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Die Berufslehre schmackhaft machen

Über die Hälfte der Jugendlichen in Bern geht nach der 9. Klasse in die Lehre. Dennoch bleiben zahlreiche Lehrstellen unbesetzt. Was Lehrbetriebe tun können – und wo die Grenzen liegen.

| Michael Schallschmidt | Wirtschaft
Berufe im Baunebengewerbe sind aktuell weniger populär. Foto: zvg
Berufe im Baunebengewerbe sind aktuell weniger populär. Foto: zvg

«Ich bin der einzig wahre Koch», ruft ein Schüler durch die hell beleuchtete Auszubildendenküche, als er die Kochmütze aufsetzt. Der Fachexperte schmunzelt und verteilt weiter Mützen, Schürzen und Touchons an die Schülerschaft. Die Kochmütze nenne sich im Fachjargon Toque, erklärt er dem jungen Publikum mit lauter Stimme.

Eine etwa 20-köpfige Schülergruppe hilft am Donnerstagmorgen im Gastgewerbezentrum Bern bei der Zubereitung des Mittagessens. Es riecht nach frischem Nudelteig und süssen Wähen. Vorsichtig befüllen zwei Schülerinnen eine Ravioliform. Ausserhalb der Küche versucht sich eine andere Gruppe beim Mischen von alkoholfreien Drinks. Wieder andere lernen, wie man Servietten faltet. Gelernte wie auch in Ausbildung befindliche Köche, Restaurant- und Hotelfachleute zeigen vor, erklären, animieren zum Mitmachen. 

Doch nicht nur in Bern-Bümpliz öffnete ein Berufsbildungszentrum seine Tore: Kantonsweit fand unter dem Namen «Rendez-vous Job» vom 7. bis 9. März ein Erlebnis-Event statt. Die Veranstaltung vom Gewerbeverband Berner KMU soll Schülerinnen und Schülern ab der fünften Klasse diverse Lehrberufe näherbringen – von Automatikmonteur bis Zimmermann.

Die eigene Vorbildrolle

Für junge Menschen sei es wichtig zu erleben, was für eine Tätigkeit genau ein Beruf beinhalte, sagt Lars Guggisberg, Direktor des Gewerbeverbands Berner KMU: «Sie sollen aus erster Hand von Lernenden erfahren, wie ein Tagesablauf aussieht.» Der Dachverband der kleinen und mittleren Unternehmen führt die Geschäfte des Vereins hinter «Rendez-vous Job». 

Damit KMU als Anbieter von Lehrstellen attraktiv bleiben, braucht es jedoch mehr als Events. «Wichtig ist auch, dass die Ausbildungsbetriebe ihre Vorbildrolle sehr ernst nehmen und diese aktiv vorleben», sagt Guggisberg. Weiter hätten sich die Ansprüche verändert. Gerade die jüngeren Generationen würden einen höheren Wert auf flexible Arbeitszeiten und Homeoffice legen. In Gastroberufen gestalte sich dies jedoch schwierig. Das schlägt sich in den Statistiken nieder: Gemäss Nahtstellenbarometer vom August 2023 blieben landesweit 26 Prozent der Lehrstellen im Gast­gewerbe unbesetzt.

1200 unbesetzte Lehrstellen

Aktuell gibt es im Kanton Bern ungefähr 28 000 Lehrverträge. Etwa 90 Prozent der Lernenden absolvieren eine EFZ-Lehre, sprich eine drei- oder vierjährige berufliche Grundbildung.

Die Berufslehre ist bis heute die mit Abstand häufigste Anschlusslösung für Jugendliche im Kanton: Zwischen 52 und 53 Prozent der Schulabgängerinnen und Schulabgänger wählten in den vergangenen sechs Jahren den Berufseinstieg. Für das Gymnasium – zweithäufigster Weg nach der 9. Klasse – entschieden sich im gleichen Zeitraum zwischen 22 und 24 Prozent der Jugendlichen. 

Dennoch blieben einige Lehrbetriebe auf der Strecke: Anfang August letzten Jahres waren kantonsweit 1258 Lehrstellen unbesetzt, wie die ­Bildungs- und Kulturdirektion auf ­Medienanfrage mitteilte. 

Medien schlagen Baubranche

Ob ein Betrieb seine Lehrstellen erfolgreich besetzen könne, hänge von verschiedenen Faktoren ab, sagt Christoph Düby. Er ist Leiter der Abteilung Betriebliche Bildung des kantonalen Mittelschul- und Berufsbildungsamtes. «Beispielsweise liegen manche Betriebe in einem geografisch vorteilhafteren Gebiet, wo auch mehr Jugendliche leben.» 

Marketing und eine gezielte Auseinandersetzung mit der jugendlichen Zielgruppe seien weitere Einflussfaktoren. Darüber hinaus gebe es Unterschiede zwischen den Branchen: «Zum Beispiel sind die Berufe Mediamatiker oder Grafiker zurzeit sehr beliebt». Währenddessen gebe es Berufe im Bauhaupt- und -nebengewerbe, die aktuell etwas weniger populär seien.

Wichtig sei vor allem, dass die Betriebe sich gut um ihre Lernenden kümmerten, erklärt Düby. Denn das spreche sich herum: «Und zwar nicht nur bei den Eltern, sondern auch unter Gleichaltrigen.» Auf diese Weise könne ein Betrieb sein eigenes Image und sogar das der jeweiligen Branche verbessern. 

Neuer Februar-Höchststand

Die Abteilung, welche Düby leitet, ist mitunter für die Lehrbetriebe, die überbetrieblichen Kurse und alle Lehrverträge im Kanton zuständig. Lehrverträge werden jährlich etwa 10 000 neu abgeschlossen: eine Zahl, die sich in den vergangenen Jahren wenig veränderte, wie der Blick in die Bildungsstatistik zeigt. Bis Ende Februar dieses Jahres wurden 5198 Lehrverträge für den Lehrstart im Sommer 2024 abgeschlossen. Damit habe die Abteilung Betriebliche Bildung dieses Jahr gar einen neuen Höchststand verzeichnet. 

Verändert habe sich jedoch auch die Abbruchquote. Diese sei in den vergangenen Jahren immer leicht gestiegen: «Lehrvertragsauflösungen sollten möglichst vermieden werden, da sie für Lernende wie auch für Lehrbetriebe bedauerlich sind.» Wichtig sei auch, dass es im Kanton Bern künftig weiterhin genügend Lehrstellen gebe. Nicht zuletzt würden viele Karrierewege zeigen: «Die Berufslehre kann ebenso zum Ziel führen wie das Gymnasium.»

Für Guggisberg sei wichtig, auch Eltern und Lehrkräften den Wert und die Vorteile des Modells Berufslehre klarzumachen. Das gleiche Ziel lässt auch die Website von «Rendez-vous Jobs» verlauten. Der Event fand dieses Jahr zum vierten Mal statt. Ihr Ziel, Jugendliche für die Berufslehre zu begeistern, haben die Veranstalter beim «einzig wahren Koch» schon einmal erreicht.


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