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«Ich bin für wilde Kunst und langweilige Politik»

Bremgartens Gemeindepräsident Andreas Schwab sieht sich nicht als klassischen Künstler oder Politiker. Sein neues Buch behandelt die Welt der Bohème und steht im Kontrast zu seinem bürgerlichen Leben.

| Linda Pfanner | Gesellschaft
Gemeindepräsident und Schriftsteller Andreas Schwab mit Katze Jimmy. Foto: Annatina Blaser
Gemeindepräsident und Schriftsteller Andreas Schwab mit Katze Jimmy. Foto: Annatina Blaser

Andreas Schwab, der Gemeindepräsident von Bremgarten, beschäftigt sich gerade mit der Planung der Sanierung des Gemeindezentrums, neuen Verkehrskonzepten, Abwasserfragen und dem Projekt zur Dorfbelebung. Er tut also Dinge, die Gemeindepräsidenten so tun. 

Schwab, der für sein Amt rund 30 bis 40 Prozent seiner Arbeitszeit aufwendet, tut aber solche Dinge nur vormittags. Am Nachmittag taucht der Gemeindepräsident ab in die wilde Welt der randständigen Künstlerinnen und Aussteiger ein; schreibt über Freundschaft, Rausch, das Leben in der Grossstadt und Geschlechterrollen. Sein jüngstes Werk, «Freiheit, Rausch und schwarze Katzen», erschien im Februar und behandelt die Bohème.

Politik und Kultur

Wie kombiniert sich das Schreiben über wilde Künstlerinnen und Künstler mit der gewissenhaften Arbeit in der bürgerlichen Vorortsgemeinde? Steckt ein wenig Boheme im Gemeindepräsidenten? 

Wir besuchen ihn in der Ateliergemeinschaft Qfaktur im Stadtberner Alternativquartier Lorraine. Das Atelier hat keine Klingel, «einfach eintreten ins Hochparterre», erklärte Schwab vor dem Treffen. Stolz zeigt er sein Büro im Atelier und stellt die anderen Kulturschaffenden vor Ort vor. Wie meistens, sind auch heute nicht alle zur selben Zeit da. Im Gemeinschaftsraum blättert Schwab durch sein eben erschienenes Buch. «Es ist das Schönste bis jetzt», sagt er. Das Titelbild mit der schwarzen Katze und dem Weinglas hat er für das Foto im Anzeiger so gut wie möglich nachgestellt. Das eigenwillige Tier Jimmy brauchte ein paar Anläufe, bevor das Bild gelang. 

An der Wand hängen Einladungskarten für die Sommerfeste der Qfaktur, die alle von Personen aus dem Atelier geschaffen wurden. Der Anstoss zu dieser kleinen Ausstellung kam von Schwab. Neben seiner Tätigkeit als Gemeindepräsident arbeitet Schwab auch als Kurator. Im Moment kuratiert er den Erlebnisweg «Peters Insel-Weg» und ist zudem für das jüdisch-christliche Projekt «Doppeltür» in Lengnau und Endingen (AG) kuratorisch tätig. 

Parallelen zu heute

Die Bohème war ein Kreis ungebundener Künstlerinnen und Künstler in verschiedenen europäischen Grossstädten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Die Subkultur setzte sich für ein erweitertes Spektrum der möglichen Verhaltensformen ein und stellten bürgerliche Werte wie Arbeit und Verdienst infrage. Wieso also beschäftigt sich Bremgartens Gemeindepräsident mit antiautoritären Künstlergruppierungen?

Die Themen der Bohème könne man auch auf die heutige Zeit beziehen. Der Zeitraum vor dem ersten Weltkrieg war geprägt von technischem Aufschwung und dem schnellen Wachstum der Grossstädte. «Da gibt es viele Parallelen», sagt Schwab «Ich bin ein Digitalimmigrant und habe den technischen Wandel unserer Zeit miterlebt. Meine erste E-Mail-Adresse hatte ich erst 1997.» Zudem seien viele Themen der Bohème, wie die Polyamorie, das unverheiratete Zusammenleben, Gleichstellungsfragen und hohe Individualisierung, noch heute aktuell. 

