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Plastikmüll im Storchennest

Rund ein Drittel der einheimischen Tier- und Pflanzenarten ist gefährdet oder bereits ausgestorben. «Anzeiger»-Kolumnistin Regula Ritz plädiert für ein Ja zur «Biodiversitäts-Initiative».

| Regula Rytz | Politik

Glauben Sie an den Storch? Natürlich nicht. Zumindest nicht an die (verklemmte) Mär vom Storch, der die Kinder bringt. An der Schönheit der Störche aber gibt es keine Zweifel. Seit ein Storchenpaar auf dem Kasernendach in meiner Nähe nistet, bin ich jede freie Minute auf Beobachtungsposten. Sind sie noch da, sind die Jungen schon geschlüpft, wann fliegt der Nachwuchs aus? Doch unterdessen ist meine Begeisterung der Sorge gewichen. Die jungen Störche haben das schlechte Wetter wohl nicht überlebt. Und im Internet sind viele weitere Gefahren aufgelistet. Die häufigste Todesursache ist ein Stromschlag auf der Hochspannungsleitung. Aber auch frei herum­liegender Plastikmüll gefährdet die Störche, blockiert ihren Magen oder erstickt die Jungtiere. Die schrumpfenden Lebensräume und die intensive Landwirtschaft verschärfen den Überlebenskampf.

Wie verletzlich freilebenden Tiere in einer von Menschen veränderten Umgebung sind, zeigen auch die Statistiken. Rund ein Drittel der einheimischen Tier- und Pflanzenarten ist gefährdet oder bereits ausgestorben. Im Vergleich zu anderen Industrieländern weist die Schweiz die höchste Anzahl bedrohter Arten auf und stellt die geringste Fläche unter Schutz. 7594 Quadratkilometer an artenreichen Lebensräumen (Trockenwiesen, Auen und Moore) sind seit 1900 verschwunden. Das entspricht fast einem Fünftel unserer gesamten Landesfläche. Auch der Speisezettel «meiner» Störche ist davon betroffen. Es fehlen Regenwürmer, Amphibien, grosse Insekten.

Das Fatale am Verlust der biologischen Vielfalt sind die Auswirkungen auf den gesamten Naturkreislauf. Ohne Bienen, Schmetterlinge und andere Insekten keine Bestäubung, ohne Bestäubung keine Beeren, Obst, Rapsöl oder Hülsenfrüchte. Das setzt sowohl die Menschen als auch die Tiere unter Druck. In Ländern mit besonders giftiger Landwirtschaft ist die menschliche Handbestäubung bereits an der Tagesordnung. Im Film «More Than Honey» betupfen freundlich lächelnde Frauen und Männer irgendwo in China Apfelblüte für Apfelblüte mit importierten Pollen. Das ist vielleicht auch in der Schweiz einmal nötig – hier sind bereits 45 Prozent der Wildbienenarten ausgestorben oder gefährdet. 

So kann und so muss es nicht weitergehen. Es gibt viele Möglichkeiten, das Artensterben aufzuhalten. So könnten zum Beispiel Strommaste so umgebaut werden, dass sich Störche und andere gefährdete Grossvögel an diesen Todesfallen die Flügel nicht verbrennen. Leider sind verbindliche Vorschriften dazu politisch blockiert. Weil der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen eine Sanierungspflicht ablehnte, haben die
Behörden sie fallen lassen wie eine heisse Kartoffel. Auch beim Schutz der Lebensräume von Pflanzen und Tieren geht die Natur immer als Verliererin vom Platz. So hat es zum Beispiel das neu gewählte und nach rechts gerückte Parlament letzten Dezember abgelehnt, einen indirekten Gegenvorschlag zur «Bio­diversitätsinitiative» (https://­www.biodiversi­taets­ini­tia­tive.­ch/)­ zu beschliessen und damit rasche Massnahmen zum Schutz der Artenvielfalt auszulösen. Nun kommt die Initiative im September an die Urne. Ob sie eine Chance hat, hängt von uns Bürgerinnen und Bürgern ab, also auch von Ihnen. Ich habe deshalb die Hoffnung nicht aufgeben, dass «meine» Störche in der Schweiz langfristig überleben können und uns mit ihrer Eleganz und ihrem Klappern erfreuen. Und ich bin dankbar für alle, die ihnen mit persönlicher Rücksichtnahme und politischem Weitblick dabei helfen!


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