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Reformbäckerei Vechigen: Kampf um Personal

Die Berner Bäckereien kämpfen um ihr Personal und um ihr Fortbestehen. Auch die Vechiger Reformbäckerei sucht Leute. Ein Besuch in der Backstube. 

| Lara Christ | Wirtschaft
Reformbäckerei Vechigen.
Auch die Reformbäckerei Vechigen kämpft mit Personalmangel. Fotos: Léonie Hagen

Sie habe nie Bäckerin werden wollen, sagt Anna Hersberger. Sie steht in der dampfenden Backstube in Vechigen, den Faserpulli hat sie ausgezogen, auch mehrere Meter weit weg vom Holzofen ist es viel zu warm dafür. Es riecht nach Sauerteig und nach frischem Brot. 

Eigentlich sollte sie als Geschäftsführerin der Vechiger Reformbäckerei auch jetzt nicht hier stehen; ihre Arbeit hält sie normalerweise im Büro. An diesem Frühlingsmorgen aber packt sie an, schiebt Wagen mit warmen Laiben herum, spült Teigreste aus litergrossen Bottichen. Die Aufgaben sind zu Hersbergers Alltag geworden. «Wir haben sonst zu wenig Leute», erklärt sie. Normalerweise braucht es für den Betrieb ihrer Backstube neun bis zehn Personen. Derzeit sind sie zu sechst. 

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Hersberger hat deswegen einen Hilferuf gestartet. «S.O.S.» steht in Grossbuchstaben auf dem Flyer, der sich an die «Menschen da draussen» wendet. Damit die Bäckerei auch in den nächsten Jahren weiter bestehen könne, brauche es Mitarbeitende. Insbesondere Bäckerinnen und Bäcker
suche man per sofort oder nach Vereinbarung, bei Fragen genüge ein Anruf in der Backstube.

Mit solchen Hilferufen ist Hersberger nicht allein. Vielen Berner Bäckereien fehlt das Personal oder der Nachwuchs. Mehrere von ihnen haben in den vergangenen Wochen ihre Türen geschlossen. Dabei kauft die Bevölkerung weiterhin viel Brot – und davon noch gut einen Drittel in selbstständigen Bäckereien. Rolf Gutmann, Chefexperte des Berner Bäckerverbands, sagt: «Aufträge gibt es eigentlich genug, aber es fehlen die Leute, um der Nachfrage gerecht werden zu können.» 

Auch, weil deutlich weniger junge Menschen sich zur Bäckerin oder zum Konditor ausbilden lassen. In diesem Sommer etwa beginnen in den Kantonen Bern und Solothurn knapp 90 Jugendliche eine entsprechende Lehre. «Vor 25 Jahren waren es noch doppelt so viele», sagt Gutmann. Und doch gibt er sich zuversichtlich: Es seien schon deutlich mehr Junge als noch vor ­einem Jahr.

Ein Bio-Trendsetter in Vechigen

Die Arbeit beginnt frühmorgens. An diesem Morgen startet das Team zu dritt. Eine Person steht am Ofen und sorgt für das Feuer, die anderen beiden widmen sich dem Teig. Ein Mann wiegt den Teig jeweils ab, der andere wälzt ihn in Körnern und gibt ihn in die Backformen. Auf kleinstem Raum wird effizient und routiniert gearbeitet. Dazwischen finden die beiden jungen ­Bäcker immer wieder Zeit, um einen weiteren Mann einzuführen: Ein «Schnupperli», der zur Probe arbeitet. 

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In den Öfen gehen je nach Grösse und Form 250 bis 290 Brote gleichzeitig auf. Von Misch- und Kartoffelbroten über Reis-, Dinkel- und Roggenbrote bis hin zu Sauerteigbroten ist alles dabei. An bestimmten Tagen kommt Süssgebäck dazu, freitags gibt es veganen Zopf. Die Öfen laufen stundenlang auf Hochtouren. Entscheidend für die Qualität sind nicht nur die Ruhezeit und Bearbeitung des Teigs, sondern auch die Rohstoffe, aus denen er ge­fertigt wird. Die Reformbäckerei setzt etwa auf altes Getreide, wie die
Bauernweizenarten Huron oder Emmer. Dadurch seien die Brote länger haltbar, so Hersberger, was die Kundschaft schätze.

