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Die Suche nach dem nächsten grossen Coup

Start-up-Gründer haben eine Idee, aber kein Geld. «Aare-Ventures» bringt sie mit Investoren zusammen – der Traum vom grossen Geschäft verbindet. Ein Besuch bei «Höhle der Löwen light».

| Léonie Hagen | Wirtschaft
Start-up-Gründer im Gespräch mit Investoren.
Nach dem «Pitch» beginnt für die Start-up-Gründer der wichtige Teil der Veranstaltung: Die Gespräche mit potenziellen Investoren. Foto: Inga Ott

«Investiert nur, was ihr auch verlieren könnt» – der Satz leuchtet in grossen Buchstaben auf der Projektionsfläche hinter Eric Postler, Vorstandsmitglied von «Aare Ventures». Man übernehme wie immer keine Verantwortung für Erfolge oder Altlasten der vorgestellten Start-ups, sagt er und lacht verhalten. 

Dieser Satz ist der übliche «Disclaimer»; ein Dementi, das auch aus einem Casino stammen könnte. Das wäre gar nicht so weit daneben: Mit etwas Glück können sich die vorstelligen Start-ups an diesem Abend in der Berner Eventfabrik Beiträge in Millionenhöhe sichern. 

Zwölf Start-ups haben einen Platz ergattert. Fünf davon dürfen sich drei Minuten lang vorstellen und anschliessend Fragen aus dem Publikum beantworten. Fünf weitere sind Teil der Schnellrunde: Dreissig Sekunden lang dürfen sie ihre Idee präsentieren, oder «pitchen», wie es hier heisst. Dann teilen die Investoren im Publikum per Online-Umfrage anonym mit, an welchen Unternehmen sie interessiert sind. Willkommen in der «Höhle der Löwen light», sagt Jürg Schwarzenbach auf der Bühne. 

Förderung durch «Geschäftsengel» statt den Staat

Der Übername kommt nicht von ungefähr: Schwarzenbach, Präsident von «Aare Ventures», ist Juror bei der Fernsehsendung «Höhle der Löwen». 

«Aare Ventures» organisiert das Vernetzungstreffen in der Eventfabrik. Vernetzung ist das Kerngeschäft des Vereins: Er will Start-ups mit sogenannten «Business Angels» verbinden. Mit «Geschäftsengeln», privaten Investoren, die sich schon früh an einem Unternehmen beteiligen, wenn die Risiken noch riesig und die Erfolgschancen offen sind. Vor allem aber unterstützen diese «Engel» junge Unternehmen mit ihren Erfahrungen und ihren Kontakten. Ein Segen für Start-ups, die in der Regel nicht nur unterfinanziert, sondern auch «undermanaged» sind. 

Schwarzenbach, selbst gelernter Elektromonteur, stieg in den 1990er-Jahren mit der Firmengruppe DELEC in die IT-Branche ein. 2005 übernahm ein deutscher Konzern die Firma, Schwarzenbach fand sich als Millionär wieder. Seither investiert er hauptberuflich in Unternehmen, vornehmlich KMU und Start-ups, mit Vorliebe in der Region Bern.

Schwarzenbach gilt als bodenständiges Vorbild, nimmt sich auch an solchen Abenden lange Zeit, um jungen Unternehmern mit grossen Ideen zuzuhören. Er hat sich in der Standortförderung einen Namen gemacht, eine Coaching-Agentur für junge Unternehmen gegründet, die heute Teil der kantonalen Innovationsförderstelle ist. 

Zentraler als staatliche Unterstützung bleiben aber privatwirtschaftliche Investitionen. Auch in dieser Hinsicht hat sich die Berner Start-up-Szene im letzten Jahrzehnt verändert, ist in Gang gekommen. Obwohl der Kanton Bern nicht gerade für unternehmerisches Denken bekannt ist.

Die Start-up-Szene verkörpert diese Ideale besonders bildhaft: Sie steht für Innovation und Risikofreude, für den steilen Aufstieg des Tellerwäschers, der im richtigen Moment entgegen aller Risiken an die richtige Idee glaubt und kurz darauf im Geld schwimmt. Dafür, dass seine Karriere nicht nur ihn, sondern auch die Wirtschaft und Gesellschaft weiterbringt. 

Darauf hoffen auch die «Founders», die an diesem Abend nacheinander auf die Bühne treten. Sie verkaufen ihre Pläne, vom Kinderkleiderverleih über Handsolarzellen und Kokosplatten zu kleinformatigen Windturbinen, die gleich viel Strom erzeugen sollen wie ihre grossen Gegenstücke. Mal stehen zwei junge Mütter auf der Bühne, mal eine Studentengruppe, mal ein über 50-jähriger Herr, der ein Bild seiner Familie zeigt: «Meine Mom und mein Dad» seien als Maschinenbauer fester Bestandteil des Unternehmens. 

