Anzeige
Mehr als nur Geburtshilfe
Der Beruf der Hebamme umfasst weit mehr, als viele annehmen. Im Gespräch mit Hebamme Anna Frei beschreibt sie die Unterstützung von werdenden Müttern von der Schwangerschaft, der Geburtsvorbereitung über die Geburt bis hin zum Wochenbett.
Anna Frei kann sich noch genau an die erste Geburt erinnern, die sie geleitet hat. Sie wusste: «Jetzt habe ich die Hauptverantwortung.» Eine herausfordernde Situation, die für Frei zum Glück reibungslos verlief.
Jährlich werden in der Schweiz fast 80 000 Kinder geboren. Dabei werden Hebammen immer wichtiger: Immer mehr Deutschschweizer Spitäler bieten eine hebammengeleitete Geburt an. Heute gibt es in der Schweiz über 3300 Hebammen im Schweizerischen Hebammenverband. Eine von ihnen ist Frei.
Der Beruf wird von vielen ausschliesslich mit der Geburt assoziiert. Doch die Tätigkeit umfasst weit mehr als nur den Augenblick der Geburt. Die Betreuung kann bereits bei der Schwangerschaft durch Vorsorgeuntersuchungen beginnen, wie die 34-jährige selbstständige Hebamme erklärt.
Empathie, Vertrauen und Fachkompetenz sind für Frei das Fundament ihrer Arbeit. Ihren Weg zur Hebamme hat sie schnell gefunden. Ursprünglich ausgebildet als Drogistin, fand sie ihre Berufung in der Begleitung schwangerer Frauen, deren Partner oder Partnerinnen und Familien. Ein Vorpraktikum im Gebärsaal begeisterte sie zur Geburtshilfe, und seitdem hat sie sich kontinuierlich weitergebildet und spezialisiert.
Hebamme Anna Frei. Foto: Alexander Scheuner
Vorbereitung auf die Geburt
In der Phase der Geburtsvorbereitung schafft Frei bei den werdenden Eltern ein Verständnis für den bevorstehenden Prozess. Dazu geht sie zu den Paaren nach Hause, ein intimes Erlebnis. Dabei müssen die Hebammen achtsam sein, sagt Frei. Durch Kurse und persönliche Beratung vermittelt sie nicht nur theoretisches Wissen, sondern auch praktische Strategien, um die Paare auf die Geburt vorzubereiten. «Ich zeige Bilder, um den Geburtsprozess genau zu beschreiben», sagt Frei. Somit wüssten die Paare immer, wo sie sich gerade auf ihrem Weg befinden. Dieses Wissen schaffe Sicherheit. Dadurch könne die werdende Mutter Vertrauen zu sich und dem Prozess schaffen.
Mit den Wellen – nicht dagegen
Wenn der Moment der Geburt gekommen ist, steht Frei an der Seite der werdenden Eltern, um sie zu begleiten. «Das Spezielle an einer Geburt ist, dass es kein Zurück mehr gibt, sobald es losgegangen ist.» Als Hebamme stehe man nicht im Zentrum des Geschehens, müsse aber trotzdem die Situation navigieren und überblicken.
Die richtige Vorbereitung auf die Geburt erleichtere das Erlebnis entscheidend. «Es ist für die Frau schwierig, dass sie durch die Schwangerschaft hindurch bewahren muss und dann bei der Geburt loslassen soll», sagt Frei. Während der Schwangerschaft besteht eine Sorge, dass das Kind zu früh zur Welt kommen könnte. Bei der Geburt muss die Frau umschalten und die Geburt zulassen. Das sei wie die Wellenbewegungen des Meeres. «Man kommt weiter, wenn man mit den Wellen mitschwimmt und nicht dagegen ankämpft», sagt Frei.
Für Frei gehört der erste Atemzug eines Kindes zu den eindrucksvollsten Momenten ihres Berufs. Dabei kann Frei das Kennenlernen zwischen Eltern und Kind begleiten.
Frische Mamis und Papis
Bei der Wochenbettbetreuung besucht Frei die Familien zu Hause, um die Gesundheit des Kindes und der Mutter zu überwachen. Dabei spielt auch das Umfeld eine zentrale Rolle. Ältere Kinder oder auch der Partner erhalten Unterstützung durch Frei.
Das Umfeld der neuen Mutter übernimmt eine tragende Rolle nach der Geburt. Frei betont die Bedeutung von Gemeinschaft bei der Unterstützung von werdenden Eltern.
Auch als erfahrene Hebamme ist Frei dankbar für den Austausch mit anderen Hebammen und Organisationen. Das Nutzen von diversen Ressourcen sei wichtig. Da stehe das interdisziplinäre Arbeiten im Vordergrund: «Man muss als Hebamme Frühwarnzeichen erkennen und in den richtigen Momenten auch abgeben können.»
Mutter sein auch ohne Kind
Der Umgang mit dem Verlust eines Kindes ist eine der grössten Herausforderungen, denen eine Hebamme begegnet. Frei bietet den betroffenen Eltern einen sicheren Raum, um ihre Trauer auszudrücken, und unterstützt sie dabei, Wege zu finden, um mit ihrem Verlust umzugehen. Dabei ist es ihr wichtig, dass auch Mütter, die ihr Kind verloren haben, nach dem Ereignis betreut werden. Auch sie seien Mütter, denn sie hätten sich bereits auf die Rolle eingestellt und eine Beziehung zu ihrem Ungeborenen aufgebaut.
Den Verlust zu navigieren sei nicht einfach, denn Fehlgeburt und Kindestod seien immer noch grosse Tabu-Themen in der Gesellschaft. «Wenn du etwas kennenlernst, besteht die Möglichkeit, es zu verabschieden», sagt Frei. Das heisst, dass es hilfreich sein kann – egal wie kurz die Zeitspanne war – diesem Abschiedsprozess Raum und Zeit zu schenken und die trauernden Eltern darin zu unterstützen. «Wichtig ist hierbei die Individualität der Bedürfnisse, denn ein Allheilrezpet gibt es nicht», sagt Frei.