Mit diesem Wissen ist Hersberger aufgewachsen. Als ihr Vater die Reformbäckerei vor 45 Jahren eröffnete und darin Bio-Holzofenbrote produzierte, wurde er belächelt. Er gehörte zu den wenigen Bioläden der Region, schrieb sich früh Nachhaltigkeit und Qualität auf die Fahne. 

Damals war die Bäckerei noch ­kleiner. Das Mehl kam aus einer traditionellen Mühle, direkt nebenan. Während ihrer Sommerferien half Hersberger jeweils aus. Warum sie keine Bäckerin werden wollte, weiss sie bis heute nicht genau. Doch sie entdeckte in dieser Zeit ihr Interesse an Lebensmitteln, studierte in Zollikofen Lebensmittelwissenschaften und Management.  

Schwere Arbeit für wenig Lohn

«Ein gutes Brot braucht kein Marketing», habe ihr Vater immer gesagt. Auch als der Druck auf die Bäckerei mit der Zeit stieg, habe er seine Arbeitsweise und Philosophie nicht ändern wollen. Stattdessen entschloss er sich trotz grosser Leidenschaft für das Backen dafür, seinen Betrieb an Hersberger weiterzugeben. Sie führt ihn nun seit einem Jahr. Am Angebot habe sie kaum etwas geändert, sagt sie. Doch ein «Brotschalter» ist dazugekommen; und sie hat einen Selbstbedienungsladen eingerichtet. 

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Der Beruf sei wenig attraktiv, räumt auch Hersberger ein: «Ohne Nacht­arbeit geht es fast nicht.» Gleichzeitig werde vom Strom über das Getreide bis zum Vertrieb alles teurer. Die ganze Produktionskette habe mit der Teuerung zu kämpfen, so Hersberger. Die Preise könne man aber kaum auf die Kundschaft abwälzen – und so auch die Löhne kaum erhöhen. 

«Wir wagen gar keine Prognose»

Diejenigen, die noch eine Bäckerlehre abschliessen würden, blieben denn auch oft in ihrem Ausbildungsbetrieb, sagt Rolf Gutmann. Nur ein Zehntel schaffe es auf den freien Arbeitsmarkt. Und diese seien sehr gefragt. So etwa das Dutzend Bäckerinnen und Bäcker, die im Zuge des Konkurses des Chrigubeck in Burgdorf (BE) ihre Arbeit verloren: «Auf die gab es noch am selben Abend einen Run.» Es bleibe den Bäckereien wenig anderes übrig, als selbst Leute auszubilden, so Gutmann. Ansonsten müssten sie ihr Sortiment straffen, Verkaufstage reduzieren oder auf Convenience-Produkte ausweichen. 

Das will Hersberger nicht tun. Sie will weiterhin auf Handarbeit setzen, mit dem Mehl von nebenan, das Brot weiter von Hand verpacken und durch ihren «Brotschalter» an Passantinnen reichen, die nach neun Uhr vorbeischlendern, wenn der Arbeitstag in der Bäckerei zu Ende geht. Dann holt ein Fahrer die Lieferkisten ab, karrt das hart erarbeitete Brot in die Welt hinaus. «Dann weiss ich, dass wir grossartige Arbeit geleistet haben», sagt sie. Es komme viel zusammen im Moment. Wertschätzung würde helfen, so Hersberger. Wer die Arbeit von Produzenten schätze, bezahle einen angemessenen Preis und könne somit für angemessene Löhne sorgen.

Hersberger glaubt an die Qualität ihrer Produkte. Es gebe ihr Hoffnung, dass der Wert des Brots als Grundnahrungsmittel nach wie vor erhalten bleibe. Wie viele Jahre sie durchhalten wird, weiss sie noch nicht. «Wir wagen gar keine Prognosen mehr», sagt Hersberger. Aber: «Wir machen einfach so lange wie möglich weiter.»

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