Schwab gendert konsequent in seiner Sprache und drückt sich mit Bedacht aus. «Die Diversität, die man heute anstrebt, wollte ich auch im Buch repräsentieren», sagt Schwab. Daher habe er darauf Wert gelegt, zur Hälfte weibliche Charaktere zu behandeln. Es war gar nicht so einfach, Geschichten über Frauen in der Bohème zu finden. «Man findet diese Frauen und man findet diese Geschichten. Die zu suchen, war sicher ein politischer Entscheid», sagt Schwab. Die Frauen der Bohème wurden innerhalb des Milieus oft nicht als vollständige Künstlerinnen angesehen. Sie hätten dadurch mehr zu kämpfen gehabt. Zur selben Zeit könne es auch ein Vorteil sein, nicht im Fokus zu stehen. Laut Schwab entstanden dadurch teilweise spannendere und bessere Werke.

Das bewegte Leben in den Grossstädten steht im Kontrast zum kleinen Bremgarten. Das Buch über die Bohème verkörpert für Schwab eine Sehnsucht nach dem grossen intellektuellen Leben der Grossstädte. «Sie haben etwas gemacht, das ich selbst nicht in dieser Weise auslebe», sagt Schwab. Ein aussenstehender Blickwinkel auf die Künstlerbewegung könne auch ein Vorteil sein. 

Schwab sieht sich selbst nicht als Künstler, eher als Kulturschaffender. Es sei eine kreative Leistung, ein Buch zu schreiben. «Ich bin ein Dokumentarkünstler mit politischem Anspruch», sagt Schwab. 

Als Gemeindepräsident erbringe man eine Dienstleistung für die Einwohnerinnen und Einwohner. «Als Politiker bin ich handfest», sagt Schwab. Da sollte man viel Menschlichkeit und Nähe zu den Leuten einbringen. Politik sei deshalb eine Teamarbeit. Das sei auch gut so. Das Schreiben ist für Schwab der Ausgleich dazu: «Da redet mir niemand rein und ich kann mich vollständig in meine Sache vertiefen.» Das Buch ist also ein Werk für sich selber, entstanden aus innerem Antrieb und nicht ausschliesslich für die öffentliche Resonanz.

Politik und künstlerisches Schaffen, sei in der Schweiz kombinierbar, beschreibt Schwab, da Politik in der Schweiz nicht nur von Verwaltungsmenschen und Profipolitikern ausgeübt werde. Er schätzt die Diversität in der lokalen Politik: «Ich bin sicher nicht der typische Gemeindepräsident, sondern ein spezieller Fall». Dank dem schweizerischen System fänden unterschiedliche Menschen den Zugang zur Politik. Diese Varietät sieht Schwab als Vorteil. 

Freiheitliche Gesellschaft

Schwabs Buch wurde von seiner Wertehaltung beeinflusst. Die Lebensart der Bohème hatte aber auch einen Einfluss auf seine Politik. Denn nur eine freiheitliche Gesellschaft lasse eine Bohème zu. Daher sollte man laut Schwab kritisch gegenüber Autoritäten sein und das System, welches wir im Westen haben, erhalten. «Deshalb bin ich kein Pazifist im engeren Sinn», sagt Schwab. 

Eine Gesellschaft solle Kunstschaffende hochschätzen und als Beispiel nehmen, sagt er. Schwab versucht sich politisch so zu verhalten. Umgekehrt findet er aber auch, dass Künstlerinnen und Künstler nicht die besseren Politiker wären. Er sei für «wilde Künstlerinnen und Künstler und langweilige Politik», die als Dienstleistung gesehen werden sollte, sagt Schwab. 

Langweilig heisse nicht, dass nichts verändert werde, sondern dass Politik verlässlich sein und im besten Fall Probleme lösen sollte. «Kultur ist ein gutes Korrektiv für die Politik», sagt Schwab, denn sie agiere als Spiegel der Gesellschaft. Eine freiheitliche Gesellschaft unterstütze ihre Kulturschaffenden und lasse unterschiedliche Meinungen zu. Das beste Gegenbeispiel seien Russland oder China, wo Menschen für andere Meinungen eingesperrt würden. 

Ein weiteres Buch sei laut Schwab bereits in Planung. Dieses Werk werde eine persönlichere Note haben. «Ich möchte in meinem nächsten Buch die Zeit wechseln und anhand einer privaten Geschichte über die 1990er-Jahre schreiben», sagt Schwab. Viel mehr möchte er dazu jedoch noch nicht sagen.

"Freiheit, Rausch und schwarze Katzen - Eine Geschichte der Boheme" hier erhältlich: www.chbeck.de

Weitere Infos unter: www.andreasschwab.ch 


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