Skip to main content

-


Anzeige

Anzeige


Peter Stämpfli: In der Nacht sind alle Katzen grau

Nicht alle Leute sehen die Farben gleich. Noch weniger löst eine Farbe bei allen das gleiche aus. Für «Anzeiger»-Kolumnist Peter Stämpfli ist das ein Hinweis, dass die eigene Wahrnehmung nicht als absolut zu betrachten sei. Auch politische Aktivisten und Parteien sollten sich das gelegentlich in Erinnerung rufen, so der Unternehmer. 

| Peter Stämpfli | Politik
Peter Stämpfli.
Peter Stämpfli. Foto: zvg

Worte erhalten, das wissen wir, erst durch ihren Zusammenhang und durch die Interpretation jedes und jeder Einzelnen ihre Bedeutung. Im Alltag auf den sorgfältigen Gebrauch von Worten zu achten, ist wichtig, gerade auch, wenn diese eine starke geschichtliche oder kulturelle Bedeutung haben. Eine bestimmte Wortwahl hilft Vertrauen aufzubauen – oder sie kann gezielt verletzen. 

Worte haben ihre Tücken, nicht selten sind sie zwiespältig. Derselbe Begriff kann freundlich oder abwertend sein, je nach dem. Wenn jemand eine Geschichte farbig ausschmückt, kann das freuen, wenn einer seine Erfolge in allen Farben schildert, werde ich misstrauisch. Ein farbiger Beutel als Verpackung hilft uns, eine Ware leicht zu erkennen, ein Farbbeutel erinnert viele an Schmierereien, manch ein Hausbesitzer kann ein Lied davon singen. Bisweilen ist es politisch unkorrekt, von Farbigen zu sprechen. Obwohl doch nur die Hautfarbe unterschieden werden soll, ist es ein Wort, das sich durch die Geschichte aufgeladen hat und vieldeutig geworden ist. Das ist bei den einzelnen Farben nicht anderes. «Ich habe blaue Augen» oder «ich bin mit einem blauen Auge davongekommen», ist dann schon ein wesentlicher Unterschied. Wenn ich blau bin, ist es gut möglich, dass ich Rot sehe, und die Grüne ist eine Politikerin und Die Grüne eine landwirtschaftliche Zeitschrift. Ein Brauner kann ein Rechtsextremer oder ein Pferd sein. Mit den Schwarzen wurden früher Katholiken und werden heute noch Menschen mit dunkler Hautfarbe bezeichnet, je nach Gesinnung ist dies ein neutraler Begriff oder ein negatives Urteil. Leute, die schwarz malen, schätzen wir nicht besonders, andere haben so teure Kunstwerke geschaffen. 

Farben bieten Grund zu allerlei Missverständnissen. Menschen mit einer Farbschwäche sehen Tannen oder Kaffeekapseln anders als die Anderen. Doch wer sieht die Farbe nun richtig, wenn die Farbrezeptoren im Auge jedes Menschen unterschiedlich reagieren und unser Farbempfinden mit unseren Emotionen schwankt? Was ist Rot? Zu den Diskussionen über eine originalgetreue Abbildung wissen Drucker Anekdoten zu erzählen, weil jeder Mensch die Farben unterschiedlich interpretiert und die Lichtquelle wesentlich für die Farbwiedergabe und -erkennung ist. 

Solche alltäglichen Beobachtungen sind mir beispielhafte Warnungen, meine eigene Meinung und Wahrnehmung nicht als absolut zu betrachten, meine Worte abzuwägen und darauf zu achten, wie andere die «Farben» dieser Welt wahrnehmen. In der Nacht der ­absoluten Meinungen sind alle Katzen grau. Wir müssen die Dinge von verschiedenen Seiten beleuchten, die graue Katze wird dann mehrfarbig getigert. So sind auch die politischen Parteien und Aktivisten gut beraten, ihre Farbe nicht als die einzig richtige durchsetzen zu wollen. Monochrome Malerei kann bereichernd sein, in der Demokratie ist sie es nicht. Die Bilder einer Demokratie müssen mehrfarbig gemalt werden.

Zur Person: Peter Stämpfli leitet zusammen mit seinem Bruder die Stämpfli Gruppe, Verlags- und Kommunikationsunternehmen, in Bern. Er engagiert sich für wirtschafts- und ­sozialpolitische Anliegen, u. a. als Präsident der Unternehmergruppe Fokus Bern.


Ihre Meinung interessiert uns!


Verwandte Artikel


Zufall der Geburt

Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht und sexuelle Orientierung könne man nicht selbst wählen, schreibt «Anzeiger»-Kolumnist Peter Stämpfli. Jede Form von Diskriminierung «anderer» sei deshalb von einer unbeschreiblichen, verletzenden Einfalt. 

Kolumne zum Klima-Entscheid gegen die Schweiz

Anstatt den Rechtsweg zu beschreiten, hätten die Klimaseniorinnen besser von den (direkt-)demokratischen Möglichkeiten Gebrauch gemacht, schreibt «Anzeiger»-Kolumnist Marcel Niggli. Doch auch mit dem Gericht geht der Kriminologe hart ins Gericht.

Die Ausgebeuteten nebenan

Mitten unter uns leben versklavte Menschen, schreibt «Anzeiger»-Kolumnist Peter Stämpfli. Sie arbeiten in Nagelstudios oder in Bordellen. Wer solche Dienste in Anspruch nehme und Hinweise auf fragwürdige Bedingungen erhalte, so Stämpfli, sei in der Verantwortung, dies den Behörden zu melden.