicht immer so und soll auch nicht so bleiben. Sollte der Boom zurück in die Städte schwappen, wäre zumindest Bern parat – hier steht einer der ältesten und schönsten Schwingkeller der Region.
Das Schwingen, das Ringen mit dem Griff an die Hosen, wurde in den Bergen wohl schon vor einigen Hundert Jahren betrieben, allerdings noch ohne starre Regeln und oft auch ohne den Segen der Kirche und anderer Autoritäten. Nachdem es ab Anfang 19. Jahrhundert von Stadtherren neu organisiert und geschliffen und im 20. Jahrhundert durch die Turnerbewegung popularisiert wurde, ist es mittlerweile wieder ganz aufs Land zurückgekehrt. Gerade noch ein einziger Schwinger kommt aus der Stadt Bern – jedenfalls scheinbar. Doch ohne Nachwuchs aus der Stadt könne sich das Schwingen kaum entwickeln, heisst es beim Eidg. Schwingerverband ESV.
Wenger startet Schwingboom
2010 wurde mit dem Oberländer Kilian Wenger erstmals ein Schwinger König, der auch die Leute in der Stadt ansprach: Ein Hübscher, schlank, keiner «ohne Hals», wie es in der Stadt gern über die Schwinger heisst. Mit ihm ging der aktuelle Schwingboom los, wandelte sich das Schwingen von der rein ländlichen zur Massenkultur. So jedenfalls wird es oft geschrieben. Doch obwohl mittlerweile fast alle Kranzfeste live im Fernsehen zu sehen sind und mit dem Seeländer Christian Stucki ein Schwingerkönig auf den Werbeflächen im ganzen Land omnipräsent ist, sucht man Buben und Männer aus der Stadt auf den Startlisten vergebens.
Genau einen Schwinger mit Wohnort Bern hat der «Anzeiger» gefunden: Cedric Zoss. Beim Nachfragen stellt sich heraus, nicht einmal das ist richtig. Nicht nur lebt Zoss auf einem Bauernhof im kleinen Weiler «Mühle», sein Haus steht zudem auf Frauenkappeler Boden, nur die Postleitzahl teilt er mit der Stadt Bern. Er sehe sich ganz und gar als jemand vom Land. «In die Stadt gehe ich nur, wenn ich irgendetwas unbedingt brauche», sagt er gar. Auch für den Ausgang orientiere er sich in Richtung Land. Dass in der Stadt nicht geschwungen werde, habe vielleicht auch mit der Politik zu tun, vermutet er. «Die Schwingerwelt wird in der Stadt wohl als rechts eingeordnet, weshalb sie weniger interessiert.» An den Schwingfesten willkommen seien aber alle, sagt er mit Nachdruck.
In S-Bahn-Nähe
Mit dem Schwingklub Worblental gäbe es die Möglichkeit zu schwingen zehn S-Bahn-Minuten von der Stadt entfernt. Ein schöner neuer Schwingkeller liegt direkt neben dem Bahnhof Bolligen in der Schulanlage Eisengasse. Zurzeit aber schwingt dort nur beim Nachwuchs ein Städter. Der Club hat keine Nachwuchsprobleme, wohl auch dank Zugpferden wie dem ehemaligen Spitzenschwinger Willy Graber, der die Trainings leitet, und Adrian Walther, der seit einigen Saisons im Kanton Bern ganz vorne mitschwingt. Hochaktiv nach jungen Schwingern suchen muss man deshalb nicht. Als stadtnaher Club ist der SK Worblental aber regelmässig an Events in der Stadt beteiligt, wird von Schulen eingeladen, bietet an Märkten und an Quartierfesten Schnuppertrainings an. Trotz jeweils grossem Interesse finde man so nur vereinzelt neue Schwinger, sagt Clubpräsident Alfred Graber. Und wenn, dann sei meist nach ein, zwei Trainings Schluss. «Es liegt dann halt doch nicht allen, mit all dem Sägemehl.»
Einer der Gründe sind wohl die Alternativen, die in der Stadt zahlreicher vorhanden sind, meint auch Rolf Gasser, Leiter der ESV-Geschäftsstelle. «Zweikampf ist nicht jedermanns Sache, es braucht eine gewisse Härte. Und in der Stadt gehen die wenigen, die das anspricht, vielleicht halt boxen.» Auf dem Land habe man keine Mühe mit dem Nachwuchs. Der ESV sei aber sehr interessiert, auch in Stadtnähe neue Schwinger zu gewinnen. Er macht eine einfache Rechnung: «Früher gab es pro Bauernfamilie noch sechs Söhne, von denen dann ein Teil zum Schwingen kam. Heute hat die durchschnittliche Frau in der Schweiz noch 1,3 Kinder. Wenn sich das Schwingen weiterentwickeln soll, müssten auch Leute in der Stadt oder Secondos schwingen. Um sie werben wir bewusst, aber es ist nicht einfach.»
Ein König aus Bümpliz
Dass das Schwingen etwas vom und fürs Land ist, war nicht immer so. Der Schwingerverband ESV wurde 1895 in der Stadt Bern gegründet als Zusammenschluss der verschiedenen Schwingverbände mit dem eher städtisch geprägten Arbeiterturnerverband SATUS, in dem ebenfalls geschwungen wurde. Das heute noch weitgehend gültige erste ausführliche Regelwerk zum Schwingen stammt aus der Feder eines Berner Arztes. Und bis weit ins 20. Jahrhundert stellten die Turnvereine noch einen schönen Anteil Schwinger und auch Festsieger. An den Schwingfesten erkennt man sie auch heute noch am weissen Turner-Tenue, während die Schwinger vom Land, die Sennenschwinger, in dunklen Hosen und Leinenhemd schwangen. Der allererste ESV-Schwingerkönig 1895, Alfred König, war zwar ein Sennenschwinger, schwang aber im stadtnahen Köniz, 1934 und 1940 gewann dann der waschechte Stadtberner Fritz Bürki aus Bümpliz diese höchsten Schwingerehren.
Mit dem Niedergang der Turnerbewegung Mitte letztes Jahrhundert änderte sich das Bild. SATUS-Schwinger gibt es schon lange keine mehr in Bern. Die Turnvereine haben sich vom Schwingen weg und anderen Sportarten zugewandt. Überbleibsel sind die sehr vereinzelten Turnerschwinger in den Schwingclubs, die sich für das weisse Tenue entschieden haben, weil schon ihr Vater ein Turnerschwinger war oder weil sie sich im Turnverein sportlich sozialisierten und das mit der Kleidung ausdrücken wollten. Einige betreiben noch das «Nationalturnen», einen Mehrkampf, in dem auch gerungen und geschwungen wird.
Auch in Bern gibt es noch ein Überbleibsel. Direkt an der Aare liegt in der Sportanlage Altenberg ein sogenannter Schwingkeller, der in diesem Fall aber eine grosse Halle mit Tageslicht ist. Heute wird der Schwingkeller vom Mittelländischen Schwingverband, und damit auch für heute noch als Turnerschwinger auftretende Sportler, regelmässige für Kadertrainings benutzt und alle paar Wochen von Schulen für Sporttage und ähnliches gebucht. Seit Kurzem nutzen auch die Veranstalter des Schwingfests der alternativen Berner Reitschule, des «Reitgenössischen», die Halle für Probetrainings. Das Sägemehl wird gepflegt, die Garderoben unterhalten – für eine Renaissance des stadtbernischen Schwingens wäre also alles bereit.
Zweite Plätze als gutes Omen
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