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Die Ausgebeuteten nebenan

Mitten unter uns leben versklavte Menschen, schreibt «Anzeiger»-Kolumnist Peter Stämpfli. Sie arbeiten in Nagelstudios oder in Bordellen. Wer solche Dienste in Anspruch nehme und Hinweise auf fragwürdige Bedingungen erhalte, so Stämpfli, sei in der Verantwortung, dies den Behörden zu melden.

| Peter Stämpfli | Gesellschaft
Peter Stämpfli. Foto: zvg
Peter Stämpfli. Foto: zvg

Es ist eine Welt, die die weitaus meisten von uns nur vom Hören-Sagen kennen, wenn überhaupt. Doch es ist eine Welt gleich um die Ecke, eine mitten unter uns: die Welt der gehandelten und versklavten Menschen. Die Uno rechnet weltweit mit über 40 Millionen Menschen, die als moderne Sklaven gehalten werden. Fast 5 Millionen werden sexuell ausgebeutet, davon über 90 Prozent Frauen. Der Menschenhandel ist ein illegales Milliardengeschäft, eines der grössten weltweit, vergleichbar mit dem Drogenhandel. Die Sklaven finden sich in der Fischerei, auf Grossbaustellen, im Sexgewerbe, in Nagelstudios und in Haushalten, um nur einige zu nennen. 

Auch in der Schweiz leben gehandelte Menschen, die unter sklavenähnlichen Bedingungen arbeiten müssen: in Nagelstudios, in Haushalten, im Sexgewerbe. Die Uno rechnet mit 11 000 Menschen. Naturgemäss ist diese Zahl statistisch vage. Könnte sie genau berechnet werden, wüsste man von allen Fällen und könnte entsprechend handeln. Doch der Menschenhandel und die moderne Sklaverei liegen verborgen, leben vom Schweigen, vom Verschieben der Menschen von Stadt zu Stadt, von Land zu Land. Gehandelte und versklavte Menschen sind vielseitig bedroht. Meist aus ärmsten Verhältnissen stammend, werden sie durch kriminelle Angebote in ein verheissungsvolles Leben gelockt, müssen sich verschulden, werden an Leib und Leben bedroht, wissen, dass wenn sie auffliegen, die Menschenhändler ihnen auf der Spur bleiben. Meist kennen sie ihre Rechte nicht und haben kein Vertrauen, sich bei der Polizei zu melden, sei es aus Furcht vor weiteren Repressalien der Täter gegenüber ihnen oder gegenüber den Familien zu Hause. Oder auch aus Furcht vor Abschiebung. 

Menschenhandel und Ausbeutung werden von der Organisierten Kriminalität beherrscht und von tausenden Bürgerinnen und Bürgern genutzt. Es ist eine Welt, von der und in der sehr viele viel verdienen oder sich persönliche Vorteile herausnehmen. Wer (zu) billige Dienstleistungen in einem Nagelstudio in Anspruch nimmt, nimmt auch die Ausbeutung von Menschen in Kauf, wie «Der Bund» kürzlich eindrücklich dargestellt hat. Freier können erkennen, unter welchen Bedingungen Prostituierte arbeiten müssen, sie haben eine direkte Verantwortung für ihr Tun und die Folgen für die Ausgebeuteten. 

Die Schweizer Behörden und die Polizei kennen die Problematik und es wird einiges getan, um den Opfern zu helfen und die Ausbeutung zu verhindern. Doch fällt bei der Lektüre vieler Artikel über den Menschenhandel auf (an Artikeln und Berichten fehlt es wahrlich nicht), dass mehr ­Zusammenarbeit zwischen den Kantonen und ein verbesserter Opferschutz gefordert wird. Das darf aber nicht als Entschuldigung gelten, selbst nichts zu tun, denn die Versklavten leben auch hier in Bern unter uns, verdeckt zwar, aber schlussendlich erkennbar. Zumindest von denen, die die Dienste der Ausgebeuteten in Anspruch nehmen. 

Zur Person:

Peter Stämpfli leitet zusammen mit seinem Bruder die Stämpfli Gruppe, Verlags- und Kommunikationsunternehmen, in Bern. Er engagiert sich für wirtschafts- und ­sozialpolitische Anliegen, u. a. als Präsident der Unternehmergruppe Fokus Bern.


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