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«Das Dorf kann nicht trotz, sondern auch wegen des Bernaparks so bleiben, wie es ist»

Der zurücktretende Gmeindepräsident von Stettlen, Lorenz Hess (Mitte), über den Bernapark, einkaufen im Dorf, das Ungleichgewicht zwischen Prestige und Verantwortung und den Wolf.

| Anina Bundi | Politik
Lorenz Hess im Bernapark
Lorenz Hess im Bernapark. Foto: zvg

Lorenz Hess, Sie waren 23 Jahre Gemeinde­präsident von Stettlen. Vor zwei Wochen haben Sie Ihre letzte Gemeindeversammlung geleitet. Was hatten Sie da für Gefühle?
Erstaunlicherweise waren es primär gute Gefühle, ich war kaum wehmütig. Ich kann auf eine gute Geschichte zurückschauen. Es war aber auch langsam Zeit, aufzuhören, und ich bin froh, war dieser Moment selbst gewählt.

In dem fast Vierteljahrhundert ist in Stettlen einiges gegangen, allem voran in Deisswil. Der grösste Arbeitgeber im Dorf, die Kartonfabrik, ging zu. Was hat das für das Dorf bedeutet?
Es war ein schwarzer Tag für die Gemeinde. Der Gemeinderat stand immer in engem Austausch mit der Fabrik und wusste, dass es nicht gut steht. Aber die Art und Weise, dass sie von einem Tag auf den anderen zuging, hat uns alle durchgeschüttelt. Die Kartonfabrik war ein beständiger und unverrück­barer Koloss. Schon als Kind haben wir mit der Schule das Altpapier gesammelt und hinuntergebracht. Und in der Freizeit hat man sich halblegal auf dem Gelände herumgetrieben und nach Heftli gesucht, die man eigentlich noch nicht schauen durfte.

Heute entsteht in der alten Fabrik der Bernapark, ein neues Quartier mit Wohnungen, Büros und Gewerbe. Für eine kleine Gemeinde wie Stettlen hat das Ganze eine Riesendimension.
Natürlich wäre am schönsten gewesen, wenn alles nicht passiert wäre. Aber letztendlich war es eine Chance für Stettlen. In einer Zeit, in der andere Agglomerationsgemeinden verzweifelt suchen, wo sie noch wachsen könnten, können wir eine vorhandene und voll erschlossene Betonwüste neu möblieren. Das ist eine Luxusaufgabe. Wir können wachsen, ohne einzuzonen.

Rund 2000 Menschen sollen einmal hier wohnen und ebenso viele arbeiten. Das ist fast eine Verdopplung der Einwohnerzahl. Es gibt Leute, die sich um das «alte» Stettlen sorgen.
Die Angst, dass der Bernapark dem Dorf schadet, teile ich nicht. Die Dorfläden gehen im ganzen Kanton zu, weil die Leute nicht mehr im Dorf einkaufen. Wenn sie am Samstag in der Metzg anstehen müssen, weil alle am Abend grillieren, haben sie den Eindruck, der Laden laufe gut. Dass er die Woche über leer ist, sehen sie nicht. Aber die Ladenbesitzer sehen, wie die Leute abends mit den vollen Migrostaschen vorbeilaufen, wenn sie in der Stadt eingekauft haben.
Dann muss man auch sehen: Der Bernapark und das «alte» Stettlen sind sechs Fussminuten voneinander entfernt. Was im Bernapark passiert, ist eigentlich immer noch im Zentrum von Stettlen. Wenn es nun dort auch eine Bäckerei gibt, gibt es nicht eine hier bei uns und eine dort im Bernapark, sondern es gibt hier bei uns zwei Bäckereien. Genauso wie es in unserer flächenmässig kleinen Gemeinde nun zwei Hotels, zwei Restaurants sowie einen Coop und eine Migros gibt. Ein anderer Punkt ist: Der Bernapark nimmt Druck weg, in Stettlen zu verdichten. Das Dorf kann also nicht trotz, sondern auch wegen des Bernaparks so bleiben, wie es ist.

Zurzeit ist ein neues Schulhaus im Bau für Kindergärten, Schulzimmer und Tagesschule. Ist die Schule bereit für die Zuzüger?
Auslöser für die Schulraumplanung waren steigende Schülerzahlen in Stettlen selber und neue gesetzliche Anforderungen an die Schulräume, nicht der Bernapark. Die demografische Entwicklung ist auch keine exakte Wissenschaft. Bis jetzt sind im Bernapark 170 Wohnungen bezogen, und es kamen kaum Kinder. Ob unter den Neuzuzügern junge Paare sind, die demnächst Kinder bekommen, weiss man nicht. Bei der Schulraumplanung muss man sich zuerst ans abschätzbare halten. Und da sind wir gut aufgestellt und auch in der Lage zu reagieren, wenn sich etwas ändern sollte.

