Anzeige
«Ohne euch können wir zumachen!»
Am Montag fanden die Stadtberner KMU zusammen, um auf das vergangene Jahr zu blicken — und einen besonderen Preis zu vergeben.
Eigentlich war das vergangene Jahr ein gutes Jahr für die Wirtschaft. Trotz Krieg und Krisen, trotz Inflation und der hohen Rohstoffpreise, wächst sie – weltweit, aber auch in der Schweiz.
Die Zeichen stimmten zuversichtlich, schreibt der Gewerbeverband KMU Stadt Bern in seinem Jahresbericht. Und obwohl so vieles falsch zu laufen scheint, berichteten die meisten Branchen von einem normalen Geschäftsgang. Für den Verband ein klares Zeichen: Die «stark KMU-geprägte reale Gesamtwirtschaft» im Kanton Bern zeige sich entgegen aller Widrigkeiten intakt und widerstandsfähig.
Trotzdem will Verbandspräsident Peter Steck an diesem Montagabend im Casino Bern nicht so wirklich zufrieden wirken. Ein Jahr ist es her, dass er die Nachfolge von Thomas Balmer angetreten ist. Nun steht er vor der Mitgliederversammlung und blickt zurück. In diesem Jahr sei ihm eines erst richtig bewusst geworden, sagt Steck: «Wie wenig bekannt das Gewerbe in der Stadt mit seinem Nutzen und seinen Problemen ist.»
Gewerbe in der Stadtpolitik zu wenig sichtbar
Er könne es der Politik zwar kaum übelnehmen, so Steck. Schliesslich seien die meisten Politikerinnen und Politiker akademisch oder kaufmännisch ausgebildet und hätten wenig Verständnis für das laute, produzierende Gewerbe. Es sei ein steter Kampf gegen die Behinderung und Verhinderung des Gewerbes, den er selbst im Weyermannshaus West erlebe; die Debatten um Parkplätze und Flächen zum Ein- und Ausladen, um günstige Gewerbeflächen in der Stadt, um den Platz des Wirtschaftsverkehrs, der viel zu oft mit dem motorisierten Individualverkehr in einen Topf geworfen werde.
Schwarzmalen will Steck aber auch nicht. Man sei stets im Gespräch mit der Stadt, werde zunehmend auch als Partner auf Augenhöhe mit einbezogen. Er wolle weiter den Dialog suchen, sagt Steck. Es sei wichtig, dass das Gewerbe sich selbst sichtbar mache. Denn: «Von alleine wird die Politik uns nicht wahrnehmen.»
Wichtiger ist an diesem Abend ohnehin der inoffizielle Teil der Versammlung. Dazu gehört die Verleihung des begehrten «Gewerbebären», mit welchem ausserordentliches Engagement für das Berner Gewerbe geehrt wird. In diesem Jahr wird er an Adrian Ruprecht verliehen, den abtretenden Rektor der Berufsfachschule des Detailhandels Bern, kurz «bsd».
Ein Bär der Anerkennung
Ruprecht hat einen abwechslungsreichen Werdegang hinter sich: Nach seiner Ausbildung zum Drogisten habe er eigentlich genug von der Schule gehabt, stieg aber bald wieder aus dem Beruf aus. Er wurde Ernährungsberater, widmete sich danach der Betriebswirtschaft und arbeitete für verschiedene Berufsverbände, insbesondere in der Berufsbildung. Schliesslich sollte es ihn doch an die Schulen zurückziehen: In den 80er-Jahren begann er, selbst an Berufsschulen zu unterrichten. Ab der Jahrtausendwende wirkte er in der «bsd»-Leitung mit, ab 2010 als Rektor. Er prägte die Schule über Jahrzehnte mit und wurde für viele zum Gesicht der Berufsbildung in Bern.
Grosser Applaus zur Preisverleihung, Ruprecht strahlt. Es sei ihm eine Ehre, einen solchen Preis empfangen und sich seinerseits bedanken zu dürfen. Er habe sich lange gefragt, ob dieser Bär wirklich zu ihm passe. Und er sei zum Schluss gekommen, dass die Haltung des Bären mit den erhobenen Tatzen ihm durchaus entspreche. Es sei eine Haltung der Anerkennung, die
er den Anwesenden gegenüber ausdrücken wolle, sagt Ruprecht: «Ihr als Arbeitgeber seid unsere Auftraggeber – ohne euch könnten wir unsere Schulen schliessen.»
Umso mehr müsse das Gewerbe in der Stadt sichtbar bleiben. Denn wo es unsichtbar werde, könne auch keine Faszination mehr für diese Berufe unter jungen Menschen entstehen.
«Die ältere Generation muss ihr Mindset ändern»
Die Nachfolge bleibt denn auch Thema an diesem Abend. Denn gerade KMU-Übernahmen scheitern selten daran, dass sich keine jungen Nachfolger finden liessen. Sondern, weil Emotionen im Weg stünden, erklären Karl Zimmermann und Rudolf P. Winzenried vom KMU Nachfolgezentrum in ihrem Gastreferat. Sie begleiten seit Jahren hunderte von Übergaben.
Gerade auf der Seite der Übergebenden werde oft unterschätzt, wie sehr man am eigenen Betrieb hänge, erklären die beiden in ihrem Gastreferat. Gerade die ältere Generation müsse ihr Mindset ändern, sagt Karl Zimmermann. Denn sie habe die Erfahrung, die den Übernehmenden noch fehle – und damit auch mehr Verantwortung. Wer ein Unternehmen übergeben wolle, müsse einen «Plan B» für die Zeit danach haben. Ansonsten breche ein grosser Teil der eigenen Identität weg. Das wiederum schaffe Konflikte, welche die Übergabe erschwere. Dabei reiche es oft, wenn sich die Älteren in die Jungen hineinzuversetzen versuchten. Denn, so die beiden Experten: «Früher standen sie am genau selben Punkt.»