Skip to main content

-


Anzeige

Anzeige


Weisse Sneakers und fliegende Kugelschreiber beim Jugendpodium zur AHV

Das «Polit-Ping-Pong» im Gaskessel soll politische Diskussionen aufmischen – und jünger machen. Ein Besuch. 

| Sophie Feuz | Politik
Statt Pingpong-Bälle flogen im Gaskessel Argumente zu den beiden AHV-Initiativen über den grünen Tisch.
Statt Pingpong-Bälle flogen im Gaskessel Argumente zu den beiden AHV-Initiativen über den grünen Tisch. Foto: Sophie Feuz

Wo sich sonst DJs oder Theatergruppen zeigen, steht für einmal ein Pingpong-Tisch. Doch an diesem Donnerstagabend sollen im Jugend- und Kulturzentrum Gaskessel nicht nur Bälle, sondern vor allem Argumente fliegen: Das Jugendparlament der Stadt Bern lädt zum «Polit-Ping-Pong». Diskutiert werden die beiden eidgenössischen AHV-Initiativen. Die erste Initiative fordert eine 13. Rente, die zweite eine schrittweise Erhöhung des Rentenalters. 

Moderator Karim El-Koussy verkauft das Podium als «die interaktivste Diskussion in Bern, oder vielleicht der ganzen Schweiz». Neben ihm, in rosarotes Bühnenlicht getaucht, sitzen Charlotte Günther (JUSO), Roger Nyffenegger (Co-Präsident der kantonalen jGLP), Astrick Reist, (Co-Präsidentin der Jungen Mitte), und David Micoccio (Jungfreisinn). 

Grüppchen von 15- bis 30-Jährigen trudeln ein, über 30 Politikinteressierte sind es schliesslich. Ist man sich von Podiumsdiskussionen sonst vorwiegend graue Haarschöpfe gewöhnt, so überraschen hier die verschiedensten Farben und Frisuren. Überrascht an diesem Abend mehr als nur das Outfit? 

Gegen tiefe Stimmbeteiligung der Jungen

Das Podium beginnt mit einem Informationsinput eines Mitarbeiters von «easyvote», dem politisch neutralen Bildungsangebot des Dachverbands der Schweizer Jugendparlamente. Die Organisation verfasst beispielsweise die Erklärbroschüren, die bei jungen Stimmberechtigten jeweils dem of­fiziellen Abstimmungsbüchlein bei­liegen. 

Das Angebot soll die politische Partizipation von jungen Erwachsenen fördern. Die Zahlen verdeutlichen die Dringlichkeit des Anliegens: Bei der letzten AHV-Vorlage nahmen beispielsweise nur 40 Prozent der Stimmberechtigten 18- bis 39-Jährigen ihr Wahlrecht wahr. Eine Studie der Universität Zürich von 2021 belegt zudem, dass die Abstimmungsbeteiligung von Gymnasiastinnen und Gymnasiasten dreimal höher ist als jene von Berufsschülerinnen und Berufsschülern.

 Das «Polit-Ping-Pong» soll das ändern. Deshalb diskutieren die Jungpolitikerinnen und Jungpolitiker nun im Gaskessel über die 13. AHV-Rente. Speziell gefordert ist da Charlotte Günther (JUSO), denn nur sie unterstützt die gewerkschaftliche Initiative. Sie kennt ihre Fakten und verteidigt die Initiative gegen Kritik am Giesskannenprinzip. Gegenargumente von Seiten des Jungfreisinns oder der jGLP beginnen oft mit einem höflichen: «Was du sagst, stimmt, aber ich sehe das anders ...» Beim Podium wird über dieselben Gräben und Fronten gespielt, die man aus den Mutterparteien kennt. 

Junge sind häufiger gegen die 13. AHV-Rente 

Micoccio, Reist und Nyffenegger zweifeln dagegen an der Finanzierbarkeit einer 13. AHV-Rente. Damit sind sie nicht alleine: Eine Tamedia-Umfrage erfasste im Januar, dass 46 Prozent der 18- bis 34-Jährigen gegen die 13. AHV-Rente sind. Es ist zwar keine Mehrheit, aber mit Abstand der grösste Nein-Anteil aus allen Altersgruppen. Als Gegensatz dazu sind Stimmberechtigte ab 50 Jahren mit über 80 Prozent dafür. 

Bei der Renteninitiative hingegen stimmen die Jungen laut Umfrage ähnlich wie unter 60-Jährige. Bei dieser Abstimmung sind die über 65-Jährigen als einzige Altersgruppe mehrheitlich dafür. 

Eine neue Politik? 

Umso überraschender, dass Astrick Reist von der Jungen Mitte gerade diese Renteninitiative unterstützt – entgegen der Parole der Mutterpartei. Ansonsten machen es die Jungen wie die Alten. Dieselbe Professionalität, dieselben Argumente, einfach alles etwas kollegialer . 

Allerdings sind die Stimmung und der Umgang im Vergleich zu anderen Polit-Events erfrischend. Leichter und direkter. Nach einem Kommentar geht manchmal ein Raunen oder Schmunzeln durchs Publikum, auf abenteuerliche Argumentationen wird mit den Augen gerollt. Als Micoccio die Podiumskollegin Günther nicht ausreden lässt, wirft sie ihm ihren Kugelschreiber rüber – so könne er sich notieren, was er noch sagen wolle, statt ihr ins Wort zu fallen. Er bedankt sich lachend. 

Im Jungfreisinn trägt man weisse Sneaker, in der JUSO Doc-Martens-Stiefel: So könnte man mit Blick aufs Podium meinen. Doch solche Klischees geraten an diesem Abend schnell durcheinander. Im Publikum sitzt ein junger Mann mit Aktenkoffer, Nadelstreifenhosen, schneeweissen Sneakers; er erklärt später im Gespräch, dass er tatsächlich SP-Mitglied ist. Diese Verwechslung passiere ihm oft, mache ihm aber nichts aus. Seine Freundesgruppe besteht aus Leuten aus verschiedensten Parteien, von JUSO bis jSVP. Man kennt sich aus dem kantonalen Jugendparlament. 

Freundschaft über Parteigrenzen hinweg

Junge Erwachsene, die in Jugendparlamenten (JuPa) aktiv sind: Sie stellen an diesem Abend auch im Gaskessel einen grossen Teil des Publikums. Karim El-Koussy ist Co-Präsident des JuPa Stadt Bern und hat in dieser Rolle mit dem JuPa Köniz und dem Gaskessel den Anlass organisiert.

Der 22-Jährige sieht in den Jugendparlamenten ein wichtiges Werkzeug, um politischen Nachwuchsproblemen vorzubeugen. Ihm ist es also ein Anliegen, dass Jugendparlamente nicht nur auf Jugendpolitik reduziert werden, sondern als Sprungbrett zu Jungparteien und überparteilicher Vernetzung dienen. Es sei wie bei Parship, sagt El-Koussy: «Je mehr Leute im JuPa waren und es dann für eine Partei verlassen haben, desto besser.»   

Es ist halb zehn, das Podium ist fertig, obwohl alle noch mehr zu sagen hätten. Wie angekündigt, «ründelen» die Verbleibenden, also spielen Pingpong mit fliegendem Seitenwechsel. Ein richtiges Spiel kommt aber nicht in Gang. Denn auf den Publikumsrängen wird in Gruppen weiterdiskutiert. So lange, bis sich die Gäste doch noch ein Häppchen vom Buffet schnappen – für den Nachhauseweg. 


Ihre Meinung interessiert uns!


Verwandte Artikel


Gemeinderat verrechnet sich bei der Tramverlängerung um mehrere Millionen

Köniz rechnet neu mit Kosten in Millionenhöhe für die dritte Phase der Verlängerung nach Kleinwabern. Im Parlament stösst das sauer auf. Durchkommen wird die Vorlage wohl trotzdem.

Die 13. Augenwischerei

Statt fünf Milliarden Franken mit der Giesskanne auszuschütten, sollte man die Ergänzungsleistungen deutlich erhöhen, fordert «Anzeiger»-Kolumnist Peter Stämpfli. 

Politische Mathematik

Die Gegnerinnen und Gegner einer 13. AHV-Rente hätten ihr soziales Herz etwas spät entdeckt, findet «Anzeiger»-Kolumnistin Regula Rytz. Vor allem sei höchst ungewiss, ob die nun formulierten Pläne zur Entlastung Geringverdienender eine Ablehnung der Initiative überdauern würden.