Wie sieht es mit dem Rest der Infrastruktur aus?
Ein Vorteil ist: Wir müssen hier nichts neu erschliessen. Es stellen sich eher Fragen beim Unterhalt, was da auf die Gemeinde zukommt. Und zum Beispiel bei der Abfallentsorgung. Die erste Etappe haben wir gut bewältigt. Gut ist, dass nicht alles auf einen Chlapf kommt. Falls etwa irgendwann die Kapazitäten im Werkhof nicht mehr reichen, muss mal halt ausbauen. Aber dann wird es ja auch mehr Steuerzahler geben. Dasselbe bei der Verwaltung. Bis jetzt haben wir es mit den bisherigen Strukturen gemacht, und sonst muss man reagieren. Eine Frage ist oft der Verkehr. Aber da musste der Bernapark sein Mobilitätskonzept dem Kanton vorlegen. und der schaut genau hin und hat es bewilligt. Und man darf nicht vergessen: Vorher war da eine Fabrik, da gab es auch viel Hin und Her.

Seit 2011 sind Sie auch Nationalrat. Bei Ihrer Abschiedsrede sagten Sie, das Amt als Gemeindepräsident sei ungleich wichtiger. Wie haben Sie das gemeint?
In der äusseren Wahrnehmung hat das Amt als Nationalrat hohes Prestige. Wenn man Gemeindepräsident wird, bekommt man, überspitzt gesagt, ein mitleidiges Schulterklopfen, alle sind froh, dass es einer macht. Nach der Wahl zum Nationalrat ist die Mailbox voll und der Pöstler mag die Berge an Gratulationskarten fast nicht tragen. In der Realität muss man auf der Gemeindeebene aber viel mehr liefern, Verantwortung übernehmen, für Entscheide hinstehen. Ich fand es interessant, an beiden Orten zu sein. Mit einem Fuss noch da zu stehen, wo die im Nationalrat beschlossenen Sachen dann auch passieren. Das gibt Bodenhaftung.

Vor Kurzem wurde einer Ihrer Vorstösse angenommen. Darin fordern Sie Sanktionen für Firmen, die die Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern nicht einhalten. Hatten Sie viele negative Rückmeldungen darauf?
Das Gesetz zur Lohngleichheit bleibt ein Papiertiger, wenn es keine Sanktionen gibt. Die Idee kam auch aus Gesprächen mit Frauen, wenn es um die Angleichung des AHV-Alters ging. Ich hörte oft: «Schaut erst mal für die Lohngleichheit, dann können wir reden.» Und ja, es gab viele negative Reaktionen. Meistens hiess es: Es läuft doch gut. Warum braucht es dann Sanktionen? Meine Antwort war stets: Wer es gut macht, hat ja auch nichts zu befürchten. Für mich ist aber klar, dass die Sanktionen ein Unternehmen nicht in dessen Existenz bedrohen dürfen.

Seit Kurzem geistert die Idee herum, die Mitte solle mit der GLP fusionieren. Was halten Sie von dieser Idee?
Nicht viel. Obwohl die Idee, so ein starkes Zentrum zu gründen, nicht abstrus ist. Die Probleme, die auf uns zukommen, kann man nicht mit lautem Herum­trommeln links und rechts lösen, sondern muss zusammenarbeiten, so wie in einem Gemeinderat, wo man das Parteibüchlein auch zur Seite legt. Aber die beiden Parteien sind doch zu unterschiedlich.

Sie präsidieren den kantonalen Jagdverband. Wie oft werden Sie auf den Wolf angesprochen?
Oft. Und ich bedaure stark, dass bei dem Thema so fest auf die Jäger fokussiert wird. Im Wallis hat man da alles falsch gemacht. Man hat die Wolfsabschüsse ausgeschrieben, und dann haben sich 800 Jäger gemeldet, die scharf darauf sind. Dadurch hat man den Eindruck, der Abschuss sei vor allem der Wunsch der Jäger. Aber es sind vor allem die Nutztierhalter, die sagen, es gehe nicht mehr. Das Ganze sollte die Aufgabe der Wildhut sein, und die Jäger können helfen, wenn es sie braucht.

Und was ist Ihre Meinung? Hat der Wolf Platz in der Schweiz?
Ja. Aber in reduziertem Ausmass. Spätestens wenn wir Stadtwölfe haben, so wie heute Stadtfüchse, würden wahrscheinlich auch die heutigen Befürworter umdenken. Der Wolf ist eine geschützte Art, so wie auch der Steinbock. Aber sogar der wird reguliert und dezimiert, nur redet da niemand davon.


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