Die meisten Start-ups reisen aus anderen Kantonen an

Die «Pitches» folgen alle demselben Muster: Erst beschreibt man das Kernproblem. Dabei geht es auch um eine gute Inszenierung – egal, wie gross das Problem tatsächlich ist. Darauf folgt die eigene Lösung (einfach und knackig); die eigene Einzigartigkeit (auch, wenn sie nur im Detail liegen mag); das Wachstumspotenzial (riesig); schliesslich die gewünschte Summe für die kommende Finanzierungsrunde.

An diesem Abend bitten die Start-ups um Beträge von einer halben bis zwei Millionen. Ihre möglichen Gewinne schätzen sie teilweise in Milliardenhöhe. Das Publikum klatscht höflich. 

Die eigentlichen Verhandlungen beginnen erst mit dem Ende des offiziellen Teils. Dann ist das grosse Händeschütteln eröffnet. Ob Jürg, Eric oder «Fränzi von der AXA»: Die Vornamen sind auf den Namensklebern grossgedruckt, das Duzen explizit erwünscht.

Die Interessen sind schnell klar: Die Tische mit Prospekten für Kokosplatten, Uhrenverbesserungen und revolutionierten Salatanbau stehen leer da, während sich die «Engel» um die Tische der Energie-Start-ups scharen. Von dem Dutzend Start-ups liegen gerade einmal zwei im Kanton Bern. Schade, sagt jemand. Aber man könne halt auch privat nur das fördern, was auch da sei.

Der Kanton Bern hat zwar seine eigenen Stärken. Gerade im Bereich der Präzisions- und Uhrenindustrie oder in der Medizinaltechnik entstehen auch hier zahlreiche junge Unternehmen. Es sind zwar nicht so viele wie in anderen Kantonen. Doch auch hier scheint die Berner Einstellung durch: Klein, aber fein. Langsam, aber sicher.

Doch so sehr die Start-up-Szene unternehmerische Qualitäten idealisiert, so deutlich zeigt sich der Graben zur Realität. Das Glücksspiel gilt für beide Seiten: Je grösser die Idee, desto tiefer der Fall, auch für die Investoren. Die grosse Mehrheit der Start-ups schafft es nie über ihren fünften Jahrestag hinaus; das investierte Geld geht flöten.

Alle hoffen, die grosse Ausnahme zu werden. Doch auch von jenen, die es schaffen, fallen die Wenigsten gesamtwirtschaftlich ins Gewicht. Viele werden von einer grösseren Firma im In- oder Ausland aufgekauft, oder sie bleiben kleine bis mittlere Unternehmen. Auch, wenn Bern für Start-ups attraktiver werden sollte, dürfte das an der wirtschaftlichen Struktur des Kantons wenig bis nichts ändern. 

An diesem Abend scheint es wenig Überflieger zu geben. Auch definitive Zusagen gibt es noch nicht. Anders als in der «Höhle der Löwen» ist am Ende dieses Abends noch lange nicht klar, wer gewinnt. Ohne wohlgesinnte «Engel» geht es nicht. Doch wer es schaffen will, muss im Kanton Bern vor allem selbst ran. 

 

Klein, aber fein – vier Berner Start-ups, die es wissen wollen

In Bern gibt es zwar weniger Start-ups als in anderen Kantonen. Dafür sind sie umso vielfältiger. Wir stellen Ihnen vier junge Unternehmen vor. 

Yuon Control will effizienter heizen – in einzelnen Gebäuden, aber auch über gesamte Fernwärmenetze hinweg. Dafür hat das Startup eine intelligente Heizungssteuerung entwickelt, welche die nötige Heizenergie für ein System vorausschauend ermittelt und automatisch optimiert. Damit reduziere man den Energiebedarf um etwa einen Viertel, so die Gründer. Gegründet: 2020. Standort: Oberburg. 

Naturloop will Holz als beliebtes Baumaterial ersetzen und so Abholzung und giftige Klebstoffe vermeiden. Als Alternative soll stattdessen ein Kokosmaterial dienen, das aus Reststoffen der Kokosproduktion entsteht und mit natürlichen Klebstoffen verbunden werden kann. Die Produktion soll ähnlich viel kosten wie die Holzproduktion in Europa – und trotz Flugtransport nur einen Zehntel des CO2-Abdrucks verursachen. Gegründet: 2020. Standort: Biel.

Aseptuva will Infektionen bei Operationen im Spital verhindern. Dafür entwickelt das Startup Desinfektionsgeräte für verschiedene Katheter, welche direkt am Ansatz (an der Haut) angewendet werden. Damit senke man die Komplikationsrate und mit ihr die Aufenthaltsdauer im Spital und Kosten. Gegründet: 2019. Standorte: Bern/Zürich/Cambridge.

Peerdom will Unternehmen und Organisationen dabei helfen, dynamischer zu werden. Das Personal soll zum unternehmerischen Mitdenken ermuntert werden. Dafür bietet Peerdom interaktive Karten an. Diese führen neben dem Aufbau einer Organisation auch die Profile und Rollen
ihrer Mitarbeitenden auf. So sollen Entscheide schneller und unbürokratischer werden. Gegründet: 2021. Standort: Wabern/Köniz.


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