Anzeige
Forschung mit rätselhaften Teilchen
Das DUNE-Forschungsprojekt in den USA soll die Geheimnisse der Neutrino-Elementarteilchen entschlüsseln. Die Universität Bern ist am Projekt beteiligt. Teilchenphysiker Michele Weber erklärt, was die Neutrinos mit der Entstehung des Universums zu tun haben.
Herr Weber, was versuchen Sie herauszufinden?
Meine Forschung beschäftigt sich mit Neutrinos. Neutrinos sind Elementarteilchen, die überall in unserem Universum vorkommen. Wir wollen herausfinden, ob und was diese Neutrinos über die Entstehung des Universums aussagen können. Das untersuchen wir, indem wir diese Neutrinos im Labor messen. Das ist extrem schwierig, denn obwohl es sehr viele dieser Neutrinos gibt, wechselwirken sie kaum mit Materie. Deshalb brauchen wir ausgeklügelte Detektorsysteme und auch Labore, in denen wir sehr viele dieser Neutrinos erzeugen können.
Wieso ist das aus wissenschaftlicher Sicht wichtig?
Neutrinos sind noch relativ unerforscht. Wir wissen aber, dass es verschiedene Typen von Neutrinos gibt: wenn man sie von einem Ort durch die Erdkruste an einen anderen Ort schiesst, können sie unterwegs ihren Typ ändern. Und das machen sie auch auf unterschiedliche Art und Weise, abhängig davon, ob es Neutrinos sind, oder ihre Antiteilchen – die Antineutrinos. Deshalb gehen wir davon aus, dass sie eine Rolle dabei spielen, wie sich Materie und Antimaterie bei der Entstehung des Universums verhalten haben. Wir glauben, dass am Anfang des Universums gleich viel Materie und Antimaterie entstanden ist, und dass eigentlich alles zusammen hätte vernichtet worden sein müssen. Aber offensichtlich ist etwas Materie übrig geblieben. Die Neutrinos könnten also fundamentale Fragen beantworten: Warum gibt es uns überhaupt? Warum gibt es das Sonnensystem? Und überhaupt alle Planeten und Sterne im Universum?
Was für ein Nutzen für die Gesellschaft könnte daraus resultieren?
Bei der Neutrinoforschung geht es um Grundlagenforschung, also darum, Erkenntnisse über die grundlegenden Naturgesetze zu gewinnen. Es geht weniger darum, konkrete Probleme zu lösen, die wir heute haben. Aber mit diesem besseren und grundlegenderen Verständnis der Natur und des Universums können wir vielleicht Probleme dereinst angehen, für die wir heute noch keine Lösung haben.
Man kann das vielleicht mit der Quantentheorie vergleichen. Sie ist vor 100 Jahren entwickelt worden, aber damals hat noch niemand daran gedacht, dass sie uns in den 2000er-Jahren dabei helfen würde, Solarzellen zu bauen, um das Energieproblem zu lösen.
Was fasziniert Sie persönlich an diesem Forschungsprojekt?
Was mich an diesem Forschungsprojekt am meisten fasziniert, ist, dass wir 3D-Bilder mit einer sehr guten Auflösung machen von einem Teilchen, das eigentlich so gut wie keine Wechselwirkung hat. Wir entwickeln hier an der Universität Bern im Labor einen Detektor und dann stellen wir ihn in einen Strahl von Neutrinos und sehen tatsächlich, wie diese Teilchen wechselwirken. Und damit lernen wir Fundamentales über das Universum und die Natur.
Welches ist die grösste Herausforderung?
Die Herausforderungen bei diesem Projekt sind zahlreich und gross. Umso schöner ist es, wenn es funktioniert. Und das scheint bei unseren Anwendungen beim DUNE-Experiment in den USA der Fall zu sein. Die Herausforderungen sind einerseits technischer Natur: wir brauchen extrem hohe Spannungen und für den Detektor extrem reines flüssiges Argon. Das packen wir in einen Tank, der anderthalb Kilometer unter der Erde betrieben werden muss.
Bei solchen Experimenten gibt es aber auch Probleme mit den Zeitskalen. Die Entwicklung der Technologie dauert Jahrzehnte. Der Bau eines solchen Detektors dauert nochmals mindestens 10 Jahre, und dann betreiben wir ihn 10 oder 15 Jahre.
Schliesslich gibt es auch Herausforderungen geopolitischer Natur. Grosse globale Experimente sind nur möglich, wenn man die besten Expertinnen und Experten aus der ganzen Welt zusammenbringen kann. Dabei ist man natürlich nicht immun gegen geopolitische Ereignisse, wie die jüngste Vergangenheit gezeigt hat.
Wie ist das Forschungsprojekt finanziert?
Das Projekt wird hauptsächlich von öffentlichen Geldgebern finanziert, aus der Schweiz und zu einem grösseren Teil aus internationalen Quellen. Da kein direktes kommerzielles Interesse besteht, sind die Einnahmen aus dem privaten Sektor geringer.
Die Kosten bestehen aufgrund der sehr langen Projektzeit zu einem grossen Teil aus Personalkosten. Bei diesem Personal handelt es sich zum grössten Teil um Studierende, Doktorierende und Postdocs, also junge, angehende Forscherinnen und Forscher, die an diesem Projekt arbeiten. Es ist also auch eine Investition in die nächste Generation von Forschenden, die hier grundlegende Erkenntnisse gewinnen.
Michele Weber
Michele Weber ist Professor für experimentelle Teilchenphysik und Direktor des Laboratoriums für Hochenergiephysik (LHEP) der Universität Bern. Weber ist zudem Leiter der Berner DUNE-Gruppe. DUNE ist ein internationales Experiment am Teilchenphysik-Forschungszentrum Fermilab nahe Chicago (USA), an dem mehr als 1000 Forschende aus über 30 Ländern beteiligt sind. DUNE wird Neutrino-Wechselwirkungen untersuchen, indem Neutrinos unter der Erde zu 1300 Kilometer entfernten Detektoren am Sanford Lab in South Dakota geschickt werden. Die Universität Bern steuert die Hauptkomponente eines Neutrinodetektors bei.