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Podestplatz für Fairness

Im Sommer finden die Europawahlen ohne Beteiligung der Schweiz statt. Trotzdem steht auch für uns viel auf dem Spiel, wie «Anzeiger»-Kolumnistin Regula Rytz argumentiert.

| Regula Rytz | Politik
Regula Rytz. Foto: zvg
Regula Rytz. Foto: zvg

Haben Sie Ihren Grill schon aus dem Keller geholt? Wohl kaum. Denn die Fussball-Europameisterschaft der Männer startet erst in 93 Tagen. Zehn deutsche Städte beherbergen im Sommer die europäischen Teams. Auch Hamburg gehört dazu. Die Hansestadt im Norden Deutschlands darf sich auf einen Auftakt mit den holländischen Fans freuen, die 2008 ganz Bern mit guter Laune und orangen Fahnen begeistert haben. Selbstverständlich ist auch die Schweiz mit von der Partie, als Teil der europäischen Fussballwelt. 

Nichts zu sagen hat die Schweiz dagegen bei einem Ereignis, das kurz vor dem Anpfiff der Euro 2024 stattfindet. Es sind die Wahlen für das Europäische Parlament. Sie sind auf den ersten Blick etwas weniger spektakulär als der Kampf auf dem grünen Rasen. Aber sie werden für die Menschen in der Schweiz von viel grösserer Bedeutung sein.

Denn was in der EU entschieden wird, beeinflusst auch unser Leben. Wenn die Schweiz zum Beispiel den Datenschutz verbessert oder den Treibhausgasausstoss von Autos reduziert, dann gibt die Europäische Union den Takt an. Sie bestimmt die technischen Standards für den gemeinsamen Binnenmarkt, den grössten Wirtschaftsraum der Welt. Geht sie dabei wie zum Beispiel beim «Recht auf Reparatur» oder bei der «Entwaldungsverordnung» voran, dann bleibt der Schweiz nichts anderes übrig, als «freiwillig» nachzuzuziehen. Andersfalls hätten Schweizer Unternehmen mit erheblichen Markteintrittshürden zu kämpfen. Und das finden hierzulande nicht einmal Europa-Skeptiker gut. 

Umso wichtiger ist, wer in der EU die Weichen stellt. Sowohl umwelt- als auch sozialpolitisch sind in den letzten Jahren fortschrittliche Reformen beschlossen worden. Sei es bei der Richtlinie über Mindestlöhne, der Förderung der Kreislaufwirtschaft oder bei der Regelung von künstlicher Intelligenz. Allerdings gerät der Reform­motor drei Monate vor der Europawahl ins Stottern. Nur knapp wurde zum Beispiel im Februar ein Antrag der ­Europäischen Volkspartei (EVP) abgelehnt, der ein Gesetz für mehr Bio­diversität verschrotten wollte. Anstatt den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und den sozialen Ausgleich als Kern von wirtschaftlicher Stabilität zu fördern, wollen rechts­nationale Parteien die Gesellschaft spalten. In «zugehörige» und in fremde, in angepasste und in vielfältige, in arme und in reiche Menschen. Und dies ausgerechnet in einer Zeit, in der globale Kriege und Umweltkrisen gemeinsames Handeln und mutige Kompromisse erfordern würden. 

Bei den Europawahlen im Sommer geht es auch um die Werte von Demokratie und Menschenrechten. Die rechtsnationalen und rechtsextremen Parteien, die in den Wahlumfragen vorne liegen, setzen immer mehr davon aufs Spiel. Zum Beispiel die Religions- und Pressefreiheit. Oder den Schutz von Minderheiten und die Forschungsfreiheit. Oder die Rechtsstaatlichkeit und die Gewaltenteilung. Alles Errungenschaften, die von Demokratinnen und Demokraten hart erkämpft wurden. Hier gibt es eine wichtige ­Parallele zwischen der Euro 2024 und den Europawahlen: Auf dem grünen Rasen und in der Demokratie sind faire Spiele nur möglich, wenn es verbindliche Regeln und einen Schiedsrichter gibt. Ohne sie würden am Schluss die Skrupellosesten, die Foulspieler gewinnen. Hoffen wir also, dass Fairness in diesem Sommer auf dem Feld und an der Wahlurne die Hauptrolle spielen wird. Und nicht Krawall und Hetze!

Zur Person:

 

Regula Rytz ist Historikerin, ehemalige Gemeinderätin der Stadt Bern, ehemalige Nationalrätin und Präsidentin der Grünen Schweiz.


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