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Die Schweiz muss wieder verteidigungsfähig werden
Russland befindet sich im «Krieg gegen den Westen» und Donald Trump droht wieder Präsident der USA zu werden: In dieser geopolitischen Gemengelage sei die fehlende Verteidigungsfähigkeit der Schweiz ein Unding, argumentiert «Anzeiger»-Kolumnist Rudolf Joder.
Seit zwei Jahren tobt in Europa ein grauenvoller Krieg. Dieser findet zirka 1800 Kilometer oder rund zwei Flugstunden entfernt vor unserer Haustür statt. Was sich seit dem zweiten Weltkrieg niemand vorstellen konnte, ist Wirklichkeit geworden.
Der Ukrainekrieg hat weitreichende Folgen. Sein Ausgang ist ungewiss. Niemand weiss, was in zwei oder fünf Jahren sein wird. Bei einer erneuten Wahl von Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten ist die bisherige militärische Partnerschaft mit den USA infrage gestellt. Die künftige Machtverteilung und Bedrohungslage in Europa ist unbestimmt. Und mitten drin befindet sich die Schweiz.
Anfang Februar erklärte Armeechef Thomas Süssli, dass sich der Krieg in Europa ausweiten könnte, weil Russland nicht mehr von einer «Sonderoperation in der Ukraine», sondern von einem «Krieg gegen den Westen» spreche. Er sagte klipp und klar, dass für die Schweizer Armee im Verteidigungsfall «nach wenigen Wochen Schluss wäre».Aktuell könnte gemäss Armeechef nur ein Drittel der Militärbestände vollständig ausgerüstet werden. Dies bedeutet im Klartext, dass unsere Armee nicht verteidigungsfähig ist und die Aussage des ehemaligen VBS-Chefs Ueli Maurer über die Schweizer Armee als «beste Armee der Welt» im Nachhinein als inhaltloses Gerede erscheint.
Auch das Parlament hat den Ernst der Lage nicht erkannt. Während in der Sommersession 2022 National- und Ständerat beschlossen, die Armeeausgaben schrittweise bis 2030 auf ein Prozent des Bruttosozialprodukts anzuheben, wurde bereits im Dezember 2023 dieses Ziel bis 2035 erstreckt, was zum Nachteil der Armee grosse Beschaffungs- und Finanzierungslücken zur Folge hat.
Die Landesverteidigung ist einer der wichtigsten Staatszwecke überhaupt. In Art. 58 der Bundesverfassung ist verankert, dass die Armee der Kriegsverhinderung dient, zur Erhaltung des Friedens beiträgt und das Land und seine Bevölkerung verteidigt. Von dieser Aufgabenerfüllung sind wir heute weit entfernt.
Der Zeitpunkt für entschlossenes Handeln ist definitiv gekommen. Wegen der neuen Gefahrensituation in Europa sind ohne Verzug verschiedene Grundsatzfragen durch Bundesrat und Parlament zu klären, zum Beispiel: Wie ist unser Verhältnis zur NATO, die heute 29 Mitgliederländer hat und mit Ausnahme von Österreich und Irland faktisch ganz Europa umfasst? Was ist Inhalt, Ziel und Zweck unserer Neutralität in einem sich rasch wandelnden Umfeld? Welche militärischen Massnahmen müssen ergriffen werden, damit die Verteidigungsfähigkeit sofort verbessert werden kann, und wie werden diese verbindlich finanziert?
Notwendig ist ein Schulterschluss über die Parteigrenzen hinweg, und zwar jetzt. Die Bevölkerung erwartet politische Führung und konkrete Massnahmen in einer ausserordentlichen, neuen und unerwarteten Situation. Es darf nicht sein, dass eines der reichsten Länder der Welt nicht fähig ist, seine eigene Verteidigung sicherzustellen.
Zur Person:
Rudolf Joder ist Dr. iur. Fürsprecher und präsidiert den Schweizerischen Verband für Seniorenfragen. Er war Nationalrat, Grossrat, Präsident der SVP Kanton Bern und Gemeindepräsident von